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Rechtliches Bedenken (= Gutachten), 2 der Hexerei verdächtige Weibspersonen in Reutlingen betreffend
Regest: Es sind eine geraume Zeit her in der Reichsstadt Reuttlingen 2 Weibspersonen, Afra, Eheweib des Küfers Johann Schelling, und Elisabetha, Eheweib des Sattlers Johann Hamleyle, im Verdacht der Hexerei gewesen, welcher besonders bei der ersten daraus erwachsen ist, dass sie von 2 verschiedenen, mit der Hexerei behafteten und hingerichteten Personen als Hexe angegeben worden ist. Desgleichen sind in kurzer Zeit etliche Personen, welchen sie Branntwein zu trinken oder Brot zu essen gegeben, erkrankt und elend um ihr Leben gekommen. Diese beharrten beständig darauf, dass ihre Krankheit und Schmerzen daher kommen. Zu der letzteren Person wurden die geschworenen Medici und Chirurgi geschickt und haben sie besichtigt. Daraus ist communis fama (= das allgemeine Gerede, die öffentliche Meinung) der Stadt erschollen und Afra wird als eine verdächtige Person von jedermann geäußert (= gemieden). Dazu kommt noch, daß sie von dem verhafteten Jungen, ebenso von Margretha, Witib des Hans Rieppert, einer jüngst hingerichteten Hexe, von neuem angegeben wurde. Weil Afra verschiedenen Rats= freunden in die Häuser geloffen ist und solches gleichsam sollizitierte (= verlangte), hat der Magistrat Anlaß genommen, sie zu beschicken (= kommen zu lassen) und durch Commissare gütlich vernehmen zu lassen. Sie aber wollte sich zu nichts bekennen. Darauf wurde sie ihrem Erbieten gemäß mit dem erwähnten Jungen und der Margretha konfrontiert. Beide sagten ihr unter Augen, dass die Afra mit ihnen ausgefahren und wie sie selbst der Hexerei schuldig sei. Das wurde aber von ihr beständig geleugnet.
Überdies hat die Aussage der Inquisitin (= Angeschuldigten) in den vornehmsten Umständen mit den Aussagen etlicher Zeugen nicht übereingestimmt, sondern ist eine merkliche Variation (= Verschiedenheit) darin verspürt worden. Deshalb wird sie bis auf weitere Verordnung in einer bürgerlichen Gefangenschaft gehalten.
Das andere Weibsbild ist schon hievor durch ihre leibliche Mutter und Schwester und andere, die wegen eingestandener Hexerei hingerichtet wurden, angegeben, deswegen eingezogen(= verhaftet) und torquiert (= gefoltert) worden, hat aber nichts gestanden. Indessen hat man fleißig auf ihr Tun und Lassen achtgeben lassen. Es ist aber nicht das geringste Verdächtige von ihr verspürt (= festgestellt) worden. Doch wird sie jetzt von dem Jungen und der Margretha mit Umständen als Hexe angegeben.
Deswegen entsteht bei so schwierigen Umständen die Frage, was mit den beiden Personen zu tun ist und ob die angebrachten Umstände in Rechten keine Anzeigung machen (= ob im Recht keine Anhaltspunkte vorhanden sind), gegen sie mit der peinlichen Frage (= Folterung) vorzugehen.
Es könnte zunächst aus ziemlich scheinbaren (= augenscheinlichen, offenbaren) Ursachen dafür gehalten werden, daß der Magistrat sattsamen Grund habe, gegen die Afra, Johann Schellings Eheweib, falls dieselbe in der Güte nichts bekennen, sondern auf dem Verneinen beharren sollte, mit der peinlichen Frage zu verfahren.
(1) Denn sie ist schon vorher i. J. 1660 von 2 confessaten Maleficanten (= geständigen Übeltätern) als Hex angegeben worden, indem Urban Fasnacht am 5. Juni 1660 in der Güte unter anderem sagte, des Johann Schellings Weib, das Aferle, sei allzeit mitgefahren. Ferner Anna, Ludwig Dörrers Weib, am 16. Juni, das Aferle, Johann Schellings Weib, sei auch dabei. Wer aber ihr Tanzgesell war, wisse sie nicht. Die Nennung ist erst neulich abermals geschehen, nicht allein von dem noch in Haft liegenden Buben Urban Helmling, sondern auch von der nunmehr hingerichteten Margretha, Witib des Johann Rieppert, indem sie am 27. Februar 1665 aussagte, die zwei wisse sie wohl, dass sie mit ihr auf die Scheibe gefahren seien, das Aferle und die Els. Das bestätigte sie am 7. März.
