Akten
Schlossarchiv Piesing (Bestand)
Schlossarchiv Piesing: Mit Vertrag vom 3. November 2008 hat Philipp Freiherr von Ow dem Staatsarchiv München den größten Teil des Schlossarchivs Piesing als Depot zur dauerhaften Verwahrung überlassen. Das Staatsarchiv hat sich im Gegenzug verpflichtet, die Archivalien als eigenen Bestand aufzustellen, zu ordnen und für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen.
Die ehemaligen Hofmarken Piesing und Haiming, deren Archivgut einen wesentlichen Teil des vorliegenden Findbuchs ausmachen, liegen im Landkreis Altötting am Zusammenfluss von Salzach und Inn und gehörten bis 1803 zum Landgericht Neuötting. Die aus dem Schwäbischen stammende und in der Reichritterschaft Neckar-Schwarzwald immatrikulierte Familie von Ow war im Jahr 1869 durch Erbschaft in den Besitz dieser Liegenschaften gelangt, nachdem Josepha und Ludowica von Berchem, zwei Töchter von Sigmund Graf von Berchem, sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit den Brüdern Max und Felix von Ow verheiratet hatten.
Das dem Staatsarchiv überlassene Archivgut endet im Wesentlichen mit dem Jahr 1869. Es enthält daher so gut wie keine Dokumente über die Familie von Ow, sondern fast ausschließlich Material aus der Zeit der Vorbesitzer von Piesing und Haiming. Den Kern bilden dabei diejenigen Hofmarken, die Maximilian Franz Joseph Graf von Berchem (1702 - 1777) in seinen Besitz gebracht hatte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Registraturen der von Berchemschen Hofmarken in Schloss Haiming zusammengezogen worden. Das Archiv enthält aus diesem Grund mehr oder weniger umfangreiches Material aus allen Hofmarken im Besitz der Familie, darunter auch die Überlieferung einiger niederbayerischer Hofmarken. Grundherrschaftlicher Streubesitz und damit verbundene hofmarkische Jurisdiktionsbefugnisse reichten darüber hinaus in die alten Landgerichte Wildshut, Braunau, Mauerkirchen und Weilhart in das heutige Oberösterreich hinein. Für fast alle Hofmarken geht die Überlieferung bis ins frühe 17. Jahrhundert, teilweise sogar bis ins 15. und 16. Jahrhundert zurück. Besonders zu erwähnen sind hier die frühen Urbare des Sitzes Triftern, die aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen und neben den üblichen grundherrlichen Einträgen auch Familiennachrichten der damaligen Besitzer, der Herren von Lenberg, enthalten.
Die Familie von Berchem entstammt dem Kölner Patriziat. Anton von Berchem (1632-1700), Großvater von Graf Maximilian Franz Joseph, hatte nach dem Studium der Rechtswissenschaften eine Stelle als Notar beim Reichskammergericht in Speyer erhalten, von wo ihn die Wittelsbacher nach Bayern beriefen. Sein Enkel Maximilian Franz Joseph trat nach dem Studium der Kameralwissenschaften in den bayerischen Staatsdienst ein und stieg unter Kurfürst Max III. Joseph als Konferenzminister und Hofkammerpräsident zu dem mit Abstand bedeutendsten Staatsminister seiner Zeit in Bayern auf. Hand in Hand mit seiner politischen Karriere gelangte Maximilian Franz Joseph (ab 1772 Graf, ab 1777 Reichsgraf) im Verlauf seines Lebens zu großem Wohlstand. 1736 erwarb er die Hofmark Ritzing, 1737 den Sitz Trostberg. Durch die Ehe mit Maria Theresia von Gemmel, der Witwe von Karl Adam Freiherrn von Freyberg, gelangte er im Jahr 1740 in den Besitz der Hofmark Piesing. Es folgten die Ankäufe des Amtes Asang (1747), der Sitze Schedling und Heretsham (1750), der Hofmarken Obertürken (1756), Haiming und Winklham (1759), Seibersdorf (1769/1771) und Niederperach (1776). Zeitweise befanden sich zudem die Hofmarken Birnbach (1776 - 1777, 1828), Schermau (1768 - 1798) und Haus (1771) sowie die Sitze Nöham (ca. 1752 - ca.1775), Kollersaich (1760), Mundenham (vor 1752 - ca. 1794), Oberhausen (1768), Frammering (1791 - 1810) und Rinkam (1808) im Besitz des Ministers und seiner Nachkommen.
