Bestand
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Vorwort: Deutsch-Finnische Vereinigung
Erwerb 36/2009
Die Vorgeschichte der heute als noch als passivierter Verein mit Sitz in Lübeck existierenden Deutsch-finnischen Vereinigung (DFV) begann mit der Gründung einer "Hansa-Gruppe der Deutsch-finnländischen Vereinigung" durch die Kaufmannschaften der drei Hansestädte Lübeck, Hamburg und Bremen am 8.11.1917 in Hamburg. Über eine Gruppe mit eigenem Vorstand und eigener Satzung versuchte man, zu der stark kontinentalosteuropäischen Richtung des seit 1916 in Berlin aktiven Stammvereins ein autonomes und vor allem sachkundiges Gegengewicht zu bilden. Die Deutsch-finnländische Vereinigung, Berlin, deren Gründer und liberales Aushängeschild der Jenaer Philosophieprofessors Rudolf Eucken war, hatte sich über den "Verband der deutschen Förderer der ukrainischen Freiheits-Bestrebungen UKRAINA" in das Fahrwasser kontinental ausgerichteter deutscher Ost- und Südostinteressen begeben. Die Hansestädte hatten schon im Kaiserreich der zunehmenden Russophobie in einflussreichen Berliner Kreisen kritisch gegenübergestanden.
Am 28.6.1918 auf ihrer Jahresversammlung in Lübeck beschloss die Hansa-Gruppe, "vollständig in der Vereinigung aufzugehen, welche damit ihren Sitz von Berlin nach Lübeck verlegt" - sie übernahm also den Verein von innen heraus, der in Berlin ohnehin nur noch vier Mitglieder hatte. Schon im November 1917 hatte die Hansa-Gruppe unumwunden die Unabhängigkeit Finnlands unterstützt. Nach der finnischen Unabhängigkeitserklärung und dem Bürgerkrieg schloss die weiße finnische Regierung bereits am 7.3.1918 einen Friedensvertrag mit Deutschland, der aber von deutscher Seite zu einer Angliederung des Landes an den deutschen Wirtschaftsraum zum einseitigen Vorteil Deutschlands ausgestaltet wurde. Die Deutsch-Finnische Vereinigung protestierte bei ihrer Gründungsversammlung dagegen, dass Finnland mit Großrussland und der Ukraine über einen Kamm geschoren wurde und z.B. seine gesamten Ausfuhren über eine deutsche staatliche Agentur laufen sollten. Die Hanseaten forderten, dass Finnland gleich den neutralen skandinavischen Länden zu behandeln sei. Die Hansa-Gruppe der DFV favorisierte ein Modell, in dem ein maximaler Güterfluss in beiden Richtungen das höchste Ziel war. Der Einsatz auch für Finnlands Exportinteressen war von Anfang an präsent und zog sich wie ein roter Faden durch die weitere Geschichte der DFV.
Bewusst war in §1 der Vereinsatzung die Pflege "wirtschaftlicher, kultureller und persönlicher" Beziehungen zwischen Deutschland und Finnland gleichrangig genannt. Finnen konnten dem Verein seit seiner Gründung als außerordentliche Mitglieder angehören. Die Zahl der Mitglieder stieg von 180 Ende 1918 auf über 300 im Juni 1922; die Reedereien und Handelshäuser der Hansestädte bildeten die Mehrheit. Die Vorsitzenden und Geschäftsführer waren traditionell Lübecker. Allerdings musste die DFV ihr Tätigkeitsfeld durchaus mit ähnlichen Vereinen teilen, besonders mit dem "Deutsch-finnländischen Verein e.V. zu Stettin". Wegen dessen unverhohlenem Führungsanspruch kam eine immer wieder von deutscher offizieller Seite angeregte Arbeitsgemeinschaft aller deutsch-finnischen Organisationen nicht zustande.
Vor allem aber wurde die DFV - trotz freundlicher Beziehungen - von dem 1924 in Helsinki auf Initiative der deutschen Botschaft gegründeten Finnisch-deutschen Handelskammerverein finnischen Rechts in den Schatten gestellt. 1927 durch den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) zur "anerkannten" Auslandshandelskammer aufgewertet, benannte sich der Verein 1930 in "Deutsche Handelskammer in Finnland ry." um.
