Archivalie
L.H.M., 2. nachträgliche Epistel: Haben Sie nicht Lust hierher...
Der anfängliche Brief vom 14.07.1921 "blieb lang liegen" und wurde am 28.07.21 ergänzt/ beendet.
Transkription: Weimar, d 14 Juli 21 L.H.M., 2. nachträgliche Epistel: Haben Sie nicht Lust hier herzukommen? Meine Frau lädt Sie hiermit herzlich dringend ein; es dürfte Ihnen gefallen in Belvedere, und Sie könnten hier ein annonymeres Dasein führen als z.B. in Stuttgart wohin ich Sie früher einmal bat zu kommen. Ich hörte von enormen Summen heutiger Schweizer Einreise - leichter ist es den Schweizern heute "fein heraus zu sein". Ich wäre auch gern einmal Gastgeber. Wie denken Sie? kurz gesagt? Trotz dem Spiel mit dem Gedanken des Wiedersehens und mündlicher Aussprache möchte ich mir heute noch einen Schmerz vom Herzen schreiben, der einem eiligen Ende zu- trachtet. Ich schrieb daß in der Bauhaus-Küche die Mazdaznandiät eingeführt werden soll oder versucht wurde. Letzteres bis heute ungenügend insofern als die Kost nicht nach den strengen Regeln der Lehre bereitet, nichts das Wesentlichste derselben erfüllt, mit geringen aber wol componierten und sich gegenseitig bedingenden Säurebildung, vermeidenden Nahrungsstoffen diejenige aufbau- ende Kraft zu erzeugen, die bei verkehrter Lebensweise sich selbst zerstört. Itten u einige Getreue vom B'hs leben seit längerem nach den Regeln und von einem kürzlich stattgehabten Kongress in Leipzig kam Itten begeistert zurück. Er sieht darin die einzige Möglichkeit "den neuen Menschen" zu erzeugen, glaubt an eine Umwandlung der Denk- u. Gefühlsweise als Vorbedingung alles Weiteren. Er rühmt das mönchische Ideal, daß Fra Angelico ein seinerer Typus von Künstler wäre als Rembrandt (wozu ich nur ja sage) - ich konnte ihm nur entgegnen daß dieses dem Magen Aufpassen und was die Lippen passiere einwärts, die Unbefangenheit rauben könne und ablenken von wesentlicheren Dingen wie Wort u Geist, und daß ich nicht wisse ob deren Reinheit durch einen reinen Magen bedingt sei. Ich nannte Balzac, der nur mit vollem Bauch gute Arbeit machen konnte (Itten: aber was für Arbeit und doch nur für Auchvollbäuche) ((Seraphita)) Die Fleischfressenden Holländer und Maler -. Bei Heinrich v. Kleist las ich den Brief eines Malers an seinen Sohn: "Du schreibst mir daß du eine Madonna machst u daß dein Gefühl Dir für die Vollendung dieses Werks so unrein u körperlich dünkt daß du jedes mal bevor Du zum Pinsel greifst das Abendmahl nehmen möchtest um es zu heiligen. Laß Dir von Deinem alten Vater sagen daß dies eine falsche Dir von der Schule aus der Du herstammst anklebende Begeisterung ist und daß es nach Anleitung unserer würdigen alten meister auf einer gemeinen aber übrigens wertschaffenen Lust an dem Spiel, Deine Einbildungen auf die Leinwand zu bringen, völlig abgemacht ist. Die Welt ist eine wunderliche Einrichtung; und die göttlichsten Wirkungen mein lieber Sohn, gehen aus den niedrigsten u unscheinbarsten Ursachen hervor. Der Mensch, um dir ein Beispiel zu geben das in die Augen springt, gewiß, er ist ein erhabenes Geschöpf; und gleichwohl in dem Augenblick da man ihn macht, ist es nicht nötig daß man dies mit vieler Heiligkeit bedenke. Ja derjenige der das Abendmahl darauf nähme u mit dem bloßen Vorsatz ans Werk ginge, seinen Begriff davon in der Sinnenwelt, u construieren wurde ohnfehlbar ein ärmliches u gebrechlicher Wesen hervorbringen; dagegen derjenige der in einer heiteren Sommernacht ein Mädchen ohne weiteren Gedanken küßt zweifels ohne einen Jungen zur Welt bringt der nachher auf rüstigen Weise zwischen Erde u Himmel herumklettert u den Philosophen zu schaffen giebt. Und hiermit Gott befohlen." Daß und wie mir dieser Brief gefüllt brauche ich wol nichts zu sagen, zumal auf der nächsten Seite Kleist über das Mario- nettentheater so feines u treffendes meine Absichten in Tanz betreffendes sagt daß ich Ihnen am liebsten auch dies abschriebe wenn es nicht so vielemal länger wäre. Nun - die Mönche machten kein Theater und damit wird für Itten der dies nicht liebt der ganze Kleist erledigt sein. Itten will aus dem Bauhaus ein Kloster mit Heiligen oder doch Mönchen machen: ich vermute aus seinen Wallfahrten
- Collection
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Archiv Oskar Schlemmer
- Inventory number
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AOS 2016/1571
- Material/Technique
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Papier; Tinte
- Event
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Herstellung
- (who)
- Provenance
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Abschrift vorhanden; Kasten 20 Mappe 2 und Ordner Abschriften unikal
- Rights
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Staatsgalerie Stuttgart
- Last update
-
28.03.2025, 12:10 PM CET
Data provider
Staatsgalerie Stuttgart. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Archivalie
Associated
- Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
- Otto Meyer-Amden (20.02.1885 - 15.01.1933)