Bestand
C Rep. 734 Volksbühne (Bestand)
Vorwort
C Rep. 734 Volksbühne
Die Kunst dem Volke!
Nach dem Aufruf des Schriftstellers Bruno Wille am 23. März 1890 wurde auf einer Versammlung am
29. Juli 1890 im Böhmischen Brauhaus an der Landsberger Allee die erste kulturpolitische Massenorganisation der deutschen Arbeiterbewegung, die Freie Volks-Bühne, gegründet. Ziel war es, Menschen aus gesellschaftlich und sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen Zugang zu Bildung und Kultur zu ermöglichen. In kurzer Zeit entwickelte sich der Verein zu einer großen Organisation.
Die Mitglieder konnten für einen geringen Betrag verschiedene Theater besuchen, die Sitzplätze wurden verlost. Als Vorbild galt die Freie Bühne. So wurden in gemieteten Theaterräumen, dem Ostend-Theater
in der Großen Frankfurter Straße, von der Zensur verbotene Stücke in geschlossenen Veranstaltungen für
Mitglieder aufgeführt, die an anderen Bühnen nicht zur Aufführung gelangten. Erste Vorstellung war Henrik Ibsens "Stützen der Gesellschaft", später folgten sein "Ein Volksfeind" und Gerhart Hauptmanns "Vor
Sonnenaufgang". Regelmäßig erschienen Vereinsblätter und Monatsschriften.
Bedingt durch Zwistigkeiten in der Führung, Willes Gegenspieler war hier der Schriftsteller und Historiker Franz Mehring, spaltete sich 1892 der Verein und die Neue Freie Volksbühne entstand. Nun agierten zwei getrennte Bewegungen. Erst das Vorhaben zum Bau eines gemeinsamen Hauses einte sie wieder. Schon 1909 wurde der Beschluss gefasst, ein eigenes Haus zu errichten. Vorerst bezog die Neue Freie Volksbühne die Theatersäle des Bunten Theaters in der Köpenicker Straße 68. Mittlerweile betrug die Zahl der Vereinsmitglieder 70.000.
In den Jahren 1913 bis 1914 entstand unweit des 1891 abgerissenen Victoria-Theaters für rund 4,5 Millionen Mark nach den Plänen des Architekten Oskar Kaufmann am damaligen Bülowplatz, dem späteren Horst-Wessel-Platz, Liebknechtplatz, Luxemburgplatz und heutigem Rosa-Luxemburg-Platz, ein neues Berliner Theater: Die Volksbühne.
Ein modernes Haus mit neuester Technik war gebaut worden, das 2000 Personen Platz gab. Mit dem Stück "Wenn der junge Wein blüht" von Bjørnstjerne Bjørnson wurde "das Monster" am 30. Dezember 1914 eröffnet. Ursprünglich vorgesehen war der "Götz von Berlichingen", aufgrund technischer Probleme musste allerdings umdisponiert werden. Erster Intendant war von 1914 bis 1915 der Schauspieler, Theaterleiter und Regisseur Emil Lessing, dem bis 1918 Max Reinhardt folgte. Große Schauspieler wie Helene Fehdmer, Lucie Höflich, Brigitte Horney, Emil Jannings, Ernst Lubitsch, Paul Wegener oder Eduard von Winterstein standen hier auf der Bühne. Auch Konzerte und Tanzveranstaltungen wurden gegeben. Weitere Intendanten waren bis 1945 Friedrich Kayßler, Fritz Holl, Heinrich Neft, Karl Heinz Martin, Heinz Hilpert, Bernhard zu Solms-Laubach und Eugen Klöpfer.
1919/20 vereinten sich die zwei Bewegungen, Freie Volksbühne und Neue Freie Volksbühne, wieder.
Nachdem der Versuch gescheitert war, die Krolloper am Platz der Republik als weitere Spielstätte des Vereins umzubauen, wurde das Neue Volkstheater in der Köpenicker Straße zwischen 1921 und 1923 erneut übernommen. Als Leiter fungierte hier Siegfried Nestriepke. 1926 konnte das Theater am Schiffbauerdamm vom Verein gepachtet werden.
