Bestand
Gesundheitsamt Leer (Bestand)
Bestandsgeschichte:
VORWORT
Inhalt: I. Die Gesundheitsämter
II. Der Bestand Rep. 78
Ausgewählte
Literatur
Anhang: übernommene Bücher
I.
Die Gesundheitsämter
Bis in die erste Hälfte des 19.
Jahrhunderts war die
staatliche Gesundheitsverwaltung
nur auf "Krankheits-
gefahren" ausgerichtet, d.h. auf
die Abwehr konkreter
Bedrohungen für die öffentliche
Gesundheit. Außerdem
organisierte und überwachte sie
das Heilwesen (Ärzte,
Apotheken, Hebammen
usw.).
Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann
allmählich
der Aufbau einer Gesundheitsverwaltung,
deren Gegen-
stand auch die Gesundheitsprophylaxe und
öffentliche
Hygiene war. Sie lag zunächst in der Hand
staatlicher
Behörden und Beamter, ehe es nach 1919
auch zur Gründung
von kommunalen und anderweitigen
Institutionen mit
Aufgaben im Bereich der
öffentlichten Gesundheit kam.
In den Landkreisen
oblag die Gesundheitsverwaltung seit
der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhundert den Kreisärzten
(Kreisyphysici), die als technische Berater den
Landräten
- diese bis 1945 staatliche Beamte -
zugeordnet waren.
Die Kreisärzte waren unmittelbare
Staatsbeamte, die die
gesundheitlichen Verhältnisse,
Anordnungen und Anstalten
in ihrem jeweiligen Kreis
zu überwachen und bei Gefahr im
Verzuge vorläufige
polizeiliche Anordnungen gegen die
Weiterverbreitung
gemeingefährlicher und übertragbarer
Krankheiten
selbständig zu treffen hatten. Außerdem nahmen
sie
auf Ersuchen an den Sitzungen des Kreisausschusses und
des Kreistages mit beratender Stimme teil und waren
der
Gerichtsarzt ihres Kreises. Die Kreisärzte waren
auch schon
damals berechtigt, an den Sitzungen des
Jugendamtes teil-
zunehmen. Anfang der 1930er Jahre
gab es in Preußen in
474 Kreisen und kreisfreien
Städten 397 Kreisärzte, die -
ähnlich den Schulräten
- als "Ein-Mann-Betriebe" fungier-
ten. Personal- und
Aufsichtsakten befinden
Bestandsgeschichte: sich
im Bestand
Landdrostei Aurich (Rep. 15) und Regierung
Aurich (Rep.
16).
Am 1. April 1935 wurden
in Ausführung des "Gesetzes über
die
Vereinheitlichung des Gesundheitswesens" vom 3.7.1934
und unter Rückgriff auf ältere Überlegungen, vor allem
aber
zur gezielten Durchsetzung der
nationalsozialistischen
Gesundheits- und
Rassenpolitik staatliche Gesundheitsämter
eingerichtet, denen die bisher durch die Kreisärzte
sowie
durch sonstige Institutionen ausgeübte
Gesundheitsverwal-
tung übertragen wurde. Sie waren
weiter der Aufsicht der
Bezirksregierung unterstellt
(vgl. Rep. 16). Zum erweiter-
ten Aufgabenbereich der
Gesundheitsämter, die auch über
eine "Beratungsstelle
für Erb- und Rassenpflege" und über
"Wohlfahrtspflegerinnen" verfügten, gehörten während
der
NS-Zeit u.a. Anträge auf Ehetauglichkeit,
Ehestandsdar-
lehen, Ausbildungsbeihilfen,
Ehrenpatenschaften usw.
Zu diesem Zweck wurden sog.
"Sippenakten" angelegt.
Wurden den Gesundheitsämtern
Fälle von Epilepsie, Schizo-
phrenie, Schwachsinn,
körperlichen Mißbildungen usw. als
mögliche
Erbkrankheiten gemeldet bzw. gingen die Gesund-
heitsämter aus eigener Initiative vor, so wurden nach
Maß-
gabe des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses"
vom 14.7.1933 zunächst im Gesundheitsamt
selber im Hinblick
auf eine mögliche
Zwangssterilisation Akten angelegt. Durch
den vom
Amtsarzt eingereichten Antrag entstand dann aber
auch
beim zuständigen Erbgesundheitsgericht eine Verfah-
rensakte.