Peinl. Halsgerichtsordnung Karls V., Artikel 31 in pr. 161: "So (= Wenn) ein überwundener (= überführter) Missetäter, der in seiner Missetat Helfer gehabt hat, jemand im Gefängnis besagt (= nennt, beschuldigt), der ihm zu seiner geübten, erfundenen (= entdeckten) Missetat geholfen habe, ist (= besteht) auch eine Argwöhnigkeit gegen den Besagten."
2) In kurzer Zeit erkrankten etliche Personen, welchen sie Branntwein zu trinken und Brot zu essen gegeben, und kamen elend um ihr Leben. Sie beharrten beständig darauf, daß ihre Krankheit und Schmerzen ihnen daher entstanden. Barbara, Witib des Hans Scheffer selig, sagt aus, die Inquisitin habe vor ungefähr 3 Jahren an der Schar (= Arbeit im Kundenhaus) ihrem Mann, aus dessen Mund sie es hörte, Wein zu trinken gegeben, worauf er sich gleich übel befand, so daß er beim Weggehen gleich auf der Stiege niedersitzen und hernach sich gar legen mußte. Er habe von der Zeit an keine gute Stund gehabt, sei auch schließlich, obwohl allerhand Arznei gebraucht wurde, gestorben.
Sodann sagt Anna, Eheweib des Johann jung Hummel, Rotgerbers, aus, ihr voriger Mann, der Kühhirt Jacob Schäffer sei lang herumgegangen und habe sich übel befunden. Er habe 8 Tage vor seinem Tod zu ihr gesagt, er habe auch an dem Ort getrunken, wo sein Bruder den Trunk empfangen, und daher komme sein Zustand.
Jacob Hipp, Beck, sagt aus, vergangene Fasnacht vor einem Jahr habe die Inquisitin der Tochter ihres Bruders zu Pfullingen auf dem Rathaus ein Stücklein Brot gegeben, wovon sie nur wenig gegessen habe. Sie habe sich aber gleich übel befunden und zu Bett liegen müssen. Sie habe unsägliche Schmerzen gefühlt und ihr Leben aufgeben müssen. Nach dem Tod sei der Verstorbenen Leib hoch aufgeloffen und habe, als sie zu Grab getragen wurde sehr geschweisst (= geblutet), besonders vor dem Haus der Inquisitin, was gutenteils auch von Matthäus Fuchs und Catharina, Weib des Jacob Hipp, bestätigt wird.
Johannes Ammer sagt aus, die Inquisitin habe seiner Mutter, der Müller-Anna, Branntwein gegeben, wovon sie nach ihrer Gewohnheit allemal 2 Löffel voll brauchte. Es sei ihr aber übel bekommen, gleich in die Hände und Füsse geschlagen und darin wie Ameisen gewuselt. Der Branntwein sei ganz wunderlich gewesen.
(3) Es kommt hinzu, daß die Inquisitin von jedermann für eine Hexe gehalten und deswegen geäußert (= gemieden) wird.
4) Die Inquisitin habe in etlichen vornehmen (= wichtigen) Umständen die Unwahrheit gesagt, indem sie angab, der Schaff-Hans habe sie im Beisein seines Weibes, der Afra Tochter und Sohns frei und ledig gesprochen. Ebenso hat sie das von ihres Bruders Tochter vorgegeben, während die Zeugen das Gegenteil aussagen, daß diese Personen beständig darauf verbleiben, ihre Krankheit und Schmerzen seien durch den von der Inquisitin gegebenen Branntwein und Brot verursacht worden.
Trotz diesem allem und was dergleichen weiter aus den Inquisitions-Akten angeführt werden könnte, sind die Unterzeichneten, salvo tamen semper rectius sententium iudicio (= jedoch immer vorbehaltlich des Urteils von Verständigeren), der gänzlichen und unzweifelichen (= zweifelsfreien) Meinung, daß noch zur Zeit keine genugsame und redliche (= juristisch vertretbare) Anzeigungen (= Anzeichen, Indizien) vorhanden sind, deretwegen diese Inquisitin mit der peinlichen Frage von Rechts wegen angegriffen werden könnte.
