Bestand

Nachlass Korherr, Richard (Bestand)

Vorwort: Richard Korherr (1903-1989) studierte Volkswirtschaft und Staatswissenschaft von 1922 bis 1925 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wechselte 1925 an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, wo er 1926 zum Doktor der Staatwissenschaften promovierte. In seiner Dissertation thematisierte er den Geburtenrückgang. 1927 wurde diese unter dem Titel "Geburtenrückgang – Mahnruf an das deutsche Volk" mit einem Vorwort von Oswald Spengler veröffentlicht. Die spätere Auflage von 1935 erschien mit einem Geleitwort Heinrich Himmlers. Im Jahre 1928 wurde diese Arbeit in Rom unter dem Titel "Regresso delle nascite morte dei popoli" herausgegeben. Benito Mussolini, den Korherr bei zwei Reisen nach Rom auch persönlich kennenlernte, verfasste für diese Ausgabe ein Vorwort. Zwar enthält der Nachlass keine Briefe von Mussolini selbst (die Korrespondenz lief über das italienische Generalkonsulat in München bzw. die italienische Botschaft in Berlin), kurioserweise aber einen Brief von Margherita Sarfatti, der Geliebten Mussolinis, aus dem Jahr 1933. Wohl 1931 wurde Geburtenrückgang dann von Kozo Mori (umfangreicherer Schriftverkehr vorhanden) übersetzt und mit einem Vorwort von General Masahura Ugaki, Generalgouverneur von Korea, veröffentlicht. Korherr arbeitete 1930 in einer Abteilung des Statistischen Reichsamts in Berlin, allerdings nur für kurze Zeit. Im gleichen Jahr wurde er Geschäftsführer des Arbeitsausschusses „Reich und Heimat“, der vom bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held als Arbeitsstelle für den Föderalismus ins Leben gerufen worden war und dessen Überlieferung ebenfalls in der Abteilung V des Bayerischen Hauptstaatsarchivs verwahrt wird. Ab 1. Januar 1934 war Korherr beim Bayerischen Statistischen Landesamt tätig, wechselte aber schon 1935 an die Stadt Würzburg, wo er bis 1940 Direktor des Statistischen Amts war und zusätzlich eine Lehrverpflichtung an der Universität Würzburg innehatte. Am 9. Dezember 1940 wurde Korherr – angeblich gegen seinen eigenen Willen – zum Leiter der Statistischen Abteilung im SS-Hauptamt ernannt, verantwortlich für die Statistik in sämtlichen Ämtern der SS. Zugleich wurde er in Personalunion Inspekteur für Statistik beim Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei und beim Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums. 1943 wurde Korherr von Heinrich Himmler beauftragt, einen umfassenden Bericht „Die Endlösung der Europäischen Judenfrage“ anzufertigen, der heute meist unter der Bezeichnung „Korherr-Bericht“ firmiert. Dieser Bericht gilt als eine der wichtigsten Dokumente über den Genozid der Nationalsozialisten. Im Nachlass finden sich zwei Abschriften dieses Berichts, die im Rahmen der nachkriegszeitlichen Auseinandersetzung mit diesem entstanden sind. Das Original sowie weiteres diesbezügliches Material findet sich im Bundesarchiv. Zum 1. Januar 1944 wurde die Dienststelle in das Jagdschloss Thiergarten der ehemaligen Fürsten von Thurn und Taxis bei Sulzbach an der Donau in der Nähe von Regensburg verlegt und umbenannt in „Statistisch-wissenschaftliches Institut beim Reichsführer SS“. Dies erklärt, warum der Nachlass freundschaftliche Korrespondenz mit Prinz Karl August von Thurn und Taxis enthält, die auch nach dem Krieg aufrechterhalten wurde. Von 1945 bis 1946 war Korherr in Darmstadt interniert, im Verfahren vor der Spruchkammer Regensburg-Land wurde Korherr in die Gruppe der Mitläufer eingereiht. Ab 1950 wurde Korherr vom Bundesministerium der Finanzen übernommen und 1952 als Ministerialrat wiedereingesetzt. Als Gerald Reitlingers Buch "Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939–1945" (Titel der deutschen Ausgabe) 1956 den Bericht Korherrs einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt machte, wurde dieser zum 1. April 1958 in den Ruhestand versetzt. Korherrs Kontakte zu Prof. Karl Valentin Müller vermittelten ihm zudem vom Wintersemester 1959/60 bis Sommersemester 1962 einen Lehrauftrag an dessen Lehrstuhl an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Erlangen-Nürnberg. Neben persönlichen Dokumenten besteht der Nachlass ganz überwiegend aus Korrespondenz mit sehr unterschiedlichen Korrespondenzpartnern u.a. aus Politik und Wissenschaft. Zu nennen sind hier stellvertretend der Schriftsteller H. G. Adler, das Leo Baeck Institut in London, Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg (1945 vom NS-Regime ermordet) und seine Frau, Hermann Höcherl, u.a. Bundesinnen- und Bundeslandwirtschaftsminister, der Philosoph Oswald Spengler und seine Nichte Hildegard Kornhardt, Fritz Schäffer, der Religionswissenschaftler und Philosoph Prof. Pater Erhard Schlund OFM. u.v.a. Mehrheitlich datiert diese Korrespondenz zwar in die Nachkriegszeit, doch findet sich im Nachlass auch immer wieder Schriftverkehr vor Mai 1945. Hauptanliegen Richard Korherrs v.a. ab 1956 war es, sich, da er sich zu Unrecht von Staat und Gesellschaft verurteilt fühlte, zu rehabilitieren. Dies schlägt sich in zahlreichen Korrespondenzen, Notizen und Quellensammlungen, aber auch in vielen zugunsten von Richard Korherr ausgestellten eidesstattlichen Erklärungen Dritter nieder. Der Nachlass dokumentiert fast alle Lebensstationen Richard Korherrs, freilich in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit. Der Nachlass wurde dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv im Mai 2019 schenkungsweise durch die Enkelin von Richard Korherr im Auftrag von deren Mutter überlassen. Dezember 2019 Joachim Glasner

Reference number of holding
NL Korherr Richard
Extent
53
Language of the material
ger

Context
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Archivtektonik) >> Beständetektonik des Bayerischen Hauptstaatsarchivs >> 5 Abteilung V: Nachlässe und Sammlungen >> 5.1 Nachlässe und Familienarchive >> 5.1.2 Nachlässe >> Nachlässe F - K

Provenance
Nachlass Korherr, Richard
Date of creation of holding
1914 - 1989

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Last update
03.04.2025, 11:04 AM CEST

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  • Bestand

Associated

  • Nachlass Korherr, Richard

Time of origin

  • 1914 - 1989

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