Das für ganz Ostfriesland zuständige
Erbgesundheitsgericht
Aurich war beim Amtsgericht in
Aurich angesiedelt (Register
in Rep. 121). Berufungen
gegen Entscheidungen des EGG
Aurich waren beim
Erbgesundheitsobergericht in Celle mög-
lich, dessen
Akten im Hauptstaatsarchiv Hannover erhalten
sind,
soweit sie nicht vernichtet wurden.
Da die
Erbgesundheitsgerichte aber keine registratur-
führenden
Bestandsgeschichte:
Behörden waren, wurden die Akten nach Beendi-
gung
des Verfahrens dem Gesundheitsamt zur Aufbewahrung
übergeben, in dessen Zuständigkeitsbereich die
betreffende
Person wohnte. Von dort gelangte die
Verfahrensakten, so-
fern sie erhalten geblieben
sind, 1996 ins Staatsarchiv.
Diese Akten begründen
nicht nur die Wiedergutmachungs-
ansprüche der
Betroffenen, sondern sie stellen auch bedeut-
same
Quellen zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen
Gesundheitspolitik dar.
Auch nach dem Zweiten
Weltkrieg blieben die Gesundheits-
ämter
Landesbehörden. Gemäß Artikel V des 8. Gesetzes zur
Verwaltungs- und Gebietsreform vom 28.6.1977 (Nds.
Gesetz-
und Verordnungsblatt 1977, S. 233 ff) wurden
sie dann zum
1.1.1978 "kommunalisiert", d.h. sie
gingen in die jeweilige
Landkreisverwaltung über. Die
Medizinaluntersuchungsämter
blieben hingegen
bestehen; sie sind heute entweder aufge-
löst oder
Teil des Nds. Landesgesundheitsamtes.
II. Der Bestand
Rep. 78
In Ausführung der mit Zustimmung der
kommunalen Spitzen-
verbände erlassenen
Verwaltungsvorschriften zum Nds.
Archivgesetz (RdErl.
d. StK v. 10.1.1995, Nds. MBl. 1995,
S. 167 ff) und
gemäß eines Erlasses des Nds. Sozialmini-
steriums
vom 13.2.1994 (AZ 401-1-0540/3) an die Bezirks-
regierungen sind die Gesundheitsämter verpflichtet,
das
ehemals staatliche Schriftgut, das v o r ihrer
Kommuna-
lisierung entstanden und n a c h ihrer
Eingliederung in
die Kommunalverwaltung inhaltlich
nicht weiter bearbeitet
worden ist, dem zuständigen
Staatsarchiv zu übergeben.
Damit gewährleistet das
Land gemäß den Bestimmungen
des Nds. Archivgesetzes
von 1993 die Sicherung auch
jenes in den staatlichen
Gesundheitsämtern entstandenen
Schriftguts, das
gesonderten Geheimhaltungsvorschriften
unterliegt.
Die nunmehr kommunalen
Gesundheitsämter sind aufgrund
des Archivgesetzes
außerdem verpflichtet, die seit
Bestandsgeschichte:
1978
entstandenen bzw. danach erst geschlossenen
Akten ihrem
zuständigen Kreisarchiv zur Übernahme
anzubieten. Da die
Archive der Kreise Aurich, Leer
und Wittmund (Dep. 201-204)
vom Staatsarchiv Aurich
verwaltet werden, übernimmt dieses
auch in Zukunft
ausgewählte Zeugnisse der Amtstätigkeit.
Im
Zusammenhang mit der Gesamtübernahme aller noch
in
den Gesundheitsämtern liegenden Erbgesundheits-
und
Sterilisationsakten aus der NS-Zeit in die nieder-
sächsischen Staatsarchive wurde das Gesundheits-
amt Leer am 29.11.1995 besucht. Die als archivwürdig
bewerteten Akten wurden als Akzession 1995/28 im
Umfang von 1,5 lfd. m übernommen und 1997 unter
meiner Anleitung von Frau Janßen im vorliegenden
Findbuch verzeichnet.
Erbgesundheitsakten und
Sippenakten für den Kreis
Leer konnten
bedauerlicherweise nicht mehr übernom-
men werden, da
sie nach Aussage einer älteren Mit-
arbeiterin schon
vor 1975 auf Geheiß des damaligen
Amtsleiters
ausgesondert und vernichtet worden sind.
Hingegen
erlaubt es gerade die Überlieferungslage im
Gesundheitsamt in Leer, einen gewissen Eindruck von
den
routinemäßigen Aufgaben eines Gesundheitsamtes im
Rahmen
der Gesundheitsaufsicht zu gewinnen.
