Bestand

C. Bertram Reinh. Sohn, Stahlwarenfabrik Beethovenstraße (Bestand)

Vorwort Bereits kurz nach ihrer Gründung 1865 wandte sich die Firma von Carl Bertram der Herstellung besonders ausgesuchter Qualitäten von Taschen- und Federmessern zu und wählte als Firmenzeichen "Hahn und Henne". Die Firma wuchs bis zum Ersten Weltkrieg auf ca. 20 Beschäftigte und ebenso viele Heimarbeiter. Anfang des Jahrhunderts wurde als Erweiterung ein Fabrikneubau an der Beethovenstr. 103 errichtet. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Produktion um feine Scheren, Nagelzangen, Pinzetten und wohl auch direkte Kriegsproduktion erweitert. Die Krisenjahre der 1920er und frühen 1930er konnte die Firma leidlich überstehen, bis es im Zuge des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs aufwärts ging, so daß man sich maßgeblich an der Gemeinschaftsausstellung für Solinger Stahlwaren auf der Pariser Weltausstellung 1937 beteiligen konnte. Nach dem Krieg nahm man überwiegend unbeschädigt mit wesentlich reduzierter Mitarbeiterzahl ab August 1945 die Produktion wieder auf, wobei die wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit weitestgehend der allgemeinen der Solinger Stahlwarenindustrie entsprach. 1976 wurde die bis dahin im Familienbesitz gebliebene Firma, die seit 1980 nicht mehr existiert, verkauft. Der Gründer der Firma, Carl Bertram, wurde am 13.11.1841 am Mangenberg, Stadt Wald, geboren. Sein Vater Reinhard Bertram arbeitete als Federmesserreider, der Sohn erlernte später denselben Beruf. 1865 gründete er dann seine eigene Firma, eine für die Solinger Industrieverhältnisse nicht untypische Entwicklung vom Handwerkerarbeiter zum Kleinfabrikanten. Von Anfang an spezialisierte sich Bertram auf die Herstellung besonders ausgesuchter Qualitäten von Taschen- und Federmessern. So wurde das Unternehmen in Fachkreisen sehr bald bekannt und "erlangte einen guten Ruf" (ST 30.11.1940) Zu seinem Firmenzeichen erwählte Carl Bertram, weil er nebenbei auch Hühner züchtete, "Hahn und Henne". In den Jahren bis zum 1. Weltkrieg wuchs die Firma Bertram kontinuierlich. Die Zahl der Beschäftigten dürfte aber 20 kaum überschritten haben. Die Anzahl der für die Firma arbeitenden Heimarbeiter lag wahrscheinlich in der gleichen Größenordnung. (Genauere Angaben waren im Rahmen der Bearbeitung dieser Übersicht nicht zu ermitteln). Carl Bertram heiratete 1877 Hulda Everts, geboren am 15.02.1847, Sohn Carl Ernst wurde am 20.12.1879 und Sohn Paul am 28.05.1881 geboren. Beide erhielten eine Ausbildung, die die Fortführung des väterlichen Betriebes gewährleisten sollte. Ernst lernte Fabrikationsgehilfe, Paul Messerreider. Im Jahr 1912 übergab Carl Bertram 71jährig seine Firma an seine beiden Söhne. Carl Bertram verstarb am 02.11.1923, seine Ehefrau Hulda am 02.01.1929. Das Wachsen der Firma erforderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Ausweitung der Produktionsräume. Ein Fabrikneubau auf der Beethovenstraße 103 wurde errichtet. Vor allem während des 1. Weltkriegs erweiterte sich die ursprüngliche Produktionspalette durch die Aufnahme feiner Scheren, Nagelzangen und Pinzetten, aber vermutlich auch direkter Kriegsproduktion. Die Krisenjahre der 20er und 30er Jahre konnte die Firma einigermaßen überstehen, weil sie auch weiterhin ihren Qualitätsstandard einigermaßen aufrecht erhielt, und nicht die Zuflucht zu der sonst in Solingen oft üblichen Qualitätsverschlechterungen nahm (ST 30.11.1940) In diesen auch für die Solinger Industrie extrem schwierigen Zeiten begann der Wechsel von der 2. Generation zu 3. Generation des Fabrikantenfamilie Bertram. Am 14.05.1933 verstarb Paul Bertram. Sein Sohn Dr. Kurt Bertram trat an