Von 1924 bis 1927 war der Regisseur, Theaterreformer und Begründer des politischen Theaters Erwin
Piscator Oberspielleiter der Volksbühne und machte sich hier einen Namen. Er setzte auch Satireabende, Sprechchorwerke und politische Revuen in Szene. Nach einem Streit gründete er mit der Piskator-Bühne am Nollendorfplatz sein eigenes Theater.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden das Theater am Horst-Wessel-Platz und das Theater in der Saarlandstraße unter dem Namen Volksbühne zusammengefasst. Zeitweise trug man sich sogar mit dem Gedanken, die Volksbühne in "Horst-Wessel-Festspielhaus" umbenennen.
Der Verein unterstand dem Reichsverband Deutsche Bühne e. V. und wurde schließlich 1939 aufgelöst. Das Vermögen fiel an den Staat.
Schließlich zerstörten 1943 bzw. 1945 Bomben das Haus der Volksbühne schwer und machten es unbespielbar.
Auf Drängen demokratischer Organisationen und Bühnenschaffender erteilte die sowjetische Stadtkommandantur am 15. Januar 1947 die Lizenz zum Wiederaufbau der Berliner Volksbühnenbewegung. Ein Gründungsausschuss bildete sich im Mai, spaltete sich jedoch in den folgenden Monaten. Im Ost- und Westteil Berlins kam es noch im selben Jahr zu separaten Vereinsgründungen.
1952 vereinigten sich die Volksbühne Berlin mit der in der DDR gebildeten Deutschen Volksbühne und bildete ab Dezember den Bezirksverband Berlin der Deutschen Volksbühne.
1953 wurde der Ostberliner Volksbühnenverein auf den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) übergeleitet, die Volksbühne als Besucherorganisation aufgelöst.
Fritz Wisten spielte bis zum Wiederaufbau des Hauses mit ehemaligen Ensemblemitgliedern der Volksbühne am Theater am Schiffbauerdamm. Dieses wiederum übernahmen im Anschluss Bert Brecht und Helene Weigel als Berliner Ensemble.
1948 wurde ein Wettbewerb organisiert und das Theater nach einem Entwurf von Hans Richter in den Jahren von 1950 bis 1954 unter Beibehaltung der alten äußeren Formen aber im Innern modern wieder aufgebaut.
Die Eröffnung fand am 21. April 1954 statt, als erste Vorstellung hatte man Schillers "Wilhelm Tell" gewählt.
Von 1952 bis 1961 war Fritz Wisten Intendant der Volksbühne. Die meisten der verzeichneten Unterlagen stammen aus seiner Amtszeit.
Berühmte Schauspieler wie Martin Benrath, Ernst Busch, Angelika Domröse, Ezard Haußmann, Henry
Hübchen, Ursula Karusseit, Franz Kutschera, Marga Legal, Rolf Ludwig, Ursula Meissner, Armin Mueller-Stahl, Camilla und Steffi Spira, Victor Staal, Hilmar Thate und Marianne Wünscher standen auf der Bühne des Theaters am Schiffbauerdamm bzw. der Volksbühne - hier nur eine kleine Auswahl.
1963 gehörten zur Volksbühne Berlin das Maxim-Gorki-Theater, das Theater am Luxemburgplatz und das Theater im 3. Stock.
Intendanten nach Wisten waren: Wolfgang Heinz (1961-1963), Maxim Vallentin (1963-1965), Karl Holán (1965-1974), Benno Besson (1974-1978), Fritz Rödel (1978-1990).
Fritz Wisten
Geboren wurde der spätere Intendant der Volksbühne, Fritz Wisten, als Sohn einer Bürgerfamilie am 25. März 1890 in Wien. Nachdem er die Volks- und Realschule von 1896 bis 1909 absolvierte, besuchte er nach Ablegung der Abiturientenprüfung die K. K. Akademie für Musik und darstellende Kunst seiner Heimatstadt. Die ersten Stationen nach der dreijährigen Ausbildung als Schauspieler waren das Stadttheater in Kattowitz, Eisenach und das Residenz-Theater in Berlin. Nach zwölf Jahren im Engagement am Staatstheater Stuttgart wurde sein Vertrag am 27. März 1933 für ungültig erklärt und eine Weiterbeschäftigung im deutschen Kulturleben somit unmöglich gemacht. Im Herbst 1933 ging er zum Jüdischen Kulturbund in Berlin, wo er als Schauspieler, Oberspielleiter und künstlerischer Leiter bis 1941 tätig war. Im Jahr 1938 wurde er als Zugehöriger der jüdischen "Rasse" verhaftet und kam in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Am 12. September 1941 kam es zur Schließung des Kulturbundes, das Vermögen und seine Einrichtungen wurden von der Gestapo beschlagnahmt.
