Bestand
Tucher/Ältere Linie/Briefarchiv (Bestand)
Das Briefarchiv stellt sicherlich den wertvollsten Teil des Familienarchivs der Älteren Linie Tucher dar. 1961 wurde der damalige Leiter des StadtAN Dr. Werner Schultheiß (1906-1972, Archivleiter 1961-1970) im Rahmen eigener Forschungen auf die bislang kaum beachteten Tucherbriefe des 16. Jahrhunderts aufmerksam. Um sie während der Vorarbeiten zu dem 1967 vom StadtAN herausgegebenen zweibändigen Werk "Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs" benutzen zu können, bat er 1963 Hans Sigmund Friedrich Tucher von Simmelsdorf (1889-1975, Mitglied der Jüngeren Linie), 1951 von der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung mit der Leitung der Gutsverwaltung Simmelsdorf beauftragt und von 1951 bis 1971 Geschlechtsbevollmächtigter der Familie, das Briefarchiv einsehen zu dürfen, und zwar in den Räumen des StadtAN.
Das Briefarchiv war vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit den übrigen Archivalien der Älteren Linie in deren Nürnberger Stadtschloss in der Hirschelgasse (Tucherschlösschen) gelagert gewesen. Das Familienarchiv der Älteren Linie wurde im Krieg nach Großengsee ausgelagert, nach Kriegsende ins Germanische Nationalmuseum verbracht und 1958 im Keller der Bayerischen Vereinsbank am Lorenzer Platz in Nürnberg eingelagert, bis es 1968 ins wieder hergestellte Tucherschloss zurückgeführt werden konnte. Das Briefarchiv hat diese Odyssee nicht mitgemacht. Es befand sich wohl bei den nach Großengsee geflüchteten Archivalien, kam aber dann (noch während oder erst nach dem Krieg) nach Simmelsdorf, wo es gelegentlich auch von der Forschung benutzt wurde.
Als Werner Schultheiß 1961 erstmals um Einsichtnahme bat, war das Briefarchiv im Bewusstsein der Simmelsdorfer Gutsverwaltung Bestandteil des dort seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelagerten Archivs des Gesamtgeschlechts und der jüngeren Tucherlinie. Erst Schultheiß' Wunsch, die Briefe zur besseren internen Benutzung ans StadtAN auszuleihen, brachte die Simmelsdorfer darauf, selbst über das von ihnen verwahrte Briefarchiv nachzuforschen. Das Ergebnis war fatal, denn sie hatten überhaupt kein Verfügungsrecht über diese Archivalien, da diese überwiegend der Älteren Linie gehörten. Also wandte sich der Nürnberger Stadtarchivdirektor mit seinem Ansinnen an den Familienältesten der Älteren Linie, Dr. Hans Christoph Tucher von Simmelsdorf (1904-1968), Bankdirektor und Vorstandsmitglied bei der Bayerischen Vereinsbank in München. Dieser erklärte sich 1963 damit einverstanden, das in zwei Holzkisten lagernde Briefarchiv von Simmelsdorf ins Stadtarchiv bringen zu lassen, wo es geordnet, registriert und sicherungsverfilmt werden sollte. Nach Abschluss dieser Arbeiten sollte es mit dem restlichen Familienarchiv der Älteren Linie im wiederaufzubauenden Tucherschloss in der Hirschelgasse gelagert werden.
Im StadtAN wurde der Bestand zwischen 1963 und 1965 von zwei Mitarbeitern gesichtet und geordnet. Eine Grobverzeichnung erfolgte unter Angabe von Absendern und Empfängern sowie Ausstellungsdaten (das alte Verzeichnis des Teilbestandes StadtAN E 29/IV trägt die Signatur Repertorium G 77). Während dieser Erschließungsarbeit und infolge der Benutzung für die Forschungen zu den Bänden der "Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs" wurde dem Stadtarchiv die immense geschichtliche Bedeutung dieser Briefesammlung erstmals richtig deutlich.
1968 war der Wiederaufbau des Tucherschlösschens in der Hirschelgasse abgeschlossen und am 24. Oktober das neue Haus offiziell eingeweiht worden, am 11. August aber war der Initiator des Wiederaufbaus, Hans Christoph von Tucher, in London verstorben. Seine Erben lebten außerhalb Nürnbergs, seine Söhne Hans Anton (geb. 1935) und Hans Martin (geb. 1938) in den USA. In der Älteren Tucherlinie reifte deshalb der Entschluss, das frisch wiedererrichtete Tucherschlösschen an die Stadt Nürnberg und den Freistaat Bayern zu veräußern. Dies geschah 1972. Das 1968 in die Hirschelgasse überführte Archiv der Älteren Linie wurde dabei 1974 vertraglich dem StadtAN zur Verwaltung überlassen.
