Bestand

Landgericht Tübingen (Bestand)

Überlieferungsgeschichte
Zur Gerichtsorganisation
Das heutige Landgericht Tübingen verdankt seine Entstehung der Neuorganisation des Gerichtswesens im Zusammenhang mit der Einrichtung des Verfassungsstaats in Württemberg. Als Mittelinstanz wurde durch Verordnung vom 9. Okt. 1818 (Reg.Bl. S. 561) in jedem der vier Kreise ein Gerichtshof gebildet; der "Kgl. Gerichtshof für den Schwarzwaldkreis" erhielt seinen Sitz in Tübingen, das schon in altwürttembergischer Zeit das Hofgericht beherbergt hatte. Er umfasste in drei Senaten - Kriminalsenat, Zivilsenat, Pupillen-(Vormundschafts-)Senat - sämtliche Zweige der Rechtsprechung. Durch Gesetz vom 15. Sept. 1822 (Reg.Bl. S.674) wurde dem Kreisgerichtshof außerdem ein ehegerichtlicher Senat angegliedert, dem neben den Richtern noch zwei evangelische geistliche Beisitzer angehörten (die Ehesachen der Katholiken berührten die bürgerlichen Gerichte nicht).
Mit der Einführung der Strafprozessordnung vom 22. Juni 1843 (Reg.Bl. S.459) wurde bei den Kreisgerichtshöfen die Einrichtung des Staatsanwalts als öffentlichem Ankläger geschaffen. Vorerst nur ein Richter im Nebenamt, wurde er und ein Stellvertreter aus den Mitgliedern des Zivilsenats des Gerichtshofs oder der Bezirksgerichte des Kreises vom König auf Widerruf ernannt. Im Jahr 1849 wurden die Schwurgerichtshöfe eingerichtet, in jedem Kreis zwei; außer Tübingen erhielt Rottweil einen Schwurgerichtshof.
Der Kreisgerichtshof war gleichzeitig II. Instanz für die 17 Oberamtsgerichte des Schwarzwaldkreises in Balingen, Calw, Freudenstadt, Herrenberg, Horb, Nagold, Neuenbürg, Nürtingen, Oberndorf, Reutlingen, Rottenburg, Rottweil, Spaichingen, Sulz, Tübingen, Tuttlingen, Urach.
Eine weitere Umgestaltung der Gerichtsverfassung in Württemberg brachte das Gesetz vom 13. März 1868 (Reg.Bl. S.61). Die Neuordnung trat am 1. Febr. 1869 in Kraft. Jeder Kreis erhielt neben dem bestehenden einen zweiten Kreisgerichtshof. So wurde im Schwarzwaldkreis der Kreisgerichtshof Rottweil neu gebildet.
Der Sprengel des Kreisgerichtshofs Tübingen wurde laut Bekanntmachung vom 13. Juli 1868 (Reg.Bl. S.410) auf die Oberamtsgerichte Calw, Herrenberg, Nagold, Neuenbürg, Nürtingen, Reutlingen, Rottenburg, Tübingen und Urach beschränkt. Zu den Senaten, jetzt Kammern genannt, kam eine Rats- und Kollegiumskammer, die über Einleitung, Fortsetzung und Einstellung des Untersuchungsverfahrens zu entscheiden hatte. Andererseits ging der Pupillensenat in der Zivilkammer auf.
Der Sprengel jedes Kreisgerichtshofs bildete gleichzeitig einen Schwurgerichtsbezirk. Die Staatsanwaltschaft wurde eine selbständige Behörde.
Die nächste Änderung wurde durch die Reichsjustizgesetze von 1877 bewirkt, die das Gerichtswesen einheitlich für das ganze Deutsche Reich regelten. Durch das württembergische Ausführungsgesetz vom 24. Jan. 1879 (Reg.Bl. S.3) wurden alle Gerichte ohne grundlegende Änderung auf das Reichsrecht umgestellt. Der Kreisgerichtshof wurde Landgericht mit einem Präsidenten, Direktoren und Räten. Die Weimarer Verfassung und die Verfassung des freien Volksstaats Württemberg von 1919 änderten nichts an der Gerichtsverfassung. Während der nationalsozialistischen Regierung waren alle württembergischen Gerichtsbehörden Reichsbehörden (1934-1945). Nach kurzer Stilllegung der Rechtspflege durch die Alliierten von April bis Oktober 1945 wurden Amtsgerichte, Landgerichte und Staatsanwaltschaften wieder eröffnet.
Inhalt und Bewertung
Zum Aktenbestand
Der vorliegende Aktenbestand entstammt einer umfangreichen Aktenablieferung des Landgerichts Tübingen vom 16. Febr. 1955 (Acc.2/1955) sowie weiteren Ablieferungen des Landgerichts vom 12. Aug. 1960 (Acc. 21/1960) und 17. Mai 1963 (Acc. 8/1963) und des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. Juli 1958 (Acc. 28/1958), letztere Gerichtskassenrechnungen des Landgerichts enthaltend.