Sodann erwägen die Unterzeichneten hiebei auch, daß die peinliche Frage als ein grausam, gefährlich und zweifelhaftes Mittel ohne vollkommene Erweisung erheblicher und fast unfehlbarer Anzeigungen (= Indizien) keineswegs vorgenommen werden soll.
Peinliche Halsgerichtsordnung Artikel 20: "Wo nicht zuvor redlich Anzeigen der Missetat, nach der man fragen wollte, vorhanden und bewiesen wuurde." Denn gleich wie zur Condemnation (= Verurteilung) werden ganz sonnenklare Beweise vom Recht erfordert.
Also müssen auch die Anzeigungen zur Tortur der Wahrheit ganz ähnlich, nicht zweifelhaft, sondern gewiss und so beschaffen sein, daß die beschuldigte Missetat daraus eigentlich (= ausdrücklich) folgt. Sie müssen mindestens durch zweier geschworener Zeugen Aussage, gegen welche nichts eingewendet werden kann, erwiesen sein.
Auf dem Rand: Wenn es sich nicht erfindet und der Richter gleichwohl die Tortur vornähme, hat er nicht allein eine schwere Verantwortung bei Gott, sondern auch von der weltlichen Obrigkeit harte Strafe und Ungelegenheit zu erwarten ...
Wenn nun die wider die Inquisitin angeführten Indicia geprüft werden, ergibt sich leicht, daß sie den Stich nicht halten und nicht von der Erheblichkeit sind, um ein solch gefährliches Mittel vorzunehmen, sondern sind insgemein entweder im Recht nicht begründet oder in facto nicht gebührlich beigebracht, gutenteils aber bestehen sie in abergläubischen Einbildungen.
Denn erstens: daß die Inquisitin von 3 geständigen und hingerichteten Übeltätern sowie von dem noch verhafteten Buben als Hexe angegeben worden ist, darauf ist wenig zu gehen. Viele vornehme Rechtsgelehrte verwerfen ganz solche von Hexen geschehenen Nennungen. Denn entweder, sagen sie, sind diejenigen, welche andere angeben, selbst in Wahrheit Hexen oder sind sie keine. Wenn sie selbst keine Hexen sind, so können sie von andern nicht wissen, sondern sagen die Unwahrheit über sie selbst und über andere, um nur der Marter abzukommen (= ledig zu werden). Sind sie aber Hexen, so kann man ihre Aussagen nur für lügenhaft halten, weil der Teufel als ein Vater der Lügen ihr Lehrmeister ist.
Andere Rechtsgelehrte aber, insgemein auch die Peinliche Halsgerichtsordnung gehen dahin, dass dergleichen Nennungen für sich allein weder zur Captur (= Verhaftung), viel weniger zur peinlichen Frage genügen, sondern allein zu weiterer Nachforschung dienen, ob nun das Angeben von einem oder von mehr Malefikanten geschehen ist. Überdies wenn sie zur Tortur ausreichend sein sollen, wird notwendig erfordert, daß alle die Requisita (= Erfordernisse, Vorschriften), welche die Peinliche Halsgerichtsordnung in processu torturae (= im Verfahren der Folterung) beobachtet haben will, pünktlich in acht genommen werden. Sonst sind sie für null und nichtig zu achten.
Darunter aber ermangelt hier (= In dieser Hinsicht ist es ein Fehler), daß die Nennungen nicht unter Tortur geschahen, wie beikommende (= beigefügte) Extrakte alle lauten, die Inquisitin sei im gütlichen Geständnis angegeben worden.
Zweitens ist aus den Extrakten nicht zu sehen, daß der Richter insgemein von andern genannte Malefikanten gefragt habe.
Drittens muß der angebende Malefikant eigentlich (= genau) nach allen Umständen fleißig gefragt werden, wovon die beigelegten Extrakte keine Nachricht geben.