Die DFV konnte durch eine verhaltene Loyalitätserklärung, verbunden mit dem Bekenntnis zur Fortsetzung der bisherigen Linie, und durch die Umsicht des Vorstands eine Eingliederung in Organisationen des NS-Staats vermeiden - sogar als 1942 in Berlin eine Deutsch-Finnische Gesellschaft gegründet wurde, die "durch den Geist die Sinngebung und den Sieg" für den gemeinsamen Krieg ergeben sollte. Der damalige Vorsitzende Konsul Eschenburg in Lübeck zog die Verhandlungen bis zum Kriegsende hin und rettete der unbedeutenden DFV die nackte, aber wohl unkompromittierte Existenz. Die Handelskammer in Helsinki hingegen musste infolge des finnisch-sowjetischen Waffenstillstandes ihre Tätigkeit einstellen und wurde am 18.1.1945 aufgelöst.
Aber ein schneller Wiederaufbau des deutsch-finnischen Handels war notwendig: das zerstörte Deutschland benötigte die finnischen Holzprodukte, Finnland musste wegen der Reparationsverpflichtungen seine Industrieproduktion forcieren und brauchte dafür aus Deutschland Ersatzteile für die Produktionsanlagen, Zulieferungen sowie Kohle, Koks und Kunstdünger. Zu dieser Zeit wurde der DFV durch die Besatzungsbehörden die Wiederaufnahme ihrer Arbeit gestattet; bald konnten die ersten Kontakte mit der Finnischen Zentralhandelskammer und dem Finnischen Außenhandelsverband aufgenommen werden. Im März 1949 erhielt die DFV-Spitze die Erlaubnis zu einer ersten Reise nach Finnland. In den Folgejahren wurde die DFV von den zuständigen Ministerien und Spitzenverbänden der Wirtschaft in Deutschland offiziell als die Institution mit Auslandshandelskammerfunktionen für Finnland anerkannt.
Die DFV setzte sich aber auch verstärkt für die Steigerung der finnischen Ausfuhr nach Deutschland ein, insbesondere für die "Neu-Exportartikel". Dies lag freilich durchaus in deutschem Interesse, weil bei einem weiter zunehmenden Ungleichgewicht der Handelsbalance auch handelspolitische Maßnahmen gegen die deutschen Exporte befürchtet wurden. 1962 bildete die DFV Er sagte dies vor einem "Vorbereitenden Ausschuss für die eventuelle Umwandlung der DFV in eine Deutsch-Finnische Handelskammer" (DFHK), was zunächst nur die Folge hatte, dass seit 1963 finnische Firmen und Einzelpersonen Vollmitglieder der DFV werden konnten: 13 führende Männer des finnischen Wirtschaftslebens wurden in den Vorstand gewählt, zwei arbeiteten kontinuierlich im geschäftsführenden Vorstand mit. Eine der beiden jährlichen Vorstandssitzungen fand seither regelmäßig in Helsinki statt. Bei ihrem Jubiläum 1968 hatte die DFV mit etwa 400 korporativen und 130 persönlichen Mitgliedern den Vorkriegsstand der alten Deutsch-finnischen Handelskammer erreicht.
Die sichtbare sichtbare Aufwertung von Finnlands Neutralitätsanspruch durch die KSZE (1975) und die . Normalisierung der deutsch-finnischen Beziehungen durch den Botschafteraustausch (1973) schien der DFV der geeignete Zeitpunkt für eine neue Offensive zur Handelskammergründung zu sein: sie beschloss, nach den Prinzipien einer deutschen Auslandshandelskammer zu arbeiten, und trennte sich von allen Privatmitgliedern, was u.a. die Gründung mehrerer norddeutscher Regionalvereine der in 1952 in München gegründeten und bis daher eher im Süden der Bundesrepublik aktiven Deutsch-Finnischen Gesellschaft nach sich zog. Bis dahin hatte die DFV nämlich auch die Funktionen eines bilateralen Freundschaftsvereins wahrgenommen und Kulturprogramm, Praktikantenaustausch sowie Weihnachtsflüge organisiert.
Dennoch dauerte es noch fast fünf Jahre, bis man zur Gründungsversammlung der Deutsch-Finnischen Handelskammer am 13.6.1978 in das Finlandia-Haus in Helsinki einladen konnte. Der Erfolg war das Verdienst des damaligen Präsidenten Russegger und des Geschäftsführers von Knorre, deren Handakten neben den offiziellen Vereinsakten einen wesentlichen Teil des Bestandes über diese Zeit bilden. Das Problem bestand darin, dass eine bilaterale Handelskammer nach den Richtlinien des DIHT - also mit Mitgliedern aus beiden Ländern und Sitz im Tätigkeitsland -nach finnischem Recht als Verein, in dem mehr als ein Drittel der Mitglieder Ausländer sein würden, nur mit Genehmigung der Regierung gegründet hätte werden dürfen. Nur dann konnten überhaupt Ausländer Vorstandsmitglieder werden, aber ein deutscher Staatsbürger als hauptamtlicher Geschäftsführer war Bedingung nach den "Richtlinien für die Gründung, Finanzierung und Anerkennung von Auslandshandelskammern". Diese Zustimmung (oder Ablehnung) würde die finnische Regierung zu einer Entscheidung nötigen, die in vielerlei Hinsicht ein Politikum war. Allen auf deutscher Seite war klar, dass die Namensgebung "Deutsch-finnisch" als Indiz für ein Fortleben des inzwischen aufgegebenen bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruchs ausgelegt werden konnte, den Finnland dann unterstützt hätte - hier erhoben die Deutsche Botschaft in Helsinki und das Auswärtige Amt immer wieder Bedenken.