Das Briefarchiv aber verblieb mit Zustimmung der Älteren Linie am Dienstsitz des StadtAN im Pellerhaus, weil man immer noch hoffte, es intensiver erschließen zu können. 1994 wurde das Tucherschloss in der Hirschelgasse als Teil der Museen der Stadt Nürnberg einer neuen Nutzung zugeführt. Mit Zustimmung der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung und beider Linien der Familie wurden die Familienarchive nun ins Pellerhaus verbracht; dort wurde erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg das Briefarchiv der Älteren Linie mit deren Familienarchiv wieder lagerungstechnisch vereinigt. Zusammen mit dem StadtAN zogen die Familienarchive der Tucher im Jahr 2000 in die Norishalle um.
Das Briefarchiv blieb aber - trotz umfangreicherer Auswertungen durch die Forschung - im Erschließungszustand der 1960er Jahre stehen. Nicht zuletzt forciert durch eine Ausstellung des StadtAN im Nürnberger Museum für Kommunikation 2008/09 (Tucher-Briefe. Eine Nürnberger Patrizierfamilie im 16. Jahrhundert) finanzierte das StadtAN seit Juli 2007 die Erschließung des Briefarchivs der Älteren Tucherlinie durch Vollregesten. Die intensive Erschließung des Briefarchivs wurde im September 2008 durch Helge Weingärtner abgeschlossen.
Damit stehen der Forschung insgesamt 1.756 bislang nicht oder eher rudimentär bekannte Briefe und Akten aus dem Zeitraum zwischen 1465 und 1656 zur Verfügung. Es handelt sich im Wesentlichen um Briefe, die an den Vordersten Losunger der Reichsstadt Nürnberg Linhart II. (1487-1568) gerichtet sind. Zu einem kleineren Teil sind auch Briefe erhalten, die an Linharts Vater, den Vordersten Losunger Anton II. (1457-1524) geschickt worden waren; es ist anzunehmen, dass Linhart nach dem Tod seines Vaters dessen Korrespondenz gesichtet und das für ihn Wichtige aufbewahrt sowie den Rest vernichtet hat. Linharts Korrespondenzpartner sind seine Verwandten (insbesondere seine sieben Söhne), die Faktoren der Tucherschen Handelsfirma oder andere Personen und Persönlichkeiten. Linharts (und Antons) auslaufende Korrespondenz ist nur rudimentär bei den Empfängern überliefert. Die eigene Verwandtschaft hat die erhaltenen Briefe in der Regel vernichtet. So können die von Linhart versandten Briefe nur zum Teil aus Linharts Briefbüchern, in denen er die auslaufenden Schreiben vermerkte, bei wichtigen Schreiben aus Stichwortzetteln, Konzepten oder Briefabschriften rekonstruiert werden. Über den Inhalt von Briefen, die nicht in dieser Form oder im Original überliefert sind, informieren ansonst nur Zusammenfassungen in den bei Linhart oder Anton eingegangenen Antwortschreiben.
In den Briefen wird Persönliches, aber auch Geschäftliches mitgeteilt, werden die Zeitläufte geschildert und Charakterstudien übermittelt. Erst die Tiefenerschließung des Briefarchivs gibt uns genaueren Einblick in das System der "Nachrichtenbörse" Nürnberg. Linhart, dessen Söhne entweder zur Ausbildung oder beruflich in Wittenberg, Italien, Frankreich, Spanien, der Schweiz oder den Niederlanden weilten, ließ sich von diesen oder von den Faktoren seiner Firma laufend über alle wichtigen Geschehnisse berichten. Die Berichterstatter fassten ihre Briefe unter ihren eigenen Blickwinkeln ab und schickten diese nach Nürnberg. Dort konnte sich der "Chef" aus den einlaufenden Facetten ein recht genaues Bild dessen machen, was "draußen" vorging, konnte darauf reagieren und entsprechend handeln.
- Reference number of holding
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E 29/IV
- Extent
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lfd. Meter: 5,50
- Language of the material
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Deutsch
- Context
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Stadtarchiv Nürnberg (Archivtektonik) >> Stadtarchiv Nürnberg >> Bestandsgruppe E: Dokumentationsgut privater Provenienz >> E 29 - Familienarchiv von Tucher >> E 29/IV - Familienarchiv Tucher / Ältere Linie / Briefarchiv
- Indexbegriff subject
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Briefarchiv Tucher (Teilbestand)
Familienarchive (Teilbestände)
von _Tucher, Ältere Linie (Teilbestände)
- Other object pages
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- Rights
- Last update
-
05.06.2025, 11:18 AM CEST
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Object type
- Bestand