Bestand
Kislau: Arbeitshaus, Schutzhaftlager, Konzentrationslager, Durchgangslager für Fremdenlegionäre, Strafgefängnis (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Gefangenenakten und Generalia der verschiedenen
Haftanstalten und Lager in Kislau: Arbeitshaus, Schutzhaftlager,
Konzentrationslager, Durchgangslager für Fremdenlegionäre,
Strafgefängnis, Flüchtlingslager; der Schwerpunkt der Überlieferung
liegt auf der Zeit des "Dritten Reichs".
Die Kislauer Haftanstalten:
Die Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen Jagd- und Lustschlosses
der Speyerer Fürstbischöfe in Kislau dienten seit dem Anfall der
rechtsrheinischen Teile des Hochstifts Speyer an Baden der
Unterbringung verschiedenster staatlicher Anstalten, die teilweise
zeitlich parallel nebeneinander in verschiedenen Gebäuden auf dem
Schlossgelände bestanden: als Gefängnis (u.a. für
Revolutionsteilnehmer 1848/49, Außenstelle der Festung Rastatt),
Verwahranstalt für Frauen und Männer, Arbeitshaus für sozial
randständige Männer, Lazarett und Kriegsgefangenenlager im Ersten
Weltkrieg, Außenstelle für Frauen der Heil- und Pflegeanstalt
Wiesloch, Durchgangslager für ehemalige französische
Fremdenlegionäre, Flüchtlingslager nach 1945 und Außenstelle der
Justizvollzugsanstalt Bruchsal bis heute. Vor allem aber ist das
Kislauer Schloss bis heute verbunden mit der Rolle, die der Ort in
der Zeit des "Dritten Reichs" spielte, als dort ein Schutzhaftlager
und ein Konzentrationslager für politische Häftlinge untergabracht
waren. Bekannte politische Häftlinge in der Zeit des
Nationalsozialismus waren z.B. Adam Remmele, Christian Stock und
Ludwig Marum, der als offenbar einziger Häftling in Kislau ermordet
wurde. Dokumentiert sind in den Kislauer Gefangenenakten aus der
Zeit des Nationalsozialismus neben Marum allerdings noch einzelne
weitere, anscheinend aber "natürliche" Todesfälle. In der NS-Zeit
war Kislau für viele Gefangene Durchgangsstation auf ihrem Weg in
andere Lager, insbesondere von/nach Hinzert (SS-Sonderlager),
Dachau (Konzentrationslager) und in die Emslandlager (v.a.
Wehrmachtangehörige). Während des Zweiten Weltkriegs stammten viele
Häftlinge aus dem Ausland; es handelte sich um osteuropäische
Fremdarbeiter oder Menschen aus den von Deutschland besetzten
Gebieten in Westeuropa.
Bearbeitung: Die im Bestand
521 überlieferten Gefangenenakten bildeten bis 2015 die
Teilbestände 521 Zugang 1982-48 und 521 Zugang 2003-57. Die Akten
sind schwerpunktmäßig in der Zeit des Nationalsozialismus
entstanden und betreffen folgende Kislauer Einrichtungen: -
Arbeitshaus - Schutzhaftlager/Konzentrationslager/Bewahrungslager -
Strafgefängnis - Durchgangslager für Fremdenlegionäre. Einziges
Findmittel zu den Akten des Teilbestands 521 Zugang 1982-48 war bis
2015 eine maschinenschriftliche Auflistung mit Namen und
Geburtsdaten, ergänzt um handschriftliche Nachträge. Diese Liste
umfasste - dem Anspruch nach - die vorhandenen Akten und einen Teil
der Karteikarten der Gefangenenkartei. Nicht festgehalten waren die
Inhaftierungsgründe, Herkunftsorte, Aktenlaufzeiten und vor allem
die Namen der Einrichtungen, in denen die Betroffenen untergebracht
waren. Gezielte und kombinierte Recherchen z.B. nach namentlich
vorab nicht bekannten Schutzhäftlingen, nach zeittypischen
Straftatbeständen wie z.B. Wehrkraftzersetzung,
Arbeitsverweigerung, verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen oder
nach Heimatorten u. dgl. waren so nicht möglich. Zudem gab es, wie
sich im Zuge der Bearbeitung zeigte, in der Liste nicht enhaltene
unverzeichnete Akten, die zwischen den übrigen lagen. Der nur
wenige Aktenhefte umfassende Teilbestand 521 Zugang 2003-57 war
gänzlich unverzeichnet. Zu Beginn der Erschließungsarbeiten war
geplant, das fertige Findmittel nach Anstalten, z.B.
Konzentrationslager Kislau, Arbeitshaus Kislau usw. zu
strukturieren und innerhalb dieser Gruppen nach Namensalphabet. Das
erwies sich als unmöglich, weil viele Häftlinge innerhalb des
Kislauer Lagerkomplexes umquartiert worden sind oder weil, vor
allem bei sehr vielen kurzzeitig Inhaftierten (v.a.
