Bestand

Ernährungsamt/Kreisbauernschaft Radolfzell (Bestand)

Inhalt und Bewertung

Generalakten; Erbhofangelegenheiten; Hofkarten

Behördengeschichte: Das "Reichserbhofgesetz" vom 29.09.1933 ermöglichte dem nationalsozialistischen Staat umfassende Eingriffsmöglichkeiten im Bereich der Landwirtschaft. Das Inkrafttreten des Gesetz, das nach eigenem Bekunden Bauernhöfe vor Überschuldung und Zersplitterung bewahren und einen flächendeckenden Erhalt kleiner und mittlerer Bauernhöfe im Reichsgebiet gewährleisten sollte, bedeutete indessen faktisch die Übertragung der nationalsozialistischen Rassenlehre auf den landwirtschaftlichen Sektor und einen massiven Eingriff des Staates in die privaten Belange der Bauern. Nach dem "Reichserbhofgesetz" wurden solche landwirtschaftlichen Betriebe als Erbhöfe angesehen, die mindestens die Größe einer "Ackernahrung" besaßen, höchstens jedoch über 125 Hektar verfügten. Als "Ackernahrung wurde diejenige Menge Landes angesehen, durch die eine Familie unabhängig vom Markt und der allgemeinen Wirtschaftslage ernährt und bekleidet werden und der Wirtschaftsablauf des Erbhofes erhalten werden konnte. Zu einem Erbhof gehörten nicht nur alle im Eigentum eines Bauern befindlichen Grundstücke, die regelmäßig von der Hofstelle aus bewirtschaftet wurden sondern auch das im Eigentum eines Bauern stehende Zubehör wie etwa der Viehbestand, Gerätschaften, Dünger und Vorräte. Nur der Besitzer eines Erbhofes durfte die Berufsbezeichnung "Bauer" führen. Bauern hatten nach dem "Reichserbhofgesetzgesetz" die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen und mußten ab dem 1.1.1800 ihre "arische" Abstammung nachweisen können. Die angestrebte Vermeidung der Zersplitterung landwirtschaftlichen Grundbesitzes sollte durch eine Bestimmung erreicht werden, nach der Erbhöfe beim Tod eines Bauern ungeteilt auf nur einen Erben (den sogenannten Anerben) übergingen. Zur praktischen Umsetzung des Gesetzes schuf man in Gestalt der Anerbengerichte, der Erbhofgerichte und des Reichserbhofgerichts ein entsprechendes institutionelles Instrumentarium. Anerbengerichte wurden von den Landesjustizverwaltungen bei den Amtsgerichten für deren Bezirk eingerichtet und waren mit einem Richter und zwei Bauern besetzt. Ihnen oblag die Feststellung, ob eine Person die oben genannten Eigenschaften zur Führung der Berufsbezeichnung "Bauer" zugebilligt werden konnten. Zudem waren die Anerbengerichte etwa bei Erbangelegenheiten, Verpachtungen und Verkäufen von Erbhöfen oder dem Tausch von Grundstücken einzuschalten. Auf der Ebene darüber wurden bei jeweils einem Oberlandesgericht für ein oder mehrere Länder sogenannte Erbhofgerichte geschaffen; die oberste Stufe des institutionellen Aufbaus bildete das Reichserbhofgericht. Durch eine Verordnung vom 21.10.1933 wurden in Baden zunächst bei den Amtsgerichten Adelsheim, Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt, Offenburg und Radolfzell Anerbengerichte geschaffen, wobei in den folgenden Jahren jedoch noch weitere hinzutraten. Bereits zwei Wochen vor dem Erlass des "Reichserbhofgesetzes" hatte das "Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes" vom 13.9.1933 bereits die Voraussetzungen für die Gleichschaltung der Landwirtschaft geschaffen. Alle Institutionen der Selbstverwaltung und der staatlichen Fürsorge auf diesem Sektor gingen im sogenannten Reichsnährstand auf, durch den die Bauern auf der untersten Ebene in Ortsbauernschaften organisiert wurden, die den Kreis- und darüber den Landesbauernschaften nachgeordnet waren. Das Reich zog gleichzeitig alle Kompetenzen hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion, des Absatzes und der Preisbildung an sich. Erbhofangelegenheiten, bei denen die Anerbengerichte einzuschalten waren, wurden über den Orts- bzw. Kreisbauernführer an das zuständige Anerbengericht weitergeleitet. Anfänglich bestanden im Bereich der Landesbauernschaft Baden insgesamt 40 Kreisbauernschaften. Deren Zahl wurde mit dem Geschäftsjahr 1937 drastisch auf nur noch 15 reduziert, wobei Radolfzell auch erst zu diesem Zeitpunkt Sitz einer Kreisbauernschaft wurde. Durch die Zusammenlegung von Zuständigkeiten verschiedener Kre isbauernschaften erklären sich auch die im Bestand auftretenden Vorprovenienzen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Einrichtungen des Reichsnährstandes eng mit der staatlichen Verwaltung verflochten. Die Landesbauernschaften wurden zu Landesernährungsämtern aufgewertet, an deren Spitze der jeweilige Landesbauernführer stand. Zugleich richtete man Kreisernährungsämter ein, deren eine Abteilung (zuständig für die Bewirtschaftung und Verteilung von Lebensmitteln) bei den Landkreisen angesiedelt war und als deren zweite Abteilung (zuständig für die Lenkung und Überwachung der Erzeugung) die Kreisbauernschaften mit dem jeweiligen Kreisbauernführer als Leiter fungierten. Mit dem Kriegsende und der Besetzung Südwestdeutschlands wurden der Reichsnährstand und damit auch die Kreisbauernschaft Radolfzell aufgelöst. (Zu den Erbhöfen und der Organisation der Landwirtschaftsverwaltung in der NS-Zeit vgl. auch Karl Stiefel: Baden 1648-1952, Karlsruhe 1977, Kapitel "Die badische Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert".)