Bei der Ordnung des Bestandes wurden Akten anderer Behörden teilweise beträchtlichen Umfangs herausgelöst. Vor allem handelte es sich dabei um Akten der Oberamtsgerichte des Schwarzwald-kreises; sie wurden zu den von diesen abgelieferten Akten (Wü 30) gelegt und dort verzeichnet. Ausgesondert wurden ferner Akten von Behörden, die bei der Neuorganisation der Gerichtsbehörden (1818) aufgelöst worden waren, so insbesondere Akten
1) des Ober(appellations)tribunals in Tübingen bzw. in Stuttgart,
2) des Oberjustizkollegiums I. Senat bzw. (ab 1811) des Kriminal-tribunals in Esslingen,
3) des Oberjustizkollegiums II. Senat (Appellationszivilgericht) in Stuttgart,
4) des Tutelarrats in Stuttgart,
5) des Provinzialjustizkollegiums in Rottenburg,
6) der Retardatenkommission, III. Sektion der Justiz in Rottenburg.
Sie sollten seinerzeit mit den Hauptbeständen dieser Behörden, die gegenwärtig (mit Ausnahme des Provinzialjustizkollegiums) im Staatsarchiv Ludwigsburg liegen (D 68, D 70, D 69, D 70a, E 182), vereinigt werden.
Außer dieser provenienzmäßigen Aussonderung wurde aus praktischen Gründen eine Trennung des umfangreichen Bestandes vorgenommen. Die beim Landgericht Tübingen erwachsenen Akten betr. die Exemten mit ca. 26 lfd. m wurden als getrennter Bestand mit eigener Zählung verzeichnet (Wü 28/3E; später Wü 28/3 T 10-11).
Der vorliegende Bestand enthält die Schriftgutüberlieferung des 19. Jahrhunderts, soweit sie noch beim Landgericht Tübingen vorhanden war, fast vollständig; von Kassationen wurde weitgehend abgesehen. Bei den Akten des 20. Jahrhunderts wurde im Hinblick auf die Aktenmenge eine strengere Auswahl getroffen, die sich nach den Bestimmungen der AV des Justizministeriums vom 26. März 1955 (Die Justiz S.123 ff.) richtete. Die Akten betreffen zum größten Teil (8611 Nummern) Zivilprozesse von 1807 bis 1955, ferner Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Ehesachen, Ablösungssachen (434 Nummern) von 1821-1869, Verwaltungs- und Personalangelegenheiten, schließlich Strafprozessakten (46 Nummern!) von 1906-1932, wobei zu bemerken ist, dass die Strafprozessregister von 1807-1879 lückenlos erhalten sind. Weitere Akten des Landgerichts Tübingen, die vor 1939 an das Staatsarchiv abgegeben worden sind, werden noch im Staatsarchiv Ludwigsburg verwahrt (Bestände E 327-Zivilsachen und E 331-Strafsachen). Sie sollen gelegentlich entsprechend der Archivzuständigkeit mit dem hier befindlichen Bestand vereinigt werden.
Zur Anlage des Repertoriums
Wegen des Umfangs musste das Repertorium auf mehrere Bände aufgeteilt werden. Der Inhalt der einzelnen Bände ist aus der Inhaltsübersicht zu ersehen. Die Gliederung lehnt sich weitgehend an die heute übliche der "Bestimmungen über die Aufbewahrungsfristen für Akten, Register und Urkunden bei den Justizbehörden¿ von 1961 an. Eine kleine Anzahl Zivilprozessakten (15 Nummern), die nach Abschluss der Verzeichnung zum Vorschein kamen, musste als Nachtrag dem letzten Band angefügt werden.
Der vorliegende Bestand wurde in der Zeit von Mai 1963 bis Dezember 1964 und von Mai bis August 1965 von Regierungshauptsekretär Plaumann verzeichnet. Das zwei eigene Bände füllende Orts- und Personenregister wurde 1966/67 von Frau Kalkuhl gefertigt. Die Reinschrift besorgte Fräulein Haas.
Der Bestand umfasst 9896 Nummern = 43 lfd. m.
Sigmaringen, September 1967
Dr. E. Stemmler
Mit den Zugängen 1981/ 17 und 1981/53 kamen weitere Zivilsachen aus dem Zeitraum 1897-1965 bzw. 1979-1981 hinzu (Bestellnummern 9899-9937). 1988 wurde schließlich noch die Personalakte von Prof. Dr. Carlo Schmid durch das Landgericht an das Staatsarchiv abgegeben (Zugang 1988/39; Bestellnummer 9938).
Die insgesamt 10 Repertorienbände wurden 2013 durch den Angestellten Alexander Hochhalter im Erschließungssystem scopeArchiv erfasst. Im Frühjahr 2016 besorgte der Unterzeichnete die Erstellung eines Orts- und Personenregisters mit normierten Orts- und Personenindizes.
Sigmaringen, Juli 2016
Dr. F.-J. Ziwes
Enthält:
