Bestand

140 - Jüdische Gemeinde Worms (Bestand)

Vorwort: Abt. 140 Archiv der Jüdischen Gemeinde Worms
Umfang: 32 CD-ROMs u. 19 Mikrofilme 35mm u. 195 Filmrollen Verfilmung 1956/57 (= 2 AK u. 5 Holzkästen) = 0,5 lfm (= 733 Verzeichnungseinheiten), hinterlegt 710 Dateien
Zum Archiv der früheren Gemeinde
In Worms bestand von der Zeit der Jahrtausendwende bis zum Nationalsozialismus kontinuierlich eine seit dem hohen Mittelalter sowohl wirtschaftlich als auch geistig-religiös überaus bedeutsame, weit ausstrahlende jüdische Gemeinde. Einem kurz nach 1900 veröffentlichten Überblick des Lehrers Samson Rothschild über das Gemeindearchiv ist zu entnehmen, dass in den Jahren 1615 (Sozialunruhen) und 1689 (Stadtbrand) große Teile des alten Gemeindearchivs zugrunde gegangen sind. Im Jahre 1877 fand man bei Bauarbeiten im Bereich der Synagoge Archivalien, bei denen es sich um Reste des alten Gemeindearchivs handelte. Um die Jahrhundertwende waren demnach erhalten: Handschriften, darunter Gebetbücher, der Wormser machsor (Gebete für hohe Festtage von 1273), das Minhagbuch (1586 geschrieben), ein Memorbuch (nach 1630 geschrieben), eine Reihe von Urkunden (kaiserliche Judenprivilegien aus den Jahren 1552 bis 1766) und weitere Reste des Gemeindearchivs, bestehend u.a. aus Verträgen, Juden- und Gemeindeordnungen sowie Schutz- und Geleitbriefen aus der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt in der Zeit nach 1689.
Zum Schicksal des Gemeindearchivs seit 1938
Das Gemeindearchiv konnte neben Architekturteilen der Synagoge und kleinen Resten des Kultgeräts durch den Einsatz des Stadtarchivars Dr. Friedrich Maria Illert nach dem Novemberpogrom von 1938 aus den Trümmern der durch Brandstiftung und anschließende Sprengung zerstörten Synagoge bzw. aus den Händen der Gestapo, die beschlagnahmtes Kulturgut nach Darmstadt verbracht hatte, gerettet werden, wobei die Umstände dieser Rettung mit letzter Gewissheit nicht mehr eindeutig rekonstruierbar sind. Illert brachte die Unterlagen in einem der Domtürme unter, wo sie den Krieg unversehrt überstanden haben. Nach 1949 kam es zu einem längeren Rechtsstreit um das Eigentumsrecht am Wormser jüdischen Gemeindearchiv, das nach 1945 zunächst in treuhänderischer Obhut des Stadtarchivs verblieben war. Zunächst stritten sich die Stadt und die Jüdische Gemeinde Mainz (als Rechtsnachfolgerin der rheinhessischen jüdischen Gemeinden), dann trat an die Stelle der Mainzer Gemeinde die ‚Branche Francaise' der ‚Jewish Trust Corporation for Germany', einer von der Besatzungsmacht geförderten Organisation, die Eigentumsrechte an jüdischen Altertümern anmeldete; im Jahre 1954 wurden die Wormser Unterlagen ihrer alleinigen Zuständigkeit unterstellt. Die von der Organisation gehegte Absicht, die Archivalien außer Landes - d.h. nach Israel - zu verbringen, führte 1955/56 zu einem Rechtsstreit mit der um den Verbleib bemühten Stadt Worms, der Ende 1956 mit einer gütlichen Einigung abgeschlossen wurde. An dem daraufhin geschlossenen Übereinkommen waren der Bund, der Staat Israel, das Land Rheinland-Pfalz und die ‚Branche Francaise' beteiligt. Das gesamte Material wurde aufgeteilt; eine Abteilung, die u.a. das gesamte Archivmaterial enthielt, wurde in die ‚Central Archives for the History of the Jewish People' nach Jerusalem abgegeben, ein kleinerer Teil (u.a. mit Kultgegenständen und Bauresten) verblieb in Worms. Bevor die Archivalien im März 1957 nach Jerusalem verbracht wurden, wurden sie ab dem 30. Oktober 1956 in den Städtischen Kulturinstituten auf Mikrofilm reproduziert. Insgesamt wurden 195 Filmrollen gefertigt.