Bestandsgeschichte: Im Zuge der Reorganisation der für die Landwirtschaft zuständigen staatlichen Stellen gelangten die vorliegenden Akten ins Landwirtschaftsamt Stockach, das die Unterlagen 1996 an das Staatsarchiv Freiburg abgab. Neben drei Faszikeln allgemeinen Inhalts gliedert sich der Bestand in zwei große Bereiche. Zum einen finden sich Erbhofangelegenheiten, bei denen sich die Kreisbauernschaft Radolfzell etwa wegen des Verkaufs oder der Verpachtung von Erbhöfen an die zuständigen Anerbengerichte zu wenden hatte. Dabei wurde aus Vorgängen, die sich auf eine bestimmte Ortsbauernschaft beziehen, jeweils ein Faszikel formiert. Der zweite umfangreiche Teil des Bestands besteht aus den sogenannten Hofkarten, die detaillierte Informationen zu einzelnen Erbhöfen enthalten. Auch hier bilden die Hofkarten einer Ortsbauernschaft nunmehr ein Faszikel. Unterlagen, die hinsichtlich ihrer Laufzeit über das Jahr 1945 hinaus reichen, wurden vom Bestand separiert. Kassationen wurden nicht vorgenommen. Der Bestand wurde im August und September 2003 von Frau Franziska Mahler unter Verwendung des Archivierungsprogramms Midosa 95 verzeichnet. Die Betreuung der Arbeiten oblag dem Unterzeichnenden. Der Bestand umfasst nunmehr 178 Nummern und misst 5,8 lfd. m. Freiburg, im Oktober 2003 Christof Strauß

Reference number of holding
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, B 1072/1
Extent
Nr. 1-178

Context
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg (Archivtektonik) >> Baden 1806-1945: Untere Behörden, untere Sonderbehörden >> Geschäftsbereich Ministerium des Innern >> Landwirtschaftsverwaltung

Indexbegriff subject
Erbhofbauern; Ernährungsamt Radolfzell
Ernährungsamt/Kreisbauernschaft Radolfzell
Indexentry place
Radolfzell am Bodensee KN; Ernährungsamt/Kreisbauernschaft

Date of creation of holding
1934-1945

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Rights
Last update
24.04.2024, 2:36 PM CEST

Data provider

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Object type

  • Bestand

Time of origin

  • 1934-1945

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