Bestand
Hofer geb. Scheinberger, Mathilde (Bestand)
Bestandsgeschichte: Zugang:
1. 2011 Depositum der Paul-Lazarus-Stiftung e.V. / Aktives Museum Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V.
Geschichte des Bestandsbildners: Mathilde Hofer, geb. Scheinberger (geboren am 29.05.1874 in Wien, gestorben am 21.11.1942 in Auschwitz-Birkenau), auch ‚Thilde‘ genannt, wuchs als das zweitjüngste von fünf Kindern in einer wohlhabenden jüdisch-ungarischen Familie in Wien auf. Ihre Eltern waren Jakob und Hermine Scheinberger. Der Vater besaß eine Konservenfabrik. Sie studierte Klavier und Gesang.
Im Sommer 1902 lernte sie den Maler Karl Hofer auf einer Reise in Cuxhaven kennen, sie verlobten sich im Dezember desselben Jahres und heirateten am 14. April 1903 in Wien. Zuvor war sie zum Protestantismus konvertiert. Das Paar wechselte häufig den Wohnort. 1904 wurde ihr erster Sohn Karl Johannes Arnold in Zürich geboren. In Rom kam 1905 der zweite Sohn Titus Wolfgang zur Welt, der nach wenigen Monaten starb. 1908 zog die Familie nach Paris, wo Mathilde Hofer ihr Gesangsstudium an der Hochschule für Musik 1910 abschloss und der dritte Sohn Hans-Rudi 1911 geboren wurde. Zwischen 1910 und 1911 befand sich Karl Hofer mit Unterstützung eines Kunstmäzens auf einer Indienreise. Mathilde Hofer berichtete ihm in Briefen von ihrer bestandenen Prüfung und der Geburt des Kindes. Sie litt unter der Trennung und den knappen finanziellen Mitteln. 1913 zog die Familie nach Berlin, wo Karl Hofer 1921 eine Professur antrat. Ihre eigene Laufbahn als Sängerin gab sie zugunsten der Ehe auf. Anfang der zwanziger Jahre begann Karl Hofer, der inzwischen ein prominenter expressionistischer Künstler geworden war, eine Beziehung mit einer anderen Frau. Ab 1927 lebten Mathilde und Karl Hofer getrennt.
Nach Jahren der Trennung reichte sie auf seinen Wunsch die Scheidung ein. Am 8. Juli 1938 wurde die Ehe geschieden. Mathilde Hofer zog von Berlin nach Wiesbaden in die Nähe ihrer Schwägerin Emmi Scheinberger, die mit ihrer Familie im Raum Frankfurt lebte. Von Hofer bekam sie regelmäßig einen Prozentsatz von seiner Pension als Unterhalt. Nach den Novemberpogromen unternahm sie Versuche zu emigrieren. Als Hofer den ersten Preis bei einer Gemäldeausstellung des Carnegie Institutes in Pittsburgh gewann, wandte sie sich mit einem Brief vom 18. Januar 1939 an die Direktion der Carnegiegesellschaft und bat um Unterstützung für ihre Auswanderung nach Amerika. Sie erklärte: „Mein Mann hat mich gebeten, den Umständen der heutigen Zeit Rechnung zu tragen, und da ich nach meinem ungarischen Vater nicht arisch bin, mich von ihm scheiden zu lassen, damit er und seine Karriere nicht zu leiden haben.“ Ihr Anliegen wurde abschlägig beschieden.
Mathilde Hofer war evangelisch getauft, doch nach der Rassenideologie des Nationalsozialismus galt sie als „Jüdin“, weil sie jüdische Vorfahren hatte. Ab dem 17. September 1941 musste sie den Judenstern tragen und aus ihrer Wohnung in der Kapellenstraße 80 in ein Zimmer zur Untermiete umziehen. Am 1. September 1942 wurde sie von der Gestapo in Wiesbaden verhaftet. Ob es eine Denunziation gab, ist nicht bekannt. Erst im März und April 1943 hatten alle deutschen Behörden den Befehl erhalten, zu prüfen, welche der „privilegierten Mischehen“ noch bestehen und welche bereits geschieden sind. Aus dem Wiesbadener Polizeigefängnis in der Friedrichstraße schrieb sie Briefe an ihre beiden Söhne. Darin bemühte sie sich tapfer zu wirken und beschrieb ihre Zelle im ironischen Ton. Sie glaubte bis zum Schluss, ihr könne nichts passieren, weil ihr Rechtsberater ihr immer gesagt habe, durch ihre Ehe mit einem „Arier“ sei sie von den Rassengesetzen ausgenommen. Nach kurzer Haft verschleppten die Nazis sie am 28. Oktober 1942 erst ins KZ Ravensbrück, dann nach Auschwitz-Birkenau, wo sie am 21. November ermordet wurde.
Mathilde Hofer hinterließ eine Sammlung von über 450 Briefen an Karl Hofer und ihre Söhne mit einem handschriftlich verfassten Brief mit ihrem letzten Willen. Ihre Erben vermachten den Nachlass dem Aktiven Museum Spiegelgasse für deutsch-jüdische Geschichte in Wiesbaden, darunter auch eine lebensgroße Bronzebüste Mathilde Hofers von Karl Albiker (um 1927/28). Die Schriftdokumente befinden sich im Stadtarchiv Wiesbaden.
- Bestandssignatur
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NL 189
- Umfang
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0,5 lfd.m
- Kontext
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Stadtarchiv Wiesbaden (Archivtektonik) >> Gliederung >> 4 Privata >> 4.1 Nachlässe und thematische Sammlungen >> 4.1.1 Nachlässe (A-Z)
- Bestandslaufzeit
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1910 - 1976; 20. Jahrhundert
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
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27.03.2025, 11:13 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- 1910 - 1976; 20. Jahrhundert