Semonides-Rezeption in der Frühen Neuzeit : : literarische Indienstnahmen des Weiberiambos

Abstract: Satirische Beschreibungen der Frau, zumeist aus der Perspektive von Männern, sind in der Literatur der Frühen Neuzeit ubiquitär.[1] Während sich im Zuge der Aufklärung die essentialistische Vorstellung zweier ‹natürlicher› und unwandelbarer Geschlechter weitgehend durchsetzte, galt die Frau zuvor vorrangig als defizitäre Version des Mannes, woraus ihre ontologische Inferiorität abgeleitet wurde.[2] Das 17. Jahrhundert repräsentiert die Hochphase der Querelle des Sexes im deutschsprachigen Raum, des Geschlechterstreits, in welchem der moralische Rang, der Wert sowie die intellektuellen Fähigkeiten von Frauen zunehmend kontrovers diskutiert wurden.[3]

Frauensatiren zielen auf Eigenschaften und Verhaltensweisen weiblicher Figuren, die einer gesellschaftlich kodierten gender-Norm nicht entsprechen und insofern auch ‹den Mann› mittel- oder unmittelbar betreffen. So stellen ‹böse Frauen› eine Herausforderung für die Männer dar, wie Balthasar Kindermann in seiner prosimetrischen Satire Die Böse Sieben (1662) – frei nach Salomon – paradigmatisch zum Ausdruck bringt: «Denn ich mich/ in Wahrheit/ für den bösen Weibern ärger fürchte/ als für allen ThiegerThieren in gantz Lybien».[4] Insofern, als die wirkungsästhetische Funktion der Frauensatire darin besteht, mit der übersteigerten Repräsentation weiblichen Unwesens die gegenderte Norm zu affirmieren, reagiert die Frauensatire auf die in der Querelle des Sexes artikulierte Infragestellung vermeintlich gottgegebener männlicher Überlegenheit.[5] Doch neben der dargestellten Normverletzung (diegetische Ebene) mit einhergehender Normstabilisierung (vorgebliche Intention) birgt die literarische Gattung immer auch das subversive Potenzial, die Legitimität der jeweiligen Norm in Frage zu stellen.[6]

Wenn Frauen in vielen Texten der Frühen Neuzeit als wollüstig, herrschsüchtig, hässlich, unmoralisch und ungebildet repräsentiert werden, wird an topische Traditions- und Argumentationsstrukturen angeknüpft. Die sprachlichen Mittel reichen von realistischer Darstellung über groteske Überzeichnung hin zu offener Komik und entwickeln mithin eine ästhetische Eigendynamik, die mit der vermeintlichen wirkungsästhetisch-didaktischen Erzählabsicht konfligiert. Deutschsprachige Frauensatiren wurden bisher vor allem als spätmittelalterliches Phänomen behandelt und weniger auf Umprägungen und Neuakzentuierungen hin untersucht.[7] Unberücksichtigt blieb so die Frage, inwieweit der frühneuzeitliche Genderdiskurs von der humanistischen Antikerezeption beeinflusst und modifiziert wurde.[8] Im Folgenden soll gezeigt werden, wie der klassische Gründungstext der antiken Frauensatire, Semonides’ Weiberiambos (7. Jh. v. Chr.), eines der ältesten Zeugnisse der griechischen Literaturgeschichte, die Geschlechterdebatte der Frühen Neuzeit prägte

Standort
Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main
Umfang
Online-Ressource
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Antike und Abendland. - 65-66, 1 (2020) , 244-265, ISSN: 1613-0421

Klassifikation
Deutsche Literatur
Schlagwort
Neuzeit
Rezeption

Ereignis
Veröffentlichung
(wo)
Freiburg
(wer)
Universität
(wann)
2022
Urheber

DOI
10.1515/anab-2019-0012
URN
urn:nbn:de:bsz:25-freidok-2234403
Rechteinformation
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Letzte Aktualisierung
25.03.2025, 13:45 MEZ

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Beteiligte

Entstanden

  • 2022

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