Triptychon
Christus am Ölberg
Gossaerts vielseitige Fähigkeiten, seine gediegene Kenntnis der großen Meister des 15. Jahrhunderts und die intensive Beschäftigung mit den Denkmälern der Antike haben seine unverwechselbare Stellung innerhalb der niederländischen Kunst begründet. Sein Bild Christus am Ölberg dürfte um 1509/10, also unmittelbar nach der Italienreise entstanden sein, die der Künstler 1508 im Gefolge Philipps von Burgund (1465- 1524) unternommen hatte. Von den Eindrücken und Erfahrungen des Romaufenthaltes ist in diesem Werk freilich nichts zu bemerken. In den Evangelien wird davon berichtet, wie sich Christus in der auf das Abendmahl folgenden Nacht mit seinen Jüngern zum Ölberg begab, wie er sie bat, mit ihm zu wachen, sich von ihnen entfernte, niederkniete, betete und sprach: »Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und es kam, daß er mit dem Tode rang und betete heftiger. Es ward aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf dieErde. Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafen vor Traurigkeit« (Lukas 22, 42-45). Im Anschluß daran erzählen die Evangelien, wie der Verräter Judas an der Spitze der Häscher in den Garten Gethsemane eindrang, auf Christus zuging und ihn mit dem Kuß als dem verabredeten Zeichen des Verrats begrüßte. Gossaert schildert nicht die dramatische Szene der Verhaftung Christi, sondern den stillen inneren Kampf des Herrn angesichts der Unausweichlichkeit des bevorstehenden Todes. Es sind die letzten Stunden der Nacht, die Christus »betrübt bis an den Tod« allein zu bestehen hat, während seine Jünger schlafen. Am Himmel steht die schmale Sichel des abnehmenden Mondes, der die dahinziehenden Wolken, die Bäume, die Felsen und die Türme des fernen Jerusalem in ein fahles, unwirkliches Licht taucht. Das jugendliche, von Schweiß und Tränen überströmte Gesicht Christi ist hell beleuchtet. Helles Licht trifft auch das Gesicht Petri, der mit dem Schwert an der Seite schlafend im Vordergrund ruht. Neben ihm liegen Johannes und Jacobus, die, vom Schlaf übermannt, den Kopf in die Hand stützen. Aus der Höhe schwebt der Engel zu Christus herab. Er hat den Kelch mit der Hostie vor ihm auf dem Felsen niedergesetzt. Im Hintergrund drängen die von Judas geführten Häscher aus dem geöffneten Stadttor heran. Ihre Waffen und Rüstungen glänzen im Licht des Mondes. Sie tragen Fackeln, um in der Dunkelheit ihren Weg nicht zu verfehlen. Dieses Werk, eines der frühesten und eindrucksvollsten Nachtbilder, das wir kennen, erweist Gossaert als einen Maler von außerordentlicher Virtuosität. Die effektvolle und dabei zugleich erstaunlich differenzierte Lichtführung ist hier dazu eingesetzt, die innere Dramatik des Geschehens, das Unheilvolle der nächtlichen Stunde und die tiefe seelische Verzweiflung des Gottessohnes zu veranschaulichen. Es wird vermutet, daß es sich bei Gossaerts Christus am Ölberg um die Mitteltafel eines kleinen Triptychons handelt, zu dem zwei bewegliche Flügel gehörten. Die aus zwei Tafeln bestehende Grisaillemalerei mit der Darstellung des heiligen Hieronymus, die heute in Washington (National Gallery of Art) bewahrt wird, könnte möglicherweise die Außenseiten der Flügel gebildet haben. Die Innenseiten sind nicht erhalten. Es wäre jedoch denkbar, daß dort einst trauernde Engel mit den Leidenswerkzeugen vor nächtlich dunklem Grund wiedergegeben waren. | 200 Meisterwerke der europäischen Malerei - Gemäldegalerie Berlin, 2010 ______________________________________________________ The gospels tell us how Christ, who went to the Mount of Olives with his disciples at night after the Last Supper, knelt down and prayed: “Father, if it is your will, take this cup from me; yet not my will but yours be done.” An angel then appeared to him from heaven to strengthen him. In his anguish he prayed with all the greater intensity, and his sweat became like drops of blood falling to the ground. Then he rose from prayer and came to his disciples, only to find them asleep, exhausted with grief (Luke 22, 42-45). After this, Judas appeared at the head of the pursuers in the Garden of Gethsemane, went up to Christ and greeted him with the traitor’s kiss. This picture is one of the first night scenes. The effective handling of light reinforces the drama of the events. | Prestel Museum Guides - Gemäldegalerie Berlin, 2012
- Standort
-
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, BerlinDeutschland, BerlinDeutschland
- Inventarnummer
-
551A
- Maße
-
Rahmenaußenmaß: 102 x 81 cm
Bildmaß: 85,9 x 63,9 cm
- Material/Technik
-
Eichenholz
- Ereignis
-
Eigentumswechsel
- (Beschreibung)
-
1848 Ankauf von Carl Friedrich Schulz
- Ereignis
-
Herstellung
- (wo)
-
Niederlande
- (wann)
-
1509 - 1510
- Letzte Aktualisierung
-
09.04.2025, 10:13 MESZ
Datenpartner
Gemäldegalerie. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Triptychon
Beteiligte
Entstanden
- 1509 - 1510