Bestand
Landgericht Verden 1879-1978 (Bestand)
Bestandsgeschichte: I. Behördengeschichte
Die Revolutionsbewegung von 1848 forderte eine Justizreform nach französischen Ideen, die dann auch ihren Niederschlag in der Landesverfassung fanden. Danach sollten Rechtspflege und Verwaltung getrennt und öffentliche und mündliche Verhandlungen eingeführt werden. Bei der daraufhin ab 1. Oktober 1852 maßgeblichen Justizreform im damaligen Königreich Hannover erhielt Verden zunächst ein sogenanntes Obergericht, das mit dem Amtsgericht am 1. Oktober 1852 seine Tätigkeit aufnahm. Damit gingen alle Sondergerichte wie das Stadtgericht und das Strukturgerichte ein. Diese Justizreform verwirklichte die Idee der Unabhängigkeit der Rechtsprechung und trennte die Justiz auch organisatorisch von der allgemeinen Verwaltung. Sie führte u. a. auch Mündlichkeit und Öffentlichkeit in Zivilverfahren und Strafsachen ein. Die hannoversche Justizreform installierte daneben das sogenannte Legalitätsprinzip, das bis heute ein tragender Grundsatz des deutschen Strafprozesses ist: Wenn Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen, muss die von den Gerichten getrennte Strafverfolgungsbehörde tätig werden.
Für die Einrichtung "ihres" Obergerichts musste die Stadt Verden einen Kostenbeitrag von 6000 Talern entrichten. Dafür verkaufte sie den sog. Syndikatshof in der Ritterstrasse (jetzt Norderstädtischer Markt 10, rechts neben der Post) und nahm eine Anleihe auf. Das Obergericht Verden übernahm zunächst das Hauptgebäude des Amtshofs an der Stifthofstraße. Der Verdener Obergerichtsbezirk umfasste damals die Amtsgerichte Verden, Schneverdingen, Achim, Ottersberg, Lilienthal, Osterholz, Rotenburg, Zeven, Lesum und Blumenthal. Verden war mit der Einrichtung des Obergericht nach mehr als zweihundertjähriger Unterbrechung seit der Säkularisierung des Fürstbistums damit wieder Sitz eines Mittelgerichts.
Nach dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 und der Gründung des Deutschen
Bestandsgeschichte: Reichs war die schrittweise Vereinheitlichung des Rechts (Strafrecht, Zivilrecht, einschließlich Handelsrecht u.a.) und des Gerichtswesens im gesamten Reich ein wesentliches Ziel der Politik. Das 1877 verabschiedete Gesetz über die Gerichtsverfassung, das mit zahlreichen zwischenzeitlichen Änderungen heute noch gilt, sah für die Zivil- und die Strafsachen Amts-, Land- und Oberlandesgerichte in der sogenannten ordentlichen Gerichtsbarkeit vor. Die Aufgaben der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörten ebenfalls zur Tätigkeit der neuen Gerichte (u. a. Grundbuch-, Handels- und Personenstandsregister). Im ganzen Deutschen Reich gab es nach 1877 ein großes "Rennen" um die Sitze der neuen Gerichte. Verden hoffte und erwartete natürlich, ein Landgericht zu bekommen. Hauptkonkurrent für den Landgerichtssitz für diese Gegend war Stade. Im Juni 1877 stellte das Ministerium in Berlin einen Entwurf fertig: Danach sollte Celle der Sitz des Oberlandesgerichts für den hiesigen Bezirk sein, Verden sollte jedoch sein Gericht der Mittelinstanz zugunsten von Stade ersatzlos verlieren. Verden war empört. Nicht nur Richter, Justizbedienstete und Rechtsanwälte, sondern auch die Kaufmannschaft waren wegen der Wirtschaftskraft, die der Verkehr mit einem größeren Gericht bis heute bedeutet, an der Existenz des Gerichts in Verden sehr interessiert. Nach einer Plenarsitzung von Magistrat und Bürgervorsteherkollegium wurde am 16. August 1877 beschlossen: Bürgermeister Theodor Münchmeyer (nach ihm heißt in Verden eine Straße) und Rechtsanwalt Müller sollten zu bestimmten Mitgliedern des Abgeordnetenhauses in Berlin fahren, bei denen man Wohlwollen für die Stadt Verden vermutete, und dort die Interessen gegen Stade vertreten. Die Reisekosten übernahm die Stadt. Schon vorher hatte der Magistrat in einem Schreiben nach Berlin Verdens Vorzüge und die Nachteile beim Konkurrenten Stade hervorgehoben.
Bestandsgeschichte: Dieser Lobbyismus hatte Erfolg. Der neue Gesetzesentwurf sah nunmehr Verden unter Wegfall von Stade als Sitz des Landgerichts vor. Dagegen wehrten sich natürlich die Stader. Nach dem dann getroffenen Kompromiss sollten nunmehr Verden und Stade Sitz eines Landgerichts werden, das sie bis heute sind. Bei der Entscheidung, ein Landgericht nach Verden zu geben, spielte nach den Begründungen im Gesetzesentwurf von 1877 eine wesentliche Rolle, dass Verden die günstigeren Eisenbahnverbindungen hatte und zentraler in der Mitte seines Bezirks lag. Das sind Gesichtspunkte, die auch heute noch Bedeutung haben. Es gab noch einen weiteren Mitkonkurrenten um den attraktiven Gerichtssitz: Die Stadt Nienburg. Sie sollte aber ihr Obergericht ersatzlos verlieren. Im Landgerichtsbezirk Verden gab es durch die im Jahr 1879 geschehene Auflösung des Obergerichts Nienburg 18 Amtsgerichte: Achim, Ahlden, Bassum, Blumenthal, Bruchhausen, Dorum, Geestemünde, Hagen, Hoya, Lehe, Lesum, Lilienthal, Nienburg, Osterholz, Rotenburg (Wümme), Stolzenau, Sulingen, Syke, Uchte, Verden und Walsrode. Der Neubau des heute noch existierenden Gerichtsgebäudes am Johanniswall wurde ab 1882 begonnen und bis Ende 1883 fertiggestellt.