Fritz Wisten musste als Hilfsarbeiter in der Fabrik für Feinmechanik Korth arbeiten bis er 1942, nach einer Denunziation, in das Polizeigefängnis Alexanderplatz kam. Ihm wurde "Unterstützung illegal lebender Juden mit arischem Vermögen" - das seiner Ehefrau - vorgeworfen. Auch seine Frau, Trude Wisten geb. Widmann, wurde für einige Wochen in ein Gefängnis verbracht.
Nach Kriegsende erfolgte seine Verpflichtung als Regisseur am Deutschen Theater und am Hebbel-Theater und 1946 übernahm er die Direktion des Theaters am Schiffbauerdamm. Bis 1961 leitete er schließlich die wiederaufgebaute Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Er war prägend am Wiederaufbau des Berliner Kulturlebens beteiligt.
Fritz Wisten starb hochgeachtet am 12. Dezember 1962 in Berlin-Schlachtensee und fand auf dem Waldfriedhof Zehlendorf seine letzte Ruhe.
Bestandsinformationen
Der Bestand wurde dem Stadtarchiv Berlin ab den 1950er Jahren übergeben. 2019 übernahm das Landesarchiv Berlin Personalakten von Mitarbeitern der Volksbühne aus dem Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste.
Im Bestand C Rep. 734 befinden sich u. a. Korrespondenz.- Personalangelegenheiten/Personalakten.- Unterlagen zur Geschichte.- Stellenpläne.- Sitzungsprotokolle.- Unterlagen der Betriebsgewerkschaftsleitung.
Der Bestand ist vollständig erschlossen und umfasst 275 Akten (5,7 lfm), die den Zeitraum von 1945 bis 1990 dokumentieren.
Benutzung
Die Benutzung ist mittels Findbuch und Datenbank möglich.
Einige Akten sind auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen bzw. EU-Datenschutz-Grundverordnung für die Benutzung befristet gesperrt (z. B. Personalunterlagen, Vertragsinhalte, Honorare). Eine Verkürzung der Schutzfristen kann auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs Berlin.
Der Bestand ist wie folgt zu zitieren:
Landesarchiv Berlin (LAB) C Rep. 734 Volksbühne, Nr. xxx
Literatur
10 Jahre Theater in Berlin. Premieren der Spielzeit 1970/71-1979/80, bearb. von Hans J. Reichhardt [u. a.], Berlin 1980 (= Schriftenreihe zur Berliner Zeitgeschichte Bd. 10), fortgesetzt für die Jahre 1981 ff.: Preuß, Sabine: Die Theater-Spielzeit 1980/81; Premieren von Berliner Theatern 1982; Das Theaterjahr 1983 ff. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1982 ff.
25 Jahre Theater in Berlin. Theaterpremieren 1945-1970, bearb. von Hans J. Reichhardt [u. a.], Berlin 1972 (= Schriftenreihe zur Berliner Zeitgeschichte Bd. 7).
Bestandsübersicht Volksbühne Berlin. In: Beiträge, Dokumente, Informationen des Archivs der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, 3 (1966), S. 106.
Zur Wiedereröffnung der Volksbühne, Berlin, 1954.
Demmer, Karl Friedrich: Der Wiederaufbau der Volksbühne, Berlin, 1948.
Korrespondierende Bestände
LAB B Rep. 129 Freie Volksbühne
LAB C Rep. 734-01 Verein Freie Volksbühne
LAB C Rep. 904-095 Grundorganisation der SED - Volksbühne
LAB F Rep. 129 Theatergeschichtliche Sammlung
Juni 2018 Annette Thomas
- Reference number of holding
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C Rep. 734
- Context
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Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> C Bestände (Ost-) Berliner Behörden bis 1990 >> C 2 Magistrat von Berlin und nachgeordnete Einrichtungen >> C 2.2 Nachgeordnete Einrichtungen
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28.02.2025, 2:13 PM CET
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- Bestand