Archivale
Zeugenverhör
Regest: Inquisitio (= Zeugenverhör) über den verhafteten Georg Hair, Satzbürger (d.h. mit Wohnsitz, aber ohne andere Bürgerrechte) in Reutlingen, auf Befehl von Bürgermeister und Rat gehalten im Beisein von Pfandschultheiss Johann Zeuninger und Syndicus Heinrich Herman.
Der 1. Zeuge.
Jacob Knapp, Bürger und Gastgeber zur Linde, sagt, dass er dem verhafteten Jörg Heer (Hair) sein Kraut im Kührain um 29 fl abgekauft habe, aber gleich in der folgenden Nacht sei ihm etliches davon ausgestochen worden. Ebenso habe er am letzten Jahrmarkt, als er das beste Kraut auf einen Haufen gesetzt hatte, gemerkt, dass ihm ungefähr 100 Haupt wegkamen, ohne dass er wusste, wer das getan. Nach etlichen Tagen habe er das Kraut, weil es so heftig abgenommen, alles umgehauen und durch den Fuhrmann Jörg Lumpp heimführen lassen. Als sie nun das zweitemal hinausfuhren, sei der Zeuge den Fussweg über den Zimmerplatz hinausgegangen und des Heer ansichtig geworden, welcher auf dem Acker stand, einen Arm voll Kraut gefasst hatte und dasselbe beim Hag vergrub. Als der Zeuge hinzugekommen war, war das Kraut schon alles verscharrt. Der Zeuge sagte, er komme, weil man ihm das Kraut stehle. Heer aber habe nichts davon wissen wollen. Der Zeuge habe eine Krautpletsche (= Krautblatt), die unterm Boden hervorging, erwischt; ein Haupt sei mit herausgegangen. Darauf habe er mit der Haue des Heer, die er ihm aus der Hand genommen, zu suchen angefangen und am selbigem Ort 23 Haupt ausgegraben und gleich an einem anderen Ort im Beisein des Fuhrmanns und des Gall Hunger noch über 100. Auf Geheiss des Herrn Schultheissen, dem solches alsbald gemeldet wurde, seien auch beide Schützen, Jacob Volhardt und Bastian Vatter gekommen. Es sei noch soviel gefunden worden, dass es in allem sich auf nur 11 weniger als 300 Haupt belief. Obwohl der Heer sich gleich auf dem Acker vergleichen, auch im Hereinfahren 4-8 fl am Kraut nachlassen wollte und dem Fuhrmann 6 Batzen versprach, haben der Zeuge und der Fuhrmann nichts annehmen wollen. Als es nun Nacht geworden, sei der Verhaftete etliche Male bis an sein, des Zeugen, Eck und wieder zurück gegangen, was ihm eine Nachbarin anzeigte. Da habe er gleich einen Argwohn gefasst, es möchte der Verhaftete sein, und deswegen sich mit Adam Banttlin unterredet, wie die Sache anzugreifen sei. Der habe ihm den Rat gegeben, er solle dem Verhafteten, wenn er sich nähere, mit guten Worten entgegengehen; er möchte ihm sonst eine Ontause (=?) tun. Der Verhaftete kam daher, trug ein Beil in der Hand und begehrte wieder sich mit ihm zu vertragen. Der Zeuge gab ihm zur Antwort, er wolle nichts mit ihm zu schaffen haben. Darauf verfügte sich der Verhaftete zu des Zeugen Hausfrau. Zu ihr sagte er, wenn sich ihr Mann nicht mit ihm vertrage, so werde nichts anderes als ein Totschlag daraus. Endlich habe die Hausfrau zu Verhütung eines grösseren Übels und damit man seiner abkomme (= ihn loswerde) - denn er hatte stätigs (= ständig) sein Beil neben sich liegen - das, was er zu geben angeboten hatte, mit blossem Ja angenommen. Aber weder der Zeuge noch seine Hausfrau habe im Ernst begehrt sich mit ihm zu vertragen. Denn er habe es schon der Obrigkeit angebracht gehabt. So habe er auch das gestohlene Kraut auf dem Acker liegen und verderben lassen, was er nicht getan hätte, wenn er sich mit ihm verglichen hätte.
Endet damit seine Aussage, die ihm wieder vorgelesen und gebührend Silentium auferlegt worden.
Der 2. Zeuge.
Gall Hunger, Bürger und Bader hier, bestätigt ausführlich in allem Wesentlichen die Aussage des Jacob Knapp.
Der 3. Zeuge.