Register:Kriminalakten: 1807-1879, auch des Kreisstrafgerichts Calw 1869-1874, Rubriken der Kriminalregistratur 1854-1872, Normalienbuch 1819-1858, Präjudizienbücher 1839-1871; Zivilprozeßakten: 1806-1852, Zivilsachen 1. Instanz 1818-1852, Zivilsachen 2. Instanz 1818-1852, allgemeine Gegenstände in Zivilsachen 1818-1877, außergerichtliche Gegenstände in Zivilsachen 1869-1879, Registratur der allgemeinen Sachen 1819-1879, übernommene Prozesse vom Oberamtsgericht Reutlingen in Wechselsachen 1806-1868, Rubiken und Faszikel in Sachen 1. und 2. Instanz 1852-1883, Ehesachen 1806-1883, Normalienbücher 1811-1886, Präjudizienbücher 1818-1876, Kauf- bzw. Kontraktenbücher 1822-1897, Güterbuchs- und Pfandsachen: Repertorium, Protokolle, Diarien 1823-1877, Diarien 1887-1889, willkürliche Gerichtsbarkeit 1825-1852, Retardatenprozeßlisten o.D., Güter- und Gefällveräußerungen des Staats 1843-1848, Depositen 1832-1877, Aktenübernahmeverzeichnis 1818;
Zivilprozeßakten: Zivilprozesse 1807, 1810-1930, 1953-1955, Beschwerden, Bittgesuche, Berichte 1815-1864, Entmündigungen 1852-1876, 1906, 1920-1930, Wechselprozesse 1848, 1866-1868, Kraftloserklärung von Pfandscheinen 1869-1879, Vermögensausfolge Verschollener 1856, 1868-1879, Fideikomiß 1818, Nachlass, Inventur, Teilung 1807, 1818, Privatinventuren 1818, Nachlassverwaltung 1818, Schenkung, Legate 1833, Adoption, Arrogation, Legitimation 1818-1866, 1872, Einkindschaftsverträge, Beschwerden 1834, 1838, 1840, 1858, Ehelichkeit 1821, 1826-1875, Ablösung 1821-1869;
Strafprozeßakten: Strafprozesse 1806, 1911, 1917, 1919-1923, 1925-1926, 1928-1930;
Exemte: Urkunden 1619, 1698, 1748, Verzeichnis über Besitzer und Ortsnennungen 1821-1822, 1845, Normalienbücher des Pupillensenats 1819-1878, Protokolle des Pupillensenats 1860-1869, Repertorien beim Pupillensenat 1780-1879, betr. Pfandwesen 1825-1846, über Güterbuch- und Unterpfandsakten 1844-1854, der Pfleghofregistratur 1869-1900, über die Registratur in außergerichtlichen Sachen 1882-1898, Verzeichnisse der oberamtsrichterlichen Erkenntnisse über Verträge exemter Güter 1818-1824, über Verpfändungen 1843, der Inventur- und Teilungsakten von Militärpersonen, über Verlassenschaftsteilungen 1830-1884, über Teilungen der Exemten 1885-1899, der verpflichteten Vormünder 1821-1845, der Generalagenturen 1822-1849, über Beibringensinventuren und Ehepakte 1819-1900, über Aktenübergaben und -übernahmen 1821-1906 ,Journal in Unterpfandssachen 1828, Kontrollbuch über Eintragungen beim Kriegsdepartement 1821, in Unterpfands- und Güterbuchhefte 1841-1844, Pflegschaftstabelle über Ansprüche minderjähriger Erben 1843-1899, Pflegschaftsbücher 1818-1900, Diarien 1866-1869, Berichte der Oberämter über Verehehlichungen und Todesfälle 1818-1835, verschiedene periodische Berichte 1870-1900, Erlasse 1823-1865,
Verwaltung: Protokolle über Visitation der Oberamtsgerichte 1828-1889, Prüfung des Hinterlegungswesens 1900-1910, der Depositenbücher und Sturzprotokolle 1854, 1866, 1880-1900, Pfandwesen 1824-1900, Güterbuchwesen 1859-1900, Geschäftsregister 1800-1922, Berichte, Erlasse, Instruktionen 1818-1875, Entscheidungsnormen bei Rechtsstreitigkeiten 1822-1856, periodische Ber ichte 1842-1881, Innere Verwaltung und Organisation 1822-1884, Regelung des Schriftverkehrs 1828-1869, Direktorialakten 1818-1928, Präsidialakten (v.a. Glückwunsch- und Beileidsschreiben) 1818-1864), Personalakten u.a. des Landgerichtsrats Dr. Karl (Carlo) Schmid (Laufzeit: 1925-1945, Bestellnummer 9938 )1823-1868, 1925-1945, Personalveränderungen 1878, Bestellung als Hilfsrichter und außerordentliches Mitglied 1872-1924, Besoldungsvorschuss 1819-1824

Reference number of holding
Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 28/3 T 1-9, 12
Extent
58,6 lfd.m

Context
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen (Archivtektonik) >> Südwürttembergische Bestände >> Justiz >> Landgerichte >> Landgericht Tübingen

Indexentry person
Indexentry place
Tübingen TÜ; Landgericht

Date of creation of holding
1800-1981

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03.04.2025, 8:37 AM CEST

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  • Bestand

Time of origin

  • 1800-1981

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