Bestand
Landratsamt Tübingen (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
I. Zur Verwaltungsgeschichte der württembergischen Oberämter
Von Dr. Franz Moegle-Hofacker
1. Die württembergische Oberamtsorganisation
Die Verwaltungsgliederung, die für das gegenüber dem Herzogtum zwischen 1802 und 1810 etwa verdoppelte Gebiet des Königreichs Württemberg geschaffen wurde, hatte mit geringfügigen Veränderungen bis zum Jahr 1938, teilweise noch darüber hinaus, Bestand. Die längste Periode hindurch war das Land im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in 63 Oberämter zuzüglich der Stadtdirektion Stuttgart eingeteilt. Die durchschnittliche Fläche eines Oberamtsbezirks betrug (etwa 1822) 5,7 Quadratmeilen = 316 Quadratkilometer, die durchschnittliche Einwohnerzahl 20700 (1926: 41604), wobei sich im Lauf der Zeit ein erhebliches Ungleichgewicht ergab (die Einwohnerzahlen je Oberamt schwankten 1926 zwischen 18000 und 341000). Als Mittelbehörden zwischen den einzelnen Oberämtern und der Ministerialebene standen die vier Kreisregierungen, die 1817 an die Stelle der 1806 eingerichteten zwölf Landvogteien getreten waren. Innerhalb des Gefüges der württembergischen Verfassung von 1819, das auf den Gemeinden als ,"Grundlage des Staatsvereins" aufgebaut war, kam den Oberämtern die Aufgabe zu, die unmittelbar die einzelnen Bürger berührenden Verwaltungsangelegenheiten, die die Gemeinden weitgehend in eigener Verantwortung behandelten, in die staatliche Verwaltung einzubringen. Das Problem einer größtmöglichen Integration aller von Verwaltungsmaßnahmen Betroffenen stellte sich dabei für die Oberämter, die gleichzeitig Wahlkreise für die Wahlen zur Abgeordnetenkammer waren, ebenso wie das Problem einer gleichmäßigen Durchführung innenpolitischer Regierungsmaßnahmen.
2. Funktionsträger
Das Ministerium des Innern übertrug die Verantwortung für die Oberamtsverwaltungen jeweils einem Oberamtmann; seit den 1830er Jahren in der Regel ein Jurist mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Er war als Staatsbeamter zuständig für alle Verwaltungsgeschäfte, die nicht den Gerichts- oder Finanzbehörden oblagen, handhabte die Polizei sowie (bei Übertretungen) die Strafgewalt und übte die Aufsicht über die Gemeindeverwaltung aus. Als Verwaltungsbeamte unterstanden ihm ein Oberamtssekretär und (seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) ein Amtmann als Stellvertreter. Neben dieser Verwaltung stand als Organ mit Koordinations- und Integrationsfunktionen die Amtsversammlung. In ihr waren die einzelnen Gemeinden eines Oberamtsbezirks als Amtskörperschaft zusammengefaßt. Die Zahl der Abgeordneten, die eine Gemeinde jeweils stellte, hing von Ihrem Anteil an den gemeinsam zu tragenden öffentlichen Lasten, dem ,Amtsschaden", ab. Als Obergrenze durfte dabei eine Gemeinde höchstens ein Drittel der Angehörigen der Amtsversammlung stellen, während Kleinstgemeinden einen gemeinschaftlichen Vertreter entsandten. Die Amtsversammlung trat zweimal jährlich zusammen. Aus ihrer Mitte wählte sie zur Wahrung ihrer Präsenz einen geschäftsführenden Ausschuß sowie einen Aktuar (der zugleich Rechnungsrevisionsgehilfe des Oberamts war) und bestimmte in Eigenverantwortung für die Kassen- und Rechnungsführung den Oberamtspfleger sowie die übrigen Beamten der Amtskörperschaft. Entsprechend der konstitutionalistischen Theorie lag damit die Zuständigkeit für eine kontinuierliche, aktive Verwaltungsarbeit bei den Regierungsbeamten, während die Regulierung der Finanzen sowie Kontrollfunktionen von einer Körperschaft ausgeübt wurden, in der die von Verwaltungsmaßnahmen Betroffenen und die, die sie finanzierten, zusammengefaßt waren. Ansätze, die über ein rein auf Kontrolle und Finanzfragen ausgerichtetes Repräsentativsystem hinauswiesen, zeigten sich zwar nicht im Verwaltungssektor, dafür aber doch im Bereich sozialer Aufgaben und Dienstleistungen, wo Beamte de r Amtskorporation tätig waren.