Schubhäftlinge), diese Angaben fehlten, so dass eindeutige
Zuordnungen sehr oft nicht möglich waren. Eine besondere
Schwierigkeit lag zudem darin, dass die Kislauer Haftanstalten
offenbar keine eigenen Verwaltungen hatten, wie man anhand der
Eingangsstempel, Briefköpfe und Adressangaben in den Akten erkennen
kann. In welcher Anstalt jemand war, ist an den Akten selber nicht
immer sicher erkennbar und hätte anhand der Parallelüberlieferung
in den konkreten Einzelfällen (z.B. Kislauer Gefangenenbücher,
Akten der Gerichte und Staatsanwaltschaften,
Wiedergutmachungsakten) eingehend recherchiert und verifiziert
werden müssen. Zumindest aber sind nun im vorliegenden
Online-Findmittel die vorgenannten Teilanstalten durch
Volltextsuche ermittelbar. In die Einzelverzeichnung einbezogen
wurden die Karteikarten der Gefangenenkartei. Diese Karteikarten
sind ca. 1933-1938 geführt worden und beinhalten wichtige
personenbezogene Grundangaben: Geburtsdaten, Herkunftsorte,
Inhaftierungsgründe, Haftorte u.a.m. Oft sind diese Karteikarten
der einzige verbliebene Nachweis über die Inhaftierung eines
Menschen aus politischen Gründen in Kislau. Karten, zu denen
während der Verzeichnungsarbeit Akten ermittelt werden konnten,
wurden diesen zugeordnet, wurden also nicht eigens verzeichnet, um
Doppelarbeit zu vermeiden. Von der Einzelverzeichnung ausgenommen
wurde die Abrechnungskartei, die die Jahre ca. 1935-1944 umfasst.
Diese Abrechungskartei enthält Übersichten der Ein- und
Auszahlungen von persönlichen Geldmitteln der Gefangenen. Nähere
Angaben zu den Gefangenen sind daraus nicht ersichtlich, so dass
eine gruppenweise Verzeichnung der Abrechnungskartei ausreichend
erschien. Die alten Bestellnummern in der Aktenliste des
Teilbestands 521 Zugang 1982-48 mit rund 8500 Nummern wurden
beibehalten, um so weit wie möglich auf eine Konkordanz verzichten
zu können. Dementsprechend blieben die vorgefunden wenigen Lücken
in der Nummernfolge sowie einzelne Ableitungen ("a-Nummern")
erhalten. Dagegen erhielten die Karteikarten und die unsigniert
gewesenen Akten aus dem Teilbestand 521 Zugang 2003-57 neue
Bestellnummern, die durch Fortzählung gebildet wurden. Karlsruhe,
im Dezember 2015 Dr. Martin Stingl
Literaturhinweis: Borgstedt,
Angela: Das nordbadische Kislau - Konzentrationslager, Arbeitshaus
und Durchgangslager für Fremdenlegionäre, in: Wolfgang Benz/Barbara
Distel (Hrsg.): Herrschaft und Gewalt. Frühe Konzentrationslager
1933-1939, Berlin 2001, S. 217-229.
Nachtrag: Kurz nachdem das
Findmittel zu den Kislauer Gefangenenakten fertiggestellt war,
übereignete der Landesverband Baden-Württemberg der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten (VVN-BdA) 69 bei ihm verwahrte Kislau-Akten dem
Generallandesarchiv. Dass sich dort solche Unterlagen befanden, war
dem Generallandesarchiv zwar schon in den 1990er Jahren bekannt
geworden, war jedoch zwischenzeitig in Vergessenheit geraten.
Geregelt wurde die Übereignung in einem Schenkungsvertrag vom 26.
Juli/1. August 2016. Es handelte sich ausschließlich um Akten aus
der Zeit des "Dritten Reichs", überwiegend von Kommunisten und
anderen in der Arbeiterbewegung Engagierten, aber auch von Ernsten
Bibelforschern, Katholiken und Juden. Regional ist eine gewisse
Schwerpunktsetzung auf den Mannheimer Raum festzustellen. Wie und
wann die Akten in den Besitz der VVN-BdA gelangten, ließ sich nicht
mehr aufklären. Die Unterlagen trugen eine Dokumentationsnummer,
die im vorliegenden Findmittel als Vorsignatur festgehalten wurde
(VVN D + lfd. Nr.). Dadurch ist die Herkunft der Akten
nachgewiesen. Gemäß Schenkungsvertrag mit der VVN-BdA wurden die
Akten digitalisiert und Kopien der Digitalisate der Stuttgarter
Geschäftsstelle der VVN-BdA übergeben. Die im September 2016
übergebenen Akten tragen im Bestand 521 nunmehr die Bestellnummern
8559 bis 8627.
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 521
- Extent
-
8624 Archivalieneinheiten
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Neuere Bestände (vornehmlich ab ca. 1800) >> Justiz >> Justizvollzugsanstalten >> Kislau
- Date of creation of holding
-
1831-1962 (-1984)
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
03.04.2025, 11:03 AM CEST
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1831-1962 (-1984)