Nach verschiedenen Reformen und historischen Einschnitten gehörten bis Anfang der 1970er Jahre folgende Amtsgerichte zum Sprengel des Landgerichts: Achim, Ahlden, Bassum, Bruchhausen-Vilsen, Diepholz, Hoya, Nienburg, Osterholz-Scharmbeck, Rotenburg (Wümme), Stolzenau, Sulingen, Syke, Uchte, Verden und Walsrode.
Verden erhielt nun auch die Schwurgerichtsbarkeit und als kleinen Ausgleich für die "Verluste" gegenüber der älteren Regierungsvorlage zusätzlich das Gebiet der Ämter Uchte und Stolzenau. Im Übrigen umfasste der neue Landgerichtsbezirk die Kreise Verden, Lehe, Osterholz, Hoya, Achim und Rotenburg, die Ämter Ahlden, Fallingbostel, Freudenberg und Sulingen, ferner Stadt
Bestandsgeschichte: und Amt Nienburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Landgericht Verden zunächst mit nur einer Strafkammer am 3. Juli 1945 wiedereröffnet. 1954 waren in ihm einschließlich des Präsidenten und Vizepräsidenten 20 Richterinnen und Richter tätig. In den 70‘iger Jahren verlor das Landgericht Verden seine Zuständigkeit als Berufungsgericht gegen Urteile der Amtsgerichte in Familiensachen.
Präsidenten des Landgerichts 1879 bis 1978:
Hieronymus v. der Decken (1879-1892)
Carl Schrader (1892-1911)
Arthur Westrum (1911-1923)
August Canenbley (1923-1933)
Dr. Gentzen (1933-1937)
Hermann Lindemann (1938-1945)
Hagemann (1945-1948)
von Nordheim (1949-1956)
Dr. Wilhelm Kregel (1956-1966)
Dr. Jan Kramer (1966-1972)
Dr. Stalljohann (1972-1974)
Heinrich Beckmann (1974-1997)
Wolfgang Arenhövel (1997-1999)
Dr. Rüdiger Lengtat (1999-2017)
Dr. Gerhard Otto (2017-)
II. Bestandsgeschichte
Die Akten des Landgerichts Verden sind in drei Abgaben seit 1975 in das Staatsarchiv gelangt. Neben Prozessakten umfasst der Bestand auch Schriftgut der Behördenorganisation.
Die Verzeichnung erfolgte durch Dr. Hoffmann (2003), die Praktikantinnen Quell (Dezember 2005) und Driemel (Juni 2006) sowie die Unterzeichnete (inklusive der Akzessionen 2009/047 und 2012/073).
Die Verzeichnung der aus fünf Nummern bestehenden Akzession 2009/042, die zu einem unbekannten Zeitpunkt von Herrn Watolla übernommen wurde, erfolgte im August 2009 durch Dr. Deggim.
Einen besonderen Teilbestand bilden die Rückerstattungsakten, die die Rückgabe von beschlagnahmten Vermögen von jüdischen Personen und Unternehmen, sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen, Gewerkschaften oder Kirchen während der NS-Zeit dokumentieren und erst 2009 von Hannover aus auf die jeweiligen Archive verteilt wurden. Dieser Teilbestand (= Akzessionen 2009/057 und 2010/015) ist Bestandteil des allgemeinen Bestandes des Landgerichts Verden, wegen der besonderen Bedeutung und des Umfangs wurde allerdings ein
Bestandsgeschichte: getrennter Bestand bzw. ein getrenntes Findbuch für sinnvoll erachtet (siehe Rep. 171 Verden Rückerstattung).
III. Ergänzende Bestände:
Rep. 71 Verden (= Obergericht Verden 1852-1879)
Rep. 171 Verden Rückerstattung (= Landgericht Verden Rückerstattungsakten)
Rep. 271 Verden (= Landgericht Verden ab 1978)
IV. Literatur
http://www.landgericht-verden.de/ (Menüpunkt "Geschichte"), Stand 25.05.2011.
Figge, Robert: Zur Geschichte von Recht- und Gerichtsverfassung im Landgerichtsbezirk Verden/Aller. O. O., o. J.
Woock, Joachim: NS-Justiz und NS-Juristenkarrieren nach 1945 im Landgerichtsbezirk Verden. Vortrag am 19. März 2002 im Landgericht Verden anläßlich der Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus - Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes" im Landgericht Verden. Hrsg.: Niedersächsisches Justizministerium, Hannover. Hannover 2002.
Stade, im Feburar 2013 Antje
Bestandsgeschichte: Schröpfer
Zusatzinformationen: Abgeschlossen: Nein
Zusatzinformationen: teilweise verzeichnet
- Bestandssignatur
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NLA ST, Rep. 171 Verden
- Kontext
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Nds. Landesarchiv, Abt. Stade (Archivtektonik) >> Gliederung >> 1 Staatliche und kommunale Bestände >> 1.1 Akten >> 1.1.4 Fachbehörden (bis heute) >> 1.1.4.6 Polizei und Justiz
- Bestandslaufzeit
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1849-2002
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
-
16.06.2025, 12:45 MESZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- 1849-2002