Jacob jung Vogt, Bürger und Kartenmacher hier, sagt, er sei ungefähr 3/4 Jahr lang bei der Stieftochter des verhafteten Jörg Herr, Maria, Witib des Ulrich Widmaier zuhaus gewesen und habe den Verhafteten selbige Zeit über nur 2mal im Haus gesehen. Besonders am vergangenen Fastenmarkt, als ein Mann von Tüwingen dort war, habe sich Jörg Heer gegen Abend auch eingestellt, mit demselben gezecht, während der Zech einen Handel (= Streit) mit ihm angefangen und um 9 Uhr in der Nacht ihn zum Haus gejagt. Dann habe sich Heer wieder hinter den Tisch gesetzt, den Kopf auf den Tisch gelegt und zu schlafen angefangen, so dass ihn seine Magd, die ihn abholen wollte, nicht aufwecken konnte. Seine Stieftochter habe ihn nicht aus dem Haus lassen wollen, weil man ihm nicht sehr günstig sei; er könnte von jemand geschlagen werden. Darüber sei die Magd heimgegangen. Die Stieftochter aber habe ihn aufgeweckt, ihm die Kleider ausgezogen und ihn in ihre Kammer geführt. Der Zeuge habe gehört, dass Heer nicht in ihr Bett liegen, sondern sich auf die Truhe legen wollte. Sie aber habe ihn beredet, dass er sich ins Bett legte. Darauf haben sie noch eine Stunde miteinander geschwätzt. Der Zeuge sei dann eingeschlafen. Er wisse nicht, ob sie bei ihm blieb oder nicht. Solang er wachte, habe er nichts Ungebührliches gehört. Morgens habe er sie gevexiert (= gefoppt), warum sie ihren Stiefvater beherbergt und bei sich habe liegen lassen. Sie habe zur Antwort gegeben, sie sei nicht bei ihrem Stiefvater, sondern in der Stube auf dem Lotterbett gelegen. Der Zeuge habe aber dem Lotterbett nicht angesehen, dass jemand darauf gelegen wäre. Der Verhaftete sei vor Tag zum Haus hinausgegangen.
Sonst habe der Zeuge gehört, beide, der Verhaftete und seine Stieftochter, seien einmal zu Jettenburg beisammen über Nacht gewesen und haben zu Nacht 4 und morgens 3 Mass Wein miteinander getrunken. Ebenso sollen sie zu Betzingen, wie es heisst, übernachtet haben.
Der 4. Zeuge.
Magdalena, jung Jacob Vogts Hausfrau, bestätigt im Wesentlichen die Aussagen ihres Mannes.
24. November, im Beisein von Gall Gebel: Der 5. Zeuge.
Adam Banttle, Bürger hier, bestätigt in allem Wesentlichen die Aussagen des Jacob Knapp, von dessen Frau und des Baders Hunger.
Der 6. Zeuge.
Hans Wagner, Müller in der unteren Mühle, sagt aus, vor ungefähr 1 Jahr habe der Verhaftete ein Stümplein (= einen kleinen Sack) Korn in die Mühle getan, sei gegen Abend gekommen und habe mahlen wollen, es habe aber nicht sein können. Morgens sei er wieder gekommen. Da sei das Korn nicht mehr vorhanden gewesen. Nach seiner Angabe sollen es etwa 2 1/2 Simri gewesen sein. Das habe er vom Gesellen des Zeugen gefordert. Der habe ihm schliesslich 1 Simri Kern dafür gegeben. Wohin das Korn gekommen sei, wisse er nicht. Aber der Mehlbub habe gesagt, er habe den Heer an selbigem Abend, als er in der Mühle war, ein Stümplein heraustragen sehen.
Der 7. Zeuge.
Peter Pfaw, Müllerjunge in der unteren Mühle, etwa 14 Jahre alt, sagt aus, vor ungefähr 1 Jahr habe der verhaftete Jörg Hair Korn in die Mühle getan, nach seines Meisters Angabe etwa 3 Simri. Am gleichen Abend sei ein Bauer von Sickenhausen gekommen und habe mahlen wollen. Als dieser zum Törlein hinein der Mühle zu gefahren sei, sei ihm der Verhaftete begegnet und habe ein Stümplein von ungefähr 3 Simri getragen und sei damit die Gass hinaus heimat zu (= heimwärts) gegangen. Der Zeuge wisse nicht, ob er Spreuer, Korn oder Mehl getragen habe. Dies habe der Zeuge von dem Bauern gehört, habe es nicht selbst gesehen.
Dorsal-/Marginalvermerke: Einlage ein Blatt mit einigen Notizen, vielleicht für das vorstehende Protokoll.
In dem Protokoll nicht enthalten ist die Bemerkung, dass Hair sich habe entleiben und dem Teufel opfern wollen.
- Archivaliensignatur
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A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. 7593
- Umfang
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13 S.
- Formalbeschreibung
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Beschreibstoff: Pap.
- Sonstige Erschließungsangaben
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Genetisches Stadium: Or.
- Kontext
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Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26) >> Bd. 22 Urgichten
- Bestand
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A 2 e (Urfehden u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26)
- Laufzeit
-
1613 November 22, Montag
- Weitere Objektseiten
- Letzte Aktualisierung
-
20.03.2025, 11:14 MEZ
Datenpartner
Stadtarchiv Reutlingen. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Archivale
Entstanden
- 1613 November 22, Montag