3. Grenzen der einheitlichen Bezirksorganisation, Störfaktoren
Nicht für alle Verwaltungsfunktionen war von vornherein eine Organisation möglich, bei der (wie bei der Innen- und Justizverwaltung) die Verwaltungsbezirke den Oberamtsbezirken entsprachen. Bei den Dekanatsämtern der beiden großen Kirchen versteht es sich aus der regionalen Verteilung der Konfessionen, daß nicht jeweils für jedes Oberamt eine Bezirksverwaltung eingerichtet wurde; dennoch waren Dekanats- und Oberamtsgrenzen häufig identisch. Soweit praktische Gründe dafür sprachen, bestanden auch etwa für die Forst-, Kameral-, Zoll- und Bauinspektionsämter Zuständigkeitsbezirke, die von den Oberamtsbezirken abwichen. Der entschiedene Störfaktor für eine einheitliche Verwaltungsorganisation auf Bezirksebene, die nach 1819 durch die Bundesakte wiederhergestellte Patrimonialgerichtsbarkeit der Standesherren, wurde 1849 beseitigt. Ebenso das Sonderrecht selbständiger königlicher und adliger Güter, die vor 1849 nicht in die Gemeindeverbände und damit auch nicht in die Bezirksverwaltung eingegliedert waren.
4. Einzelne wichtige Veränderungen der Oberamtsorganisation
1842
Wegen zu großer Entfernungen vom Oberamtssitz oder sonstigen wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Gegebenheiten werden in 31 Oberämtern einzelne Gemeinden neu zugeordnet (Reg.Bl. 1842, 5. 386 - 389).
1850 ff.
Die regional unterschiedliche Entwicklung des Landes führt bei konstanter Bezirkseinteilung im Lauf der Zeit trotz ursprünglicher Ausgewogenheit zu erheblichem Ungleichgewicht zwischen einzelnen Bezirken. Änderungen an einzelnen Einteilungen (z.B. Auflösung des Oberamts Cannstatt 1923; Auflösung des Oberamts Weinsberg 1926) heben diese Unterschiede nicht auf.
1906
Der Amtsversammlungs-Ausschuß erhält die Bezeichnung Bezirksrat und wird auch zu den Geschäften der staatlichen Verwaltung herangezogen. Die Amtsversammlung kann Ausschüsse zur Kontrolle einzelner Anstalten und Einrichtungen der Amtskörperschaft einsetzen. Der Aktuar wird durch einen auf 3 Jahre von der Amtsversammlung gewählten Schriftführer ersetzt.
1933
Auflösung der Amtskorporation (Amtsversammlung, Bezirksrat) nach der nationalsozialistischen Machtergreifung.
1934
Wiedereinrichtung einer Amtskorporation, die auf Beratungsfunktion beschränkt ist und die Bezeichnung Kreisverband erhält. Der Landrat wird zum "Führer" der Kreisverwaltung bestimmt. Die Bezeichnungen Kreis (für Oberamt), Kreistag (für Amtsversammlung) und Kreisrat (für Bezirksrat) werden eingeführt. Der Kreisrat setzt sich zusammen aus dem Landrat als Vorsitzenden, dem Kreisleiter der NSDAP und fünf weiteren, vom Landrat im Einvernehmen mit dem Kreisleiter berufenen Mitgliedern (Reg.Bl. 1938, S. 51-72, 82, 139, 189).
1938
27 Kreisverbände werden aufgelöst und den übrigen 34 angegliedert (Regelungen und Verteilung der einzelnen Gemeinden vgl. Reg.Bl. 1938, S. 155-162). Der Stadtdirektionsbezirk Stuttgart bleibt als Stadtkreis bestehen. Die Städte Ulm und Heilbronn (mit Neckargartach und Sontheim) werden zu Stadtkreisen.