Schloss Haiming entwickelte sich unter Graf Maximilian Franz Joseph schon bald zum Verwaltungszentrum der von Berchemschen Besitzungen in Ober- und Niederbayern. Von hier aus wurden die Hofmarken Piesing und Obertürken, das Amt Asang und der Sitz Winklham verwaltet. Als weitere Amtssitze dienten Ritzing mit Seibersdorf sowie Schloss Schedling mit den Sitzen Trostberg und Heretsham. Die Verwalter in Ritzing und Schedling hatten an den Verwalter in Haiming, der in der Regel auch das Amt des Hofmarkrichters in Haiming und Piesing innehatte, Bericht zu erstatten. Die jährlich geführten Hauptabrechnungen über sämtliche Hofmarken in von Berchemschen Besitz vermitteln seit den 1770er Jahren das Bild einer straff geführten zentralen Verwaltung, die ihren Sitz in Haiming hatte. Erst seitdem die auf Haiming und Piesing verteilten Archivalien nach 1980 im Schloss Piesing zusammengeführt wurden, trägt das Archiv die Bezeichnung SCHLOSSARCHIV PIESING.
Im Jahr 1820 entstand in Haiming, das mit Piesing im Jahr 1817 dem Unterdonaukreis zugeteilt worden war, ein Patrimonialgericht I. Klasse, dem alle Untertanen der Hofmarken Piesing, Haiming, Niederperach, Ritzing, Seibersdorf und Obertürken unterstellt waren. Als durch die Verwaltungsreform von 1837/38 das Patrimonialgericht Haiming an Oberbayern zurückfiel, errichtete Sigmund Graf von Berchem zur Wahrung seiner Standesrechte in Niederbayern ein eigenständiges Patrimonialgericht im niederbayerischen Ritzing, dem ab sofort auch die von Berchemschen Untertanen in Obertürken und Seibersdorf unterstellt waren. Unter archivalischen Gesichtspunkten wirkt diese Trennung bis heute nach; während die Briefprotokolle und Verwaltungsunterlagen (Straßenbau, Flussbau, Kultusangelegenheiten) des oberbayerischen Patrimonialgerichts Haiming (mit Piesing und Niederperach) über das Landgericht Altötting oder das Amtsgericht Burghausen ihren Weg in das Staatsarchiv München nahmen, gingen die entsprechenden Unterlagen des niederbayerischen Patrimonialgerichts Ritzing (mit Obertürken und Seibersdorf) an das Staatsarchiv Landshut über.
Die Bestände im Staatsarchiv München wurden dem Schlossarchiv Piesing unter Berücksichtigung des staatlichen Eigentums wieder eingegliedert. Ausgenommen blieben lediglich die Briefprotokolle der ehemals zum Kloster Baumburg gehörigen Hofmarken Niederperach und Birnbach von 1594 bis 1820, die im Jahr 1989 an das Bayerische Hauptstaatsarchiv abgegeben worden sind (Br.Pr. Fasz. 51 Nr. 3 u. Br.Pr. Fasz. 106 Nr. 341-351). Sie entstammen ebenfalls dem Schlossarchiv Piesing.
Bei der Erschließung des Materials diente die Gliederung nach Hofmarken als grundlegendes Ordnungsprinzip. Die Ordnungsstruktur folgte dabei weitgehend einem Registraturverzeichnis von 1789 für die Hofmarken Haiming, Piesing, Obertürken und Niederperach (Schlossarchiv Piesing Nr. 1). Diese Struktur wurde auch für die Zentralverwaltung sowie für die restlichen Hofmarken übernommen, für die keine eigenen Registraturverzeichnisse mehr überliefert sind.
Der reiche Urkundenbestand des Schlossarchivs ist seit den umfassenden Ordnungsarbeiten durch Anton von Ow gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus konservatorischen Gründen provenienzunabhängig in einer nummerischen Reihe (Nr. 1- 499) zusammengelegt. Für den überwiegenden Teil dieser Urkunden aus der Zeit von 1330 bis 1848 hat Anton von Ow Regesten in den Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern in den Bänden 30(1894) und 31(1895) veröffentlicht. Diese Urkunden sind im vorliegenden Findbuch nur über eine Aussteller-Sieglerliste erfasst. Eine Konkordanzliste zu den veröffentlichten Regesten liegt dem Findbuch bei. Gleichzeitig wurde im Findbuch auf eine Zuordnung der Urkunden nach Hofmarken verzichtet. Eine weitere Liste ordnet die Urkunden nach Vorprovenienzen, sodass die einzelnen Urkunden auf diese Weise auch nach Hofmarken abrufbar sind. Neben den Urkunden des von Berchemschen Besitzkomplexes, der 1869 an die Familie von Ow gefallen war, finden sich hier auch 37 Urkunden der Hofmark Schermau (Lkr. Dingolfing), die nach Verkauf der Hofmark im Jahr 1798 an den Freiherrn von Grießenbeck im Archiv der Grafen von Berchem verblieben. 18 weitere Urkunden dieser Hofmark waren im Jahr 1910 an den Freiherrn von Malsen-Ponickau geschenkt worden und wurden vermutlich im Jahr 1974 in Lindau versteigert. Die Urkunden der Hofmarken Schöllnach, Sengkofen oder Wolnzach stammen dagegen noch aus den Registraturen von früheren Inhabern der von Berchemschen Hofmarken.