seine Stelle als Teilhaber neben seinen Onkel in die Firma ein. Kurt Bertram war am 05.01.1905 als ältestes Kind der Eheleute Paul Bertram und Anna Evertz (geboren 28.09.1878, gestorben 13.05.1940) geboren worden. Er besuchte das Gymnasium Schwertstraße und machte 1924 das Abitur. Danach studierte er in Lausanne, München und Köln. 1928 erwarb er den akademischen Grad eines Diplom-Kaufmanns und promovierte 2 Jahre später an der Universität Köln zum Dr. rer. pol. Er war anschließend in einem Werbeunternehmen tätig, machte sich noch im gleichen Jahr selbständig und führte bis zum Eintritt in die Firma Bertram 1933 ein Ausstellungsunternehmen (Mitteilungen der IHK-Solingen 1975, S.28). Die Teilhabe an der väterlichen Firma scheint nicht unbedingt das Ziel der unternehmerischen Tätigkeit von Dr. Kurt Bertram gewesen zu sein. Durch den frühen Tod seines Vaters sah er sich zu diesem Schritt gezwungen, und versuchte das Beste daraus zu machen. Besonders intensiv beschäftigte sich Kurt Bertram mit Werbung für die Solinger Stahlwaren im allgemeinen und die Produkte seiner Firma im Besonderen. Schon 1931 hatte er die Schrift "Die Frage der Gemeinschaftswerbung für Solinger Stahlwaren" (eingestellt in der Bibliothek des Stadtarchivs: Signatur KA 1108) veröffentlicht. Angeregt wurde er zu dieser Arbeit durch sein Studium und die Diskussion in der Solinger Industrie über diese Frage zum Ende der 20er Jahre. Folgerichtig beteiligte sich die Firma Carl Bertram auch maßgeblich an der Gemeinschaftsausstellung für Solinger Stahlwaren auf der Pariser Weltausstellung 1937. Neben Kurt Bertram nahm auch der Sohn von C. Ernst Bertram, Edgar, Anfang der 30er Jahre die Tätigkeit in der väterlichen Firma auf. Edgar Bertram war am 27.05.1906 als Kind der Eheleute C. Ernst Bertram und Ella Balke (geboren 13.05.1882, gestorben 31.03.1955) geboren worden. Er erhielt eine vielseitige sowohl kaufmännische als auch handwerkliche Ausbildung. Lehrzeiten als Reider und Schleifer wechselten mit dem Besuch der Handelsschule, einer einjährigen Ausbildung in einem Hamburger Indien-Exporthaus und der Arbeit in einem Londoner Import-Export-Geschäft. Den Abschluß bildete 1930/31 ein anderthalbjähriger Studienaufenthalt in Amerika "(Solinger Morgenpost 27.05.1981)". Ab Mitte der 30er Jahre konnte auch die Firma Bertram an dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung teilnehmen. Die Beschäftigtenzahl stieg wieder langsam an. Waren am 31.12.1933 15 Arbeitskräfte (ohne Heimarbeiter) bei der Firma Bertram tätig, so waren es am 30.06.1936 schon 20. Tabelle: Beschäftigte Firma Bertram (ohne Heimarbeiter) 31.12.1933 30.06.1939 Tätige Inhaber männl. 2 2 Angestellte männl. 1 2 kaufm. weibl. 1 - Angestellte technisch männl. 1 2 Arbeiter männl. 7 10 weibl. 3 4 insgesamt 15 20 (Quelle Fi 1-300) Ende 1941 beschäftigte die Firma Bertram insgesamt 41 Personen (35 Männer, darunter 1 Schweizer und 6 Frauen). Produziert wurden im Jahre 1941 insgesamt 43000 Taschenmesser, 30000 Scheren und 12000 Nagelzangen, ausschließlich traditionelle Produktion, keine spezielle Rüstungsproduktion. 1942 sank die Produktion um ca. 20% und die Beschäftigungszahl auf zusammen 28 Arbeitskräfte. Im Zuge der totalen Kriegswirtschaft wurde auch die Firma Bertram ab Januar 1943 in die direkte Herstellung von Kriegsgütern einbezogen. Neben der traditionellen Produktpalette fertigte sie nunmehr in Lohnarbeit Einzelteile für die Maschinengewehre MG 42 und MG 44. Höhepunkt dieser Rüstungsproduktion lag im Sommer und Herbst 1944. Am 01.11.1944 wurden 80% der gesamten Produktion für Kriegsteile aufgewendet. (Quelle Fi 1-298) Mit der Einbeziehung in die direkte Kriegsproduktion veränderte sich auch die Zahl und die Struktur der Beschäftigten. Die Zahl der Facharbeiter blieb fast konstant, die Zahl der ungelernten weiblichen Hilfskräfte und ab Januar 1945 auch der Ostarbeiter stieg. (30.06.) (30.06) (30.06.) (31.01.) 