II. Behördengeschichte Oberamt/Landratsamt Tübingen
Im Rahmen der organisatorischen Neuordnung des Königreichs Württemberg infolge der Vereinigung der alt-und neuwürttembergischen Gebiete wurde im Zeitraum von 1806 bis 1810 die untere Ebene der inneren Verwaltung mit der Errichtung der Oberämter auf eine neue Grundlage gestellt. Das Oberamt Tübingen umfasste damals im wesentlichen den östlichen Teil des heutigen Landkreises Tübingen. 1811 wurde das bis dahin zum Oberamt Böblingen gehörige Dettenhausen dem Sprengel zugeschlagen. 1842 folgten Hagelloch mit Rosenau (vorher Oberamt Herrenberg) sowie Pliezhausen (vorher Oberamt Urach); gleichzeitig wurde Altenriet an das Oberamt Nürt ingen abgetreten. Mit der Neueinteilung Württembergs in Landkreise zum 1. Oktober 1938 wurden die ehemaligen Oberämter bzw. Kreise Tübingen und Rottenburg zum Landkreis Tübingen zusammengefasst. Einge bisher im Sprengel der beiden aufgelösten Oberämter gelegene Gemeinden wurden an benachbarte Landkreise abgetreten, während die Gemeinden Altringen, Breitenholz, Entringen, Reusten, Oberndorf, Poltringen, Pfäffingen und Unterjesingen des aufgelösten Oberamtes Herrenberg und die Gemeinde Stockach des Oberamtes Reutlingen neu hinzukamen.
Inhalt und Bewertung
III. Bestandsgeschichte und Bearbeiterbericht
Die im vorliegenden Findbuch verzeichneten Unterlagen kamen 1973 als Akzession 14/1973 über das Landratsamt Tübingen in das Staatsarchiv Sigmaringen ein. Bereits bei der Akzessionierung wurde Schriftgut der Provenienz Oberamt Rottenburg in den entsprechenden Bestand Wü 65/29 übernommen. Sonstige Fremdprovenienzen verblieben im Akzessionsbestand, für dessen Benutzung weiterhin das Aussonderungsverzeichnis als vorläufiges Findmittel diente. Mit der Neuverzeichnung wurden die bisher im Bestand verbliebenen Fremdprovenienzen Oberamt Herrenberg und Kreisregierung des Schwarzwaldkreises (Reutlingen) herausgelöst und an das Staatsarchiv Ludwigsburg abgegeben. Mit Rücksicht auf die enge Verzahnung von Kompetenzen der Kreisregierung und des Oberamtes wurden die das Oberamt Tübingen betreffenden Unterlagen der Kreisregierung in die Verzeichnung mit einbezogen und erst nach deren Abschluß abgegeben. Die Abgabe ist bei den entsprechenden Titelaufnahmen vermerkt. Eine gewisse Schwierigkeit stellte die Klassifikation der Titelaufnahmen dar, da die Registratur des Oberamtes keine aktenplanmäßige Sachsystematik, sondern nur ein grob nach Hauptgruppen gegliedertes Lokatursystem kannte, in dem die Unterlagen nach Kasten, Fach und fortlaufender Faszikelnummer abgelegt wurden. Für die Klassifikation des Bestandes wurde deshalb der Flattich-Aktenplan für die württembergischen Landratsämter und Gemeinden zugrundegelegt, der - da in vielen Landratsämtern mehrere Jahrzehnte in Gebrauch - auch für die Unterlagen der Nachkriegszeit zumindest noch bedingt geeignet ist.
Die Titelaufnahmen für das vorliegende Findbuch wurden unter Anleitung von Dr. Jürgen Treffeisen und des Unterzeichneten 1998/1999 von der Archivangestellten Karin Weinert unter Einsatz des Erschließungsprogramms MIDOSA 95 erstellt. Die Klassifikation besorgte der Unterzeichnete. Der Bestand umfasst 451 Einheiten mit einem Umfang von 13,2 lfd.m
Sigmaringen, 24.2.2000
Dr. Franz-Josef Ziwes
Enthält:
Oberamt und Amtskörperschaft: Personal, Landrätesprengelversammlungen, Dienstbetrieb; Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland: Kaiser und kaiserliches Haus, Wahlen, Volksabstimmungen, Staatsangehörigkeit, Eintritt in auswärtigen Staatsdienst; Württemberg: königliches Haus, König Wilhelm-Jubiläumsspende, König-Karl-Jubiläumsstiftung, Wahlen; Gemeinde: Satzungen und Gemeindeordnung, Gemeindevisitationen, Auszeichnungen, Gemeindebürger und Bürgerrecht, Gemeinderat, Bürgermeister, Personal und Rechtsverhältnisse, Kanzleiwesen, Amtsblätter, Versicherungen, Körperschaftswaldungen, Nutzungsrechte und