Weitere einzeln gelegte, bisher noch nicht durch Regesten erschlossene Urkunden wurden in einer eigenen chronologischen Reihe erfasst und sind den einzelnen Hofmarken zugeordnet. Papierurkunden, die zum Zeitpunkt der Erschließung noch Bestandteil eines Aktes waren, wurden in dem betreffenden Akt belassen. Der Urkundenbestand des Schlossarchivs ist über das Projekt MONASTERIUM digitalisiert und kann ab Frühjahr 2011 im Internet unter www.monasterium.net aufgerufen werden.
Neben diesen reinen Hofmarksunterlagen enthält der Bestand vor allem Unterlagen und Aufzeichnungen einzelner Hofmarksinhaber und ihrer Familien.
Die Familie von Berchem hat neben einer umfangreichen Familienkorrespondenz und zahlreichen Familienunterlagen vor allem Regierungs- und Landschaftsunterlagen hinterlassen. Für die Geschichte des Kurfürstentum Bayerns von besonderer Bedeutung sind die Akten des Hofkammerpräsidenten Maximilian Franz Joseph Graf von Berchem, die Baron Anton von Ow dem Allgemeinen Reicharchiv bereits in den Jahren 1910 und 1919 übereignet hat. Sie liegen heute weitgehend im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (u.a. Altbayerische Landschaft 1488b-l). Aus dem Nachlass der Grafen Karl und Max von Berchem aus ihrer Tätigkeit als Verordnete der Landschaft stammt unter anderem eine fast vollständige Serie von Postulatsakten zwischen 1778 und 1806, die bis heute Bestandteil des Schlossarchivs Piesing sind.
Der Nachlass und die Bibliothek des Freiherrn Hannibal von Mörmann (+ 1736), der zwischen 1693 und 1736 als Resident und Gesandter des Kurfürstentums Bayern am kaiserlichen Hof in Wien tätig war, gelangten nach seinem Tod über seine Tochter Maria Anna Rosa (1704-1739), die mit Maximilian Franz Joseph Graf von Berchem verheiratet war, nach Piesing. Die diplomatische Korrespondenz Mörmanns hat die Familie von Ow dem Geheimen Staatsarchiv bereits im Jahr 1919 als Schenkung zukommen lassen (heute: BayHStA Kasten schwarz u. Gesandtschaft Wien). Mörmanns privater Nachlass befindet sich dagegen bis heute im Schlossarchiv. Die Bibliothek Mörmanns tauschte sein Schwiegersohn bereits im Jahr 1739 mit Kurfürst Karl Albrecht gegen einige Tafernen ein. Sie wurde der kurfürstlichen Bibliothek eingegliedert und steht heute in der bayerischen Staatsbibliothek. Nur ein kleiner Restbestand an Büchern, der vor allem Abhandlungen zur bayerischen Geschichte enthält, hat sich im Bestand des Schlossarchivs erhalten.
Der Nachlass des Erzbischofs von München und Freising und späteren Kurienkardinals Karl August Graf von Reisach (1800 - 1869) fiel nach dem Tod seiner Nichte Pauline von Griegling im Jahr 1901 an deren Vetter, den Passauer Bischof Sigmund Felix von Ow, der ihn daraufhin nach Piesing überstellte. Neben der privaten Korrespondenz des Kardinals enthält der Nachlass vor allem Ahnenproben der Familie von Reisach, Urkunden zur Hofmark Ramspau (Gde. Regenstauf, Lkr. Regensburg) sowie eine Porträtsammlung von Mitgliedern der Familie aus dem 19. Jahrhundert. Über Bischof Sigmund Felix von Ow gelangten auch die Tagebücher des Freiherrn Theodor von Ingenheim aus den Jahren 1783 bis 1789 nach Piesing.
Das Familienarchiv der Freiherrn von Ow ist in dem an das Staatsarchiv München übergebenen Depot nicht enthalten. Die Familienunterlagen, darunter auch die Nachlässe des Passauer Bischofs Sigmund Felix von Ow (1855-1936), des Landtags- und Reichstagsabgeordneten Karl von Ow (1818-1898) und Joseph von Ows (1814-1861), der im Gefolge von König Otto nach Griechenland gegangen war, befinden sich nach wie vor in Schloss Piesing. Ein Inventar des Familienarchivs liegt seit 2004 in zwei von Rudolf Seigel bearbeiteten Bänden in der Reihe der 'Inventare der nichtstaatlichen Archive in Baden - Württemberg' gedruckt vor.
- Bestandssignatur
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StAM, Schlossarchiv Piesing
- Umfang
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2452
- Sprache der Unterlagen
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deutsch
- Kontext
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Staatsarchiv München (Archivtektonik) >> IV. Nichtstaatliches Archivgut >> B. Archive des Adels, adelige Standesherrschaft und Jurisdiktion >> 1.) Adelsarchive
- Provenienz
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Schlossarchiv Piesing
- Bestandslaufzeit
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1400-1900
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
-
22.04.2025, 11:00 MESZ
Datenpartner
Staatsarchiv München. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Akten
Beteiligte
- Schlossarchiv Piesing
Entstanden
- 1400-1900