Viertens müssen die Angeber auf ihrer Aussage beständig bleiben. Nun aber gibt ein Extrakt an, daß Anna, Eheweib des Ludwig Dürrer, ihre Aussag wegen der Inquisitin wieder zurückgezogen habe.
Überdies finden die Unterzeichneten aus allen Nennungen nicht, daß von den Malefikanten ein einzig glaub würdig Verbrechen auf die Inquisitin bekannt (= ausgesagt) wurde, als (= z. B.) daß sie sich hätte umtaufen lassen, Menschen oder Vieh Schaden getan hätte, sondern allein, daß sie auf die Scheibe mitgefahren und daselbst sich präsentiert habe. Solches Ausfahren will doch von vielen verständigen Leuten für bloße Phantasien und des Teufels Gaukelspiel meistenteils gehalten werden, welcher den Hexen auch unschuldige Personen einbilden kann, als wären sie erschienen.
Das andere Indicium, daß die Inquisitin verschiedenen Personen unter dem Branntwein und Brot Gift beigebracht oder sie damit sonstwie behext haben soll, daß sie erkrankten und schließlich ihr Leben elend aufgeben mußten, ist zur Zeit noch nicht erwiesen, weil bei den Zeugenaussagen hierüber sich allerhand Mängel finden. Denn erstens ist keine dieser Personen vereidigt worden, was doch, wenn die Aussage etwas probieren (= beweisen) soll, besonders in peinlichen Sachen, notwendig erfordert wird, so daß auch mit Bewilligung der Parteien der Eid denselben nicht remittiert (= erlassen) werden kann. Zweitens sind die Zeugen nicht ordentlich auf Artikel (= die einzelnen Punkte) verhört und über alle Umstände genugsam examiniert und eigentlich (= genau) befragt worden, was doch auch notwendig erfordert wird. Drittens ist der legitimus numerus (= die gesetzliche Zahl) der Zeugen nicht bei allen angegebenen Fakten vorhanden. Bei jedem Faktum werden mindestens zwei erfordert.
Nun aber attestiert wegen des Schaaff-Hans dessen nachgelassene Witib, welche auch für sich nichts weiß, sondern nur von ihrem Mann alles gehört hat. Gleiche Bewandtnis hat es auch mit Jacob Schäffer und der Müller-Anna, welchen die Inquisitin Branntwein zu trinken gegeben haben soll. Dieser gewesene Ehemann selbst attestiert, er habe alles nur vom Hörensagen.
Peinliche Halsgerichtsordnung Art. 65: "Die Zeugen sollen sagen von ihrem selbsteigenen wahren Wissen mit Anzeigung ihres Wissens gründlicher Ursach. So (= Was) sie aber von fremden hören sagen (= auf Grund von Hörensagen Aussagen machen) würden, das soll nicht genugsam geachtet werden."
Überdies hat es ein starkes Ansehen (= sieht es stark so aus), daß die Ursach des Tods bei denen, über die die genannten Zeugen aussagen, aus natürlichen Ursachen, nicht aber von Hexerei entsprungen ist und die Inculpation (= Beschuldigung) der Inquisitin allein aus abergläubischem Einbilden herrührt, wie über die Hausfrau selig des Johann Jacob Gruen der Medicus und die Chirurgi aussagen, daß keine Indicia von Gift, wie der gemeine Ruf verlautete, sich an dem Leichnam fanden, sondern dieser sei so beschaffen gewesen wie die cadavera hydropicorum (= der Wassersüchtigen) sonst zu sein pflegen.
Gleichfalls sagt Hans Fetzer aus, daß sein Weib, ehe sie den Branntwein von der Inquisitin empfing, schon krank war, so daß also deren Tod nicht notwendig durch die Inquisitin befördert wurde.
Weil nun diese beiden Indicia auf so schwachen Füßen stehen, so kann das dritte, nämlich die fama communis (= das allgemeine Gerede), welche den Ursprung aus solchen Nennungen und abergläubischen Einbildungen des Pöbels gewonnen hat, nicht von Importanz und Valor (= Gewicht und Wert) sein.
Peinliche Halsgerichtsordnung Artikel 25.