Dr. Wolfgang Henninger
Ausgewählte
Literatur:
- O. Rapmund, Erster Gesammt-Bericht über
das öffentliche
Gesundheitswesen des
Regierungsbezirks Aurich, 1883-1885,
Emden 1887
- Ders., Zweiter Gesammt-Bericht (...), Berlin 1890
- Bernhard Möllers, Gesundheitswesen und
Wohlfahrtspflege
im Deutschen Reich, Berlin
1925
- Graf Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und
Verwaltung
in Preußen und dem Deutschen Reiche, 23.
Aufl., Berlin
1926, S. 442 ff. (Q 7, 2)
-
Alfons Labisch/Florian Tennstedt, Gesundheitsamt oder
Amt für Volksgesundheit? Zur Entwicklung des
öffentlichen
Gesundheitsdienstes seit 1933, in:
Norbert Frei (Hrsg.),
Medizin und Gesundheitspolitik
in
Bestandsgeschichte: der
NS-Zeit, München
1991, S. 35-66 (M 25, 72)
- Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen, Kommunale
Gesundheitspolitik in der Zwischenkriegszeit.
Sozialhygiene
und Rassenhygiene am Beispiel
Gelsenkirchens, in: ebd.,
S. 67-80 (M 25, 72)
- Norbert Frei (Hrsg.), Medizin und Gesundheitspolitik
in
der NS-Zeit, München 1991, S. 309-323
(Auswahlbibliogr.)
- Sabine Kramer, "Ein ehrenhafter
Verzicht auf Nachkommen-
schaft". Theoretische
Grundlagen und Praxis der Zwangs-
sterilisation im
Dritten Reich am Beispiel der Rechtsspre-
chung des
Erbgesundheitsgerichts Celle, Baden-Baden 1998
(unter
Verwendung von Rep. 16/1 und Rep. 79)
Aus dem
Gesundheitsamt Leer übernommene Bücher
die sich jetzt
in der Dienstbibliothek des Staatsarchivs
befinden:
- Oskar Gundermann, Besichtigungen
durch das Gesund-
heitsamt, 3 Bde., Bielefeld
o.J.
- Anweisung zur Bekämpfung des Fleckfiebers
(Flecktyphus)
Berlin 1920
- Christoph
Harms, Die Entwicklungsstadien der Lungen-
tuberkulose, Leipzig 1926
- Bonne, Das
Verbrechen als Krankheit, München 1927
- Heinrich
Schopohl, Ausbildung und Prüfung der Mediziner
in den
Kulturländern, Berlin 1931
- Helene Wessel,
Lebenshaltung aus Fürsorge und aus
Erwerbstätigkeit,
Berlin 1931
- Ewald Gerfeldt, Das Krankenhaus und
seine Betriebs-
führung, Jena 1935
- Der
Amtsarzt, Jena 1936
- Gesundheitsrecht, München
1939
- Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, München
1940
- Die Rechtsprechung zur Polizeiverordnung über
die
Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens,
Oldenstadt 1941
- Max Gundel, Die ansteckenden
Krankheiten, Leipzig 1942
- Berufsordnung und
Verfahrensordnung für die Berufs-
gerichte der
Deutschen Heilpraktikerschaft e.V., München
1942
- Der Amtsarzt, Jena 1943
- F.
Holtzmann, Gewerbehygiene und Berufskrankheiten,
Karlsruhe 1949
- Steffen Berg, Gerichtliche und
Begutachtungsmedizin,
München 1950
-
Müller
Bestandsgeschichte:
(Hrsg.), Gesetz über die öffentliche Sicherheit
und
Ordnung, Stuttgart 1951
- Hecker/Schmelz,
Gesundheitsfürsorge, München 1954
- Das Arztrecht in
Niedersachsen (Loseblattsammlung),
Hannover
Bestandsgeschichte:
1959
Zusatzinformationen:
Abgeschlossen: Nein
Zusatzinformationen:
teilweise verzeichnet
- Reference number of holding
-
NLA AU, Rep. 78
- Context
-
Nds. Landesarchiv, Abt. Aurich (Archivtektonik) >> Gliederung >> 1 Staatliche Bestände >> 1.1 Staatliche Aktenbestände >> 1.1.1 Fachbehörden (bis heute) >> 1.1.1.3 Gesundheit, Arbeit und Soziales
- Date of creation of holding
-
1934-1981
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
16.06.2025, 11:33 AM CEST
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1934-1981