1942 1943 1944 1945 Angestellte 5 6 6 6 Facharbeiter männlich 21 20 23 23 ungelernte Hilfsarbeiter weiblich 2 9 6 6 Ostarbeiter männlich / / / 3 insgesamt 28 35 35 38 (Quelle: Fi 1-294) Die Zahl der Facharbeiter schließt wahrscheinlich auch die Heimarbeiter mit ein. Von 21 Facharbeitern waren im Jahre 1942 11 im Betrieb beschäftigt, 2 Heimarbeiter hatten ihre Arbeitsstätte im Betrieb und 8 außerhalb des Betriebes. Durch Bombenangriffe wurde der Betrieb auf der Beethovenstraße nicht in direkte Mitleidenschaft gezogen. Weder die großen Angriffe auf die Solinger Innenstadt am 4./ 5.11.1944 noch der schwere Angriff auf die Firma Rautenbach am Mangenberg im Jan./ Februar 1945 hinterließen Schäden durch Bombentreffer. (Quelle Fi 1-298). Nach dem Verbot der Produktion für die gesamte Solinger Stahlwarenindustrie durch die amerikanische Besatzung versuchte Dr. Kurt Bertram möglichst schnell wieder die Erlaubnis zur Aufnahme der Produktion von der Besatzungsmacht zu erreichen, u.a. mit dem Argument, im gesamten Betrieb vom Inhaber bis zum Arbeiter sei niemand Mitglied der NSDAP gewesen. Ab August 1945 konnte wieder mit der Herstellung der traditionellen Produkte der Firma Bertram begonnen werden. Beschäftigt waren 3 männliche Angestellte, 18 männliche Facharbeiter und 3 weibliche ungelernte Hilfsarbeiterinnen. Der akute Facharbeitermangel der gesamten Solinger Stahlwarenindustrie ermöglichte eine Kapazitätsausnutzung von lediglich 50%. Dr. Kurt Bertram widmete sich nach dem 2. Weltkrieg nicht nur seinem eigenen Betrieb, sondern setzte sich für die Organisation der gesamten Solinger Wirtschaft ein. Seit 1947 war er Mitglied der Vollversammlung der IHK-Solingen, noch im gleichen Jahr wurde er zu ihrem Vizepräsidenten gewählt. Dieses Amt hatte er ununterbrochen bis zu seinem Tode am 07.08.1975 inne. Darüber hinaus war er viele Jahre lang Mitglied des Beirates des Industrieverbandes Schneidwaren und Bestecke e.V. Nach dem Tode seines Vaters C. Ernst Bertram am 10.11.1953 übernahm Edgar Bertram zusammen mit Dr. Kurt Bertram die gemeinsame Leitung der Firma. Während Kurt Bertram v.a. für den kaufmännischen Teil verantwortlich war, übernahm Edgar Bertram die Betriebsleitung. (SM 27.05.1981) Die wirtschaftliche Entwicklung der Firma Bertram entsprach weitestgehend der allgemeinen Entwicklung der Solinger Stahlwarenindustrie. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 25 im Jahr 1946 auf 61 (einschließlich 30 Heimarbeiter) im Jahr 1951. Während der Jahre des sogenannten "Wirtschaftswunder" der 1950er und frühen 1960er Jahre sank die Zahl der Arbeitskräfte der Firma Bertram langsam auf 56 einschließlich Heimarbeiter im Jahr 1965. In der ersten stärkeren Krise der Nachkriegszeit 1966/1967 wurde auch die Firma Bertram betroffen, die Zahl der Beschäftigten sank auf insgesamt 42. Für die Jahre bis 1975 und danach konnten keine genaueren Angaben mehr ermittelt werden. Doch scheint sich die Firma seit Mitte der 60er Jahre wirtschaftlich nicht mehr richtig erholt zu haben. (Quelle: Fi 1-294) Nach dem Tode von Dr. Kurt Bertram im Jahre 1975 verkaufte wenig später Edgar Bertram die Firma an die amerikanische Firma Russell, die seit 1980 nicht mehr existiert. BESTANDSGESCHICHTE Als der Niedergang der Firma Carl Bertram 1980 nicht mehr aufzuhalten war, beschloß Edgar Bertram, wenigstens die Geschichte seiner Firma und damit auch einen Teil der Geschichte der Solinger Schneidwarenindustrie nicht untergehen zu