Lasten, Stiftungen, Wasserversorgung, Elektrizitätswerk; Steuerwesen; Bauwesen; Baudenkmäler; Feuersicherheit, Verkehr mit feuergefährlichen Stoffen, Feuerlöschwesen, Feuerwehr; Gebäudebrandversicherung und Gebäudeschätzung; Eisen- und Straßenbahn; Kraftfahrlinien; Postwesen; Fremdenverkehr; Straßen und Wege; Abwasser und Kläranlagen; Straßenverkehrsregelung; Kraftfahrzeuge; öffentliche Gewässer; Fluß- und Uferbauten; Hochwasser; Gewerbeordnung; Betriebsverzeichnisse; Berufsausbildung im Handwerk; Groß- und Einzelhandelserlaubnisse; Gaststättenwesen; Wirtschaftskonzessionen; Landwirtschaft: Landwirtschaftskammer, Genossenschaften und landwirtschaftliche Vereine, Güterzerstückelung, Feldbereinigung, Bodenverbesserungen, Be- und Entwässerungen, Wasser- und Bodenverbände, Tierzucht, Viehversicherung, Weinbau, Obst- und Gartenbau, Jagd, Fischerei, Trepp- und Überfahrtsrechte, Notstände; Zeit, Maß und Gewicht; Münzwesen; Arbeitsordnungen und Arbeitsbücher; Gewerbeaufsicht; Sonderschutz für Jugendliche; Arbeitszeitschutz; Arbeitsämter; Arbeitseinsatz; Notstandsarbeiten; Arbeiter- und Angestelltenversicherung; Krankenversicherung; Invalidenve rsicherung; Volksschulen: Lehrerbesoldung, Unterricht, Lehrerwohnungen, Schulgebäude; Fach- und Berufsschulen; höhere Schulen; Kleinkinderpflege; Ausscheidung der Mesner- und Organistenbesoldungsteile aus dem Schuleinkommen; Organisation und Personal der Polizei; Gefängnisse; Aufsicht über Vereine und Versammlungen; Meldewesen; Ausländerwesen; Paßwesen; Auswanderung; Waffen und Munition; Ausweisungen aus sicherheitspolizeilichen Gründen; Landstreicher und Bettler; Tanzveranstaltungen; Schmutz und Schund; Schau- und Lichtspiele; Gücksspiele und Lotterien; Betreuung von Ausländern, Staatenlosen und Zwangsverschleppten; Fürsorge für Inländer im Ausland; Schutz der Jugend; Organisationen der freien Wohlfahrtspflege; Wohnungsbau, Wohnungsaufsicht und Wohnungsbeschlagnahme; bevölkerungs- und rassepolitische Maßnahmen; Heil- und Pflegepersonen; Krankenhäuser; Bäder; Verkehr mit Arzneimitteln und Drogen; Unfruchtbarmachung; Impfwesen; Nahrungsmittelaufsicht, Verkehr mit Schlachtvieh und Fleisch, sonstige Nahrungs- und Genußmittel; Bestattungswesen; Veterinärwesen; Standesämter; Strafrechtspflege; Militär: Militärstrafrecht, militärische Anlagen und Einrichtungen, Kriegsgefangene, Luftschutz, Fremdenlegion; Statistik.
- Reference number of holding
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Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 65/36 T 6
- Extent
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451 Akten (13,2 lfd.m)
- Context
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen (Archivtektonik) >> Südwürttembergische Bestände >> Inneres >> Oberämter und Landratsämter >> Oberamt/Landratsamt Tübingen
- Related materials
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Dehlinger, A: Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, 1 - 2, 1951 - 1953. Goes, J.: Entstehung des württembergischen Oberamts Tübingen, in: Tübinger Blätter 30 (1939) S. 27 - 32. Grube, W.: Vogteien, Ämter, Landkreise in der Geschichte Südwestdeutschlands, 3. Auflage 1975. Historischer Atlas von Baden-Württemberg. Hg. von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg; Karten VII, 4-5 mit Beiwort von U. Redecker und W. Schöntag, 1976. Der Landkreis Tübingen. Hg von der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Tübingen, 1-3, 1967-1974 Der Kreis Tübingen. Hg. von Wilhelm Gfrörer, 1988. Wintterlin, F. :Geschichte der Behördenorganisation in Württemberg, 1 - 2, 1904-1906.
- Indexentry place
-
Tübingen TÜ; Landratsamt
- Date of creation of holding
-
1780-1968
- Other object pages
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- Rights
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03.04.2025, 8:37 AM CEST
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1780-1968