Zeichnung

Maria der Verkündigung

Die Studie zu einer Maria der Verkündigung im Berliner Kupferstichkabinett wird in der Forschung häufig, aber keineswegs durchgängig mit Grünewalds Entwurfstätigkeit zu den Tafeln des Isenheimer Altars in Beziehung gesetzt. Und tatsächlich erscheint die vor einem flachen Podest mit einem Kissen und einem geöffneten Buch kniende Jungfrau geradezu wie ein Alternativmodell zu einer anderen Studie dieses Themas (Nr. 11) bzw. zur Bildfassung des Isenheimer Altars (Abb. 4). Maria trägt hier einen fein plissiertenMantel aus dünnem Stoff über einem langärmligen Gewand. Das Faltenwerk umspielt den Körper der Auserwählten so konsequent, daß deren leibliche Gestalt kaum zu erahnen ist. Dabei schlagen die am Boden aufstauchenden Säume in lebendigemVerlauf über weite Strecken nach innen ein und verwandeln so das kurztaktige Ziehharmonikaplissee in bauschige Stülpungen. Gerade mit demWenden einer Seite befaßt, gewahrt Maria den Engelsgruß. Sie erwidert ihn mit einer zwar erschreckt, aber dennoch wie zum Gruß erhobenen Rechten, die einen Schatten auf das Gesicht der Jungfrau wirft. In dieser Entwurfsphase war Grünewald das Motiv besonders wichtig, denn mehrere Überarbeitungen an den Fingern der erhobenen Hand zeugen von seiner Suche nach der richtigen Handgröße und Fingerlänge. Der heutige Eindruck der Zeichnung unterscheidet sich von anderen Blättern durch Linienverstärkungen mit schwarzer Tusche. Nachgezogen wurden Augen, Mund und die Kieferlinie. Ebenfalls durch Tuschelinien betont wurden die über die Schulter herabfallenden Haarlocken sowie die Plisseezeichnung auf der Brust, im Rücken und die tiefen Gewandfurchen zwischen dem vom Podest herabrutschenden Kissen und dem Körper Mariae. Wann und durch wen dies geschah, ist ungewiß. Grünewald selbst bediente sich auf keinem anderen Blatt solch kräftiger Verstärkungen mit Zeichentuschen. Nur die Studie zu Christus am Kreuz in Karlsruhe wurde ebenfalls mit – allerdings verdünnter – Tusche in der Binnenzeichnung modelliert. Der zurückhaltendere Gesamteindruck der Pinselmodellierung auf der Karlsruher Studie unterscheidet sich jedoch merklich von den Verstärkungen im Berliner Blatt. Diese sind in der Helligkeitsmodellierung des Gewandes zwar durchaus sinnvoll gesetzt, aber in der Gesichtszeichnung teilweise wenig subtil durchgeführt. Zwingende Gründe für eine unmittelbare Verknüpfung der Marienstudie mit der Isenheimer Verkündigungsdarstellung bestehen nicht. Dagegen verbindet die reiche Plissierung des Marienmantels das Blatt mit einem anderen Gemälde des Isenheimer Altars, mit dem Mantel Mariae auf der Geburtsdarstellung. Dort wird das spektakuläre Stauchmotiv des Plisseemantels zwischen Körper und Kissen, angepaßt an das andere Thema, übernommen. Die Grunddisposition der Gewandführung steht zudem auch dem Gewand der hl. Magdalena unter dem Kreuz im ColmarerWerk (Abb. 18) nahe. Man muß zwar nicht mit Fraenger annehmen, daß hier dasselbe Modell Pate gestanden hat. Gleichwohl verweisen die Parallelen auf eine ähnliche Zeitstellung der Berliner Zeichnung. Jedenfalls muß die Studie zur Zeit des Isenheimer Werks entstanden sein, und zwar vor der zweiten, tatsächlich umgesetzten Studie (Nr. 11). Weitere Beziehungen bestehen zum Gewand der Berliner Dorothea (Nr. 9). Darüber hinaus verbindet diese beiden Blätter auch die Darstellung eines Podestes, möglicherweise einer Atelier-Requisite. Die Verbindung der Berliner Marienstudie mit dem Isenheimer Werk ist daher nicht zuletzt für andere, schwer einzuordnende Blätter Grünewalds bedeutsam.Vor allem für die Berliner Dorothea, deren Plisseegewand besonders verwandt ist, ergeben sich über diese Studie zu einer Maria der Verkündigung Hinweise zur zeitlichen Einordnung. Text: Michael Roth: Matthias Grünewald. Die Zeichnungen. Im Auftrag des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft herausgegeben von Rüdiger Becksmann. Berlin 2008, S.41, Kat. 10 (mit weiterer Literatur)

Material/Technik
Schwarze Kreide, weiß gehöht
Maße
Höhe x Breite: 20,7 x 21 cm
Standort
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
KdZ 12040

Klassifikation
Zeichenkunst

Ereignis
Herstellung
(wer)

Rechteinformation
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
Letzte Aktualisierung
03.03.2023, 08:33 MEZ

Objekttyp


  • Zeichnung

Beteiligte


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