lassen und für kommende Generationen zu dokumentieren. Der Betrieb, die Produktion und die Fabrikationspalette wurden auf von Edgar Bertram kommentierten Videoaufnahmen festgehalten (erstellt von Thomas Wingen), Maschinen und Inneneinrichtung wurden zusätzlich auf Fotos aufgenommen (M. Kuhl für das Stadtarchiv Solingen). Die schriftlichen Unterlagen der Firma (Firmenakten) wurden dem Stadtarchiv Solingen zur Aufbewahrung übergeben. Sie wurden den Beständen des Stadtarchivs zugeordnet und erhielten die Bestandsnummer Fi 1. Die Firmenakten umfassen insgesamt 321 Archiveinheiten, die Laufzeit liegt zwischen 1866 und 1978. Inhaltliche Schwerpunkte der Überlieferung sind a) die Rechnungsakten des Einkaufs. Archiviert wurden hiervon diejenigen Akten, die sich auf Solinger oder Firmen der näheren Umgebung beziehen. Die restlichen Stücke wurden kassiert. Laufzeit der Akten zwischen 1927 - 1962 b) Lohnunterlagen v. a. Lohnbücher 1911 - 1934 und Heimarbeiter Lohnbücher und Lohnkartei 1911 - 1978 c) Aus der Produktion Arbeitsablaufkarteien und Lieferbücher für Heimarbeiter d) Werbung der Firma Bertram, anderer Solinger Stahlwarenfirmen, Gemeinschaftswerbung in den 30er Jahren und eine Vielzahl von Angeboten, Preislisten und Prospekten von Solinger und bergischen Firmen. Die von M. Kuhl angefertigten Fotos sowie von E. Bertram aus Privatbesitz hinzugefügte Bilder wurden in das Bildarchiv des Stadtarchivs Solingen in die Gruppen 1151 und 1422 eingeordnet. Der Bestand der Firma Bertram wurde 1983 - 1985 unter der Mithilfe von Frau Jakobs von Ralf Rogge verzeichnet. Zitierweise: Fi - 1- laufende Nummern. Größere Teile der Firmeneinrichtung wanderten in ein Museum der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund. Quellen zum Bestand: Firmengeschichte: Fi 1-294; Fi 1-296; Fi 1-298; Fi 1-300; Solinger Tageblatt: 75 Jahre C. Bertram Reinh. Sohn 30.11.1940; Lebenslauf Dr. Kurt Bertram: Mitteilungen der IHK-Solingen 1975, S. 28; Lebenslauf Edgar Bertram: Solinger Morgenpost 27.05.1981; Tarifordnung für das Schleifen von Stahlscheren in Heimarbeit 14.05.1943 (Wi 16 Nr. 68); Tarifordnung für das Ausmachen von Scheren in Heimarbeit 05.01.1937 (Wi 16 Nr. 64) FOTOS DER FIRMA BERTRAM aufgenommen von Manfred Kuhl November/ Dezember 1980 Bildarchivgruppe 1 Carl Bertram 13.11.1841 - 02.11.1923 (1151) 2 C. Ernst Bertram 20.12.1879 - 10.11.1953 (1151) 3 Paul Bertram 28.05.1881 - 14.05.1933 (1151) 4 Kurt Bertram 05.01.1905 - 07.08.1975 (1151) 5 Edgar Bertram 27.05.1906 - 12.1987 (1151) 6 Familienbild um ca. 1911 (1422) 7 Belegschaftsbild + Familien ca. 1910 (1422) 8 Belegschaftsbild u. Edgar Bertram ca. 1970 (1422) 9 Bilder einzelner Belegschaftsmitglieder/ Beschäftigte der Firma Bertram (1422) EINRICHTUNG DER FIRMA, PRODUKTIONSMITTEL, ARBEITSGÄNGE 27-34 Reiderei 35-36 Härterei 37-44 Schmiede 45 Abpolieren (Endbearbeitung) 46 Absauganlage 47 Fräs- und Schleifmaschinen 48-49 Blechscheren 50 Heftefassonieren 51 Hornschalen fräsen

Eingrenzung und Inhalt: Bestand enthält u.a.: Fabrikneubau; Einkauf; Verkauf; Korrespondenz; Buchhaltung; Lohnbuchhaltung; Lager/Versand; Produktion; Werbung (Fa. C. Bertram Reinh. Sohn; Solinger Stahlwaren; auswärtige Firmen; Preislisten / Zeitschriften / Festschriften); Privatunterlagen der Inhaber

Bestandssignatur
Fi 01
Umfang
Findbuch: 339 AE; unbearbeitet: 0,9 lfm

Kontext
Stadtarchiv Solingen (Archivtektonik) >> Bestände nichtstädtischer Provenienz >> Firmenarchive

Bestandslaufzeit
1866 - 1978

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Letzte Aktualisierung
23.06.2025, 08:11 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1866 - 1978

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