Endlich das 4. und letzte Indicium, daß die Inquisitin in etlichen vornehmen (= wichtigen) Umständen merklich variiert oder die Unwahrheit angezeigt habe, ist zu Recht nicht erwiesen. Bei dem Stadtschäfer finden sich 2 Punkte, in denen die Inquisitin mit der Zeugenaussage different ist, daß er nach getrunkenem Branntwein beim Heimgehen gleich auf der Stiege habe niedersitzen müssen. Dem widerspricht die Inquisitin. Es ist aber das Gegenteil nicht dargetan. Denn solches wird allein durch Barbara, Witib des besagten Stadtschäfers, attestiert, welche es von ihrem Mann gehört haben soll. Sie ist also testis unica (= die einzige Zeugin) und zwar de auditu alieno (= vom Hörensagen). Zweitens daß die Inquisitin vorgibt, der Stadtschäfer habe sie frei und los gesprochen, als sie ihn in der Krankheit besuchte und sie ihm das allgemeine Geschrei vorhielt. Hiegegen steht abermal allein die Aussage der Barbara, zwar nicht ausdrücklich, sondern es heißt nur, ihr Mann sei damals, als die Inquisitin zu ihm kam, so krank gewesen, daß er nimmer viel habe reden können. Aber Anna Maria, Eheweib des Basti Zeglen, attestiert, der Schäfer habe in ihrem Beisein, als das Aferle zu ihm redete, gesagt, er zeihe sie nichts. Das kann die Inquisitin als eine Lossprechung gedeutet haben, so daß sie hierin kein mendacium (= Lüge) beging.
Ferner finden sich auch 2 Punkte bei des Groners Weib, worin die Inquisitin mit den Zeugen nicht übereinstimmt. Erstlich hat die Inquisitin ausgesagt, sie habe des Groners Weib das Brot unterwegs nach Pfullingen gegeben. Dagegen sagen die Zeugen aus, daß das auf dem Rathaus zu Pfullingen geschehen sei. Die Zeugen alle aber haben das nicht aus eigener Kenntnis, sondern nur von der Verstorbenen gehört. Deren Aussage ist zu rechtlicher Beweisung zu wenig. Zweitens hat die Inquisitin angegeben, die Verstorbene habe sie frei gesprochen. Dem widersprachen zwar etliche Zeugen. Aber Anna, Eheweib des Martin Schirm, sagt aus, es habe die Verstorbene zu der Inquisitin gesagt: "Hast du mir etwas darein getan, weiß ich's nicht. Hast du nichts darein getan, weiß ich's auch nicht." Diese Rede kann die Inquisitin für eine Exculpation (= Freisprechung von einer Schuld, Rechtfertigung) genommen haben, so daß sie auch hierin kein mendacium (= Lüge) begeht.
Weil die Unterzeichneten diesem allem nach die Indicia samt und sonders zu rechtlicher Genüge nicht fundiert finden, wird man mit der Inquisitin weder zur Territion (= Bedrohung, nämlich mit der Tortur) noch viel weniger zu der scharfen Frage selbst schreiten können, sondern sie sind der Meinung, daß sie, falls sie auf ferneren Zuspruch und ernstliche Erinnerung in der Güte zum Geständnis sich nicht bequemen wollte, für diesmal bis zu Erlangung besseren Grunds dem gerechten Gericht Gottes, der auch das Verborgene zu seiner Zeit offenbart, zu überlassen und wieder aus der Haft zu entlassen, indessen aber auf ihr Tun und Lassen fleißig Acht zu geben sei. Dabei könnte ihr beditten (= bedeutet) werden, daß sie sich, weil sie bei der Bürgerschaft insgemein gleichwohl (= trotzdem) im bösen Verdacht ist und deswegen von jedermann ohnedies geäußert (= gemieden) wird, eine Zeitlang im Hause halten und des unnötigen Ausgehens unter die Leut sich bemüssigen (= enthalten) möge.