Die DFV-Spitze zeigte am 16.11.73 den wirtschaftlich wie politisch gangbaren Weg auf: Die DFV müsse in Helsinki ein Büro mit einem hauptamtlichen, aber aus Deutschland besoldeten Geschäftsführer eröffnen. Dann stünde das finnische Vereinsrecht nicht mehr im Wege, die Botschaft könne keine Bedenken mehr erheben und der DIHT müsse eben eine Ausnahmeregelung zulassen, um die Außenstelle der DFV bereits jetzt wie eine Auslandshandelskammer zu fördern.
Nach jahrelanger vergeblicher Verfolgung anderer Lösungswege beschloss DFV am 5.5.1977, eine Namensänderung in Deutsch-Finnische Wirtschaftsvereinigung (DFWV) vorzunehmen und von ihrem Sitz in Lübeck aus eine Hauptgeschäftsstelle in Helsinki als 37. "anerkannte deutsche Auslandshandelskammer" zu eröffnen - diese Bezeichnung sollte nicht in der Satzung verankert, aber Namenszusatz im täglichen Verkehr sein. Der geschäftsführende Vorstand der DFV übernahm nun die Funktion eines Gründungsausschusses für die DFVW. In der bei der offiziellen Vereinsgründung am 1.12.1977 vorgelegten Satzung hieß es nun klar: "Sitz der Wirtschaftsvereinigung soll Helsinki werden. Bis dahin ist der Sitz Lübeck. Die Wirtschaftsvereinigung unterhält in Helsinki die Geschäftsstelle."
So ist auch nach der Umgründung der DFWV zur DFHK geblieben. Die Vereinsstruktur der DFHK ist bestimmt durch einen deutschen Hauptgeschäftsführer, den zweijährigen Wechsel im Präsidentenamt zwischen Personen mit deutscher und finnischer Staatsangehörigkeit (wobei das Vizepräsidentenamt traditionell bereits mit dem Nachfolger ins Präsidentenamt besetzt wird), sowie Hauptversammlungen wechselnd in Deutschland und Finnland.
Parallel zur Gründungsversammlung der DFHK führte die DFV ihre Hauptversammlung durch und passivierte die Vereinigung. Trotzdem hat die DFV weiterhin eine wichtige Funktion: viele langjährige Förderer der Ziele der DFV oder aktive Handelskammerfunktionäre werden nach dem Ausscheiden aus ihren Hauptfunktionen in den Vorstand der DFV gewählt.
Dr. Robert Schweitzer
Der Bestand wurde 2009 durch Daniel Schwardt neu geordnet und verzeichnet sowie umverpackt. Doppelstücke wurden aussortiert.
Literatur: Robert Schweitzer: 20 Jahre Deutsch-Finnische Handelskammer 80 Jahre Deutsch-Finnische Vereinigung. Aus der Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Finnland. Festschrift zur Jubiläumsveranstaltung am 26.09.1998 in Essen, Helsinki / Helsingfors Lübeck 1998
Lübeck, Oktober 2009
Verwaltungsgeschichte/biographische Angaben: extra Findbuch!
Erwerb 36/2009; verzeichnet und verpackt. Bei dem Bestand handelt es sich um ein Depositum der DFV.
Lo
9.11..2009
Literatur: 2009-0483-XV und Schweitzer, Robert, Sonderdruck
- Reference number of holding
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Archiv der Hansestadt Lübeck, 05.4-Deutsch-Finnische Vereinigung e.V.
- Context
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Archiv der Hansestadt Lübeck (Archivtektonik) >> 05 Private Archive >> 05.4 Vereins- und Verbandsarchive
- Date of creation of holding
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1920-1990
- Other object pages
- Rights
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Rechteinformation beim Datenlieferanten zu klären.
- Last update
-
22.02.2023, 10:29 AM CET
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1920-1990