Archivalie
Lieber Herr Meyer, verfl...dachte ich und freute mich sehr...
Transkription: 19. Dez 1922 Lieber Herr Meyer, verfl.... dachte ich und freute mich sehr, Ihren Brief vorzufinden. Wie lange ich schon schreiben wollte spottet der Beschreibung. Am 2. Dez. früh 9h kam das Mädchen Ute Jaïna auf die Welt. Vor und nachher Affaire Gropius - Bruder, vorläufig endend mit der Verurteilung des Letzteren auch seitens der Regierung. Vorher auch Huber-Beruf - ein Grund sofort zu schreiben. Am 15. Portoerhöhung ums doppelte. Die 3 ersten Ereignisse erforderten lange Seiten. Ich fasse mich kurz denn: ich muß morgen nach Stuttgart fahren weil Burger jetzt soweit ist mir die ganze "Schuld an dem großen Mißerfolg in Stuttgart" zuzuschreiben. Auch daß ich auf dem besten Wege sei "meinen ganzen Personenkult" der eben jenen Mißerfolg brachte "nach Berlin zu verpflanzen." Kennen Sie den Briefstil B.s, die Graphik der Hemmungen, um zu wissen daß er nicht fähig ist, ein vernünftiges Wort oder Satz zu schreiben. Nun bin ich allerdings auch geladen, was ich bisher mit Aufwand von Kraft, Verstand u Nerven zu neutralisieren suchte. Dennoch will ich die Verhandlungen klug wie die Tauben u sanft wie der Spatz auf dem Dache führen. Schläue um Schläue - - - ich berichte dann wieder. Das Mädchen also war eines, und damit der Beweis erbracht daß ihre Forderungen für das Zustandekommen eines Knaben noch nicht erfüllt seien. Dafür wollen wir uns nun aber Zeit lassen. Es wird, sagen wir uns, schon in der Vorsehung der Natur begündet sein, die hier allein Bestimmungsrecht hat, uns eben Mädchen zu geben. Meine Frau braucht Hausgeisterchen zu ihrer Entlastung u Stütze und um mirs bequem zu machen - und keine Soldaten. Bis jetzt scheint "das Neue" tuteinisch" zu werden, Karin ist schlemmersch. Sie blond helläugig u fidel die Neue dunkel und ernst - wie es scheint - -. Frau Tut schickt sich auch in das Schicksal; die Vorstellung eines Spitzbarts hat ihr plötzlich jegliches Interesse an Buben zerstreut. In dem entstehenden Tumult zu Hause griff die Schwester der Mutter helfend ein - ich habe im Gegenteil meine Freiheit wieder, bestehend in 2-3 tägigem u Untensein im Atelier, dh. Schlafens unten, Urlaub, Dispens... [Randnotiz: Übergab Huber die Canstatter Bühnenbildchen? Improvitionen, Jux.] Weßhalb ich doch nicht zum Schreiben kam, sind dringende Geschäfte, Litterarisches, Organisatorisches, Vorbereitendes zur Ausstellung des Bauhauses 1923. Die Schüler wählten: [roter Stempel] DIE AUSSTELLUNGSKOMMISSION der Muche, ich, ein Handwerksmeister, ein Geselle, u ein Lehrling angehört: eine Art Aktionsausschuß mit fast diktatorischen Rechten - und Pflichten. - Auch darüber Näheres später, nur soviel daß selbst Gropius diesem Ausschuß in einem wesentlichen Fall klein begeben mußte. Huber: ( - ein Grund des Schweigens vielleicht daß ich dachte Huber würde ja doch berichten - ) ich freute mich in Wiederzusehen und sah ihn wieder im Atelier von Klee: breit, gesund, fast be- häbig, irgendwo vielleicht zwischen Schultern eine Ballung, Verdickung, Stärkung, aber es kann das 4 schrötig sein das glaub ich auch mehr Lob als Tadel ist. Doch muß ich immer daran denken vielleicht weil ich zusammenhang mit seiner Kunst suche oder spüre. - Wir kamen uns glaube ich, rasch nahe u waren eigentlich sofort mitten drin im Problem. Ich sagte ihm auch von der "Bindung des Metaphysischen" das er dann allerdings für sich so deutete daß es das sei was er Ihnen gegenüber immer sage u gesagt hätte: Abstraktion allein ist nicht lebensfähig, sie braucht den Mutterboden Natur. Darum habe er gerungen u gekämpft, auch sich durch gekämpft zu seinem Persönlichen. Huber war sehr tolerant gestimmt, betonte auch, daß er heute vieles gelten lasse u als berechtigt anerkenne was früher nicht - Vielleicht bestätigte ich ihm zu viel u gab Recht in eben jenem Punkt über den ich anders denke: Abstraktion ist eben lebensfähig ohne Natur zu malen. Das tägliche Erleben u Schauen ist fortgesetztes Naturstudium. Ich glaube auch an die Abstraktion und stelle mir noch immer Herrliches vor
- Sammlung
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Archiv Oskar Schlemmer
- Inventarnummer
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AOS 2016/1584
- Material/Technik
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Papier; Tinte
- Ereignis
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Herstellung
- (wer)
- Provenienz
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Abschrift vorhanden; Kasten 20 Mappe 2 und Ordner Regal 11 Abschriften unikal
- Rechteinformation
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Staatsgalerie Stuttgart
- Letzte Aktualisierung
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28.03.2025, 12:10 MEZ
Datenpartner
Staatsgalerie Stuttgart. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Archivalie
Beteiligte
- Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
- Otto Meyer-Amden (20.02.1885 - 15.01.1933)