Ferner weil sie äußerlich (= von außen her) vernehmen, daß die Bürgerschaft wegen der Hexen sehr schwierig sei und aus blindem Eifer zur Strafe die Obrigkeit zuvieler Gelindigkeit beschuldigen und einen Unwillen wider dieselbe verspüren lassen soll, wenn man nicht gleich mit den ihrem Wahn nach verdächtigen Personen zu Folter und Scheiterhaufen prorumpieren (= vordringen, sich hinreißen lassen) will, hielten die Unterzeichneten es nicht für undienlich, daß durch ein ehrwürdiges Ministerium (= Predigtamt) denselben ihr Unfug (= Unrecht) von der Kanzel beweglich demonstriert und aus Gottes Wort ernstlich vor Augen gelegt wurde, wie hoch sie durch solchen Aberglauben wider Gott und dessen heilige Gebote in der 1. Tafel (= 1. Gebot) und sodann durch dergleichen Beschuldigen und Diffamationes (= Verleumdungen) wider die Nächstenliebe, die in der 2. Tafel geboten ist, sündigen und sich schwer vergreifen. Dahin zielt, was ein gewissenhafter Theologus und J(uris) C(onsul)tus an einer Stelle über die Frage, warum es bei uns Deutschen mehr Hexen als bei andern Nationen gebe, schreibt: "Du mußt zum Eingang merken, daß bei uns Deutschen - man sollte sich dessen billig schämen - der Aberglaube, die Mißgunst, Lästern, Afterreden (= üble Nachrede), Schänden (= Beschimpfen), Schmähen, hinterlistiges Ohrenblasen unglaublich tief eingewurzelt ist, welches weder von der Obrigkeit nach Gebühr gestraft noch von der Kanzel der Notdurft (= Notwendigkeit) nach widerlegt und die Leute davor gewarnt und abgemahnt werden. Daher entsteht dann eben der erste Verdacht der Zauberei und daher kommt, daß alle Strafen Gottes, die er in seinem heiligen Wort den Ungehorsamen gedroht hat, von Zauberei und Hexen geschehen sein sollen; da muß weder Gott noch die Natur mehr etwas gelten, sondern die Hexen müssen alles getan haben etc."
Was die 2. Person anlangt, Elisabeth, Eheweib des Sattlers Hemlemlen, sonst die Sattler-Elsa genannt, so finden die Unterzeichneten folgendes:
Nachdem sie die Tortur ausgestanden und die damals wider sie vorgebrachten Indicia purgiert (= gereinigt) hatte, wurde auf ihr Leben fleißig Acht gegeben, jedoch wurde nichts weiter an ihr verspürt, auch kam nicht die geringste Klage ein. Sie wurde aber von neuem von Personen als Hexe angegeben. Weil aber aus Obigem erhellt, wieviel auf solche Nennungen zu halten ist, so sind die Unterzeichneten der Meinung, daß man mit diesem Weib weder zur Captur (= Haft) noch viel weniger zur scharfen Frage zu schreiten genugsame Anzeigung hat, sondern sie nach ihrem Wesen und Wandel künftig fleißig beobachten und dieses bis zu besserer Nachricht Gottes Willen und Rat heimstellen soll.
Dorsal-/Marginalvermerke: Auf eingeheftetem (zwischen folio 9a und 10) Zettelchen: Operae pretium (= Honorar) 8 Reichstaler, Schreibgebühr 1 fl 28 Kr.
- Reference number
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A 2 f (Hexenprozesse) Nr. A 2 f (Hexenprozesse) Nr. 7833
- Extent
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34 S.
- Formal description
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Beschreibstoff: Pap.
- Further information
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Ausstellungsort: Tübingen
Zeugen / Siegler / Unterschriften: Wolf Adam Lauterbach D(octor)
...(?) Scheinemann D(octor)
Siegel (Erhaltung): 2 Petschaft-Abdrücke
Bemerkungen: Die einzelnen Feststellungen des Gutachtens sind gestützt durch Verweisungen auf stellen in lateinischen rechtswissenschaftlichen Werken. Es werden auch solche Stellen wörtlich zitiert: Original folio 3, 3a, 5, 5a, 6, 6a, 7, 9, 9a, 12a, 13, 13a. Diese Verweisungen und Zitate sind in das Regest nicht aufgenommen. Wer auf sie Wert legt, muß sie im Original einsehen.
Genetisches Stadium: Or.
- Context
-
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 23-25) >> Bd. 24 Hexenprozesse
- Holding
-
A 2 f (Hexenprozesse) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 23-25)
- Date of creation
-
1665 April 28
- Other object pages
- Last update
-
20.03.2025, 11:14 AM CET
Data provider
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Object type
- Archivale
Time of origin
- 1665 April 28