Die Filme konnten von Wissenschaftlern trotz ihrer großen Bedeutung wegen ihres nicht mehr gängigen, sehr unhandlichen Formats kaum genutzt werden. Daher bestand schon seit längerer Zeit die Absicht, die wertvollen Archivalien in verbesserter Form zugänglich zu machen. Infolge großzügiger Unterstützung durch den Altertumsverein anlässlich seines 125. Jubiläums und zusätzlicher eigener Finanzmittel war es dem Stadtarchiv möglich, durch eine niederländische Spezialfirma die Mikrofilme auf heutiges Rollfilmformat (18 Filmrollen) umkopieren zu lassen. Gleichzeitig wurden die Unterlagen vollständig digitalisiert, d.h. aufwändig und in sehr guter Qualität eingescannt und so in bequemer Form (56 CD-Roms) benutzbar gemacht. Vor allem für die bisher nur wenig beachteten Zeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert enthält der Bestand sehr wertvolles Quellenmaterial.
Inhalt und Organisation des Archivbestandes
Nach Durchsicht des digitalisierten Archivmaterials kann davon ausgegangen, dass es mindestens zwei Mal Verzeichnungsarbeiten unterzogen wurde. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gemeindearchiv nachweislich verzeichnet. Ein Verzeichnis liegt verfilmt im Stadtarchiv vor , aus einer Reihe von verfilmten Stücken, die über das Gesamtarchiv der deutschen Juden um 1938 nach Jerusalem gelangten, die aus der Provenienz der jüdischen Gemeinde Worms stammen. Die Verfilmung dieser Archivalien aus dem 19./20. Jh. wurde im Dezember 1957 vom Government Printer Jerusalem durchgeführt und als Filme Nr. 19 und 20 den 2004 erstellten 18 Filmrollen angefügt. Eine Liste mit den Titelaufnahmen zu diesen beiden Filmen wurde diesem Findbuch angehängt. Inhaltlich eng verknüpft ist dieses Material mit dem ebenfalls früher im Gesamtarchiv der deutschen Juden aufbewahrten Schriftgut der jüdischen Gemeinde Worms, das sich heute in der Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum" unter der Signatur 75 A Wo 5 Worms befindet. Eine Liste dieses Wormser Bestandes in Berlin ist diesem Repertorium ebenfalls angefügt.
Es sind im Folgenden noch verschiedene Anmerkungen zu der Verfilmung des Archivs der jüdischen Gemeinde Worms in Bezug auf Inhalt und Benutzung zu berücksichtigen. Die bei der frühen Verzeichnung gefertigten Titelaufnahmen sind in der Regel - sofern bei den Akten noch vorhanden - mitverfilmt worden und lassen sich heute noch mit oben genanntem Archivverzeichnis abgleichen. Vermutlich um 1900 oder kurz danach erfolgte eine neue, ordentliche Verzeichnung , indem die Mappen und Umschläge der Archivalien sauber - in Anlehnung an die frühe Verzeichnung - beschriftet wurden. Diese Systematik wurde beibehalten, später in einer maschinenschriftlichen Generalliste festgehalten, die bis heute noch die Grundlage für das Findmittel zum Bestand bildet. Das Archiv war ursprünglich in XXVI Kästen aufbewahrt, in den Kästen lagen Mappen und in diesen wiederum Umschläge, die mit a, b, c ff gekennzeichnet waren. Inhaltlich gab es XXI Hauptgruppen (zusätzlich Privilegien), die auch heute noch als Klassifikation gelten:
01. Politische Stellung der Judenschaft von Worms (Ksl. Verfügungen, Privilegien und -bestätigungen, Judenordnungen, Verträge, Magistratsbeschlüsse)
01.01. Kaiserliche Verfügungen
01.02. Privilegien und Priviliegienbestätigungen
01.03. Kaiserliche Judenordnungen
01.04. Verträge
01.05. Magistratsbeschlüsse
02. Gemeindeordnungen
03. Judenschutz (Schutz- und Geleitbriefe, Schutzbittschriften, Ausführung des Judenschutzes)
03.01. Schutzbriefe
03.02. Geleitbriefe
03.03. Schutzbittschriften
03.04. Ausführung des Judenschutzes
04. Abgaben der Judenschaft
04.01. Abgaben an die kaiserliche Hofkammer
04.02. Abgaben an die Stadt,
04.03. Sonstige Abgaben
05. Kriegsleistungen
06. Streitigkeiten
06.01. Zwischen kurfürstl. Regierung Mainz und Bürgermeister/Rat Stadt Worms
06.02. Zwischen Bischof und Bürgermeister/Rat Stadt betr. Appellation an Hofgericht Worms
06.03. Zwischen Vorstehern und Gemeindegliedern
06.04. Zwischen Gemeindemitgliedern
07. Rechtshilfe
08. Gericht der Judenschaft
09. Handel
11. Wahlsachen
12. Verschiedenes
12.01. Versch. allgemein
12.02. Verschiedenes - Gemeindeangelegenheiten
12.03. Verschiedenes - Öffentliche Angelegenheiten
12.04. Verschiedenes - Privatsachen
13 . Gemeinderechnungen
14. Guthaben
15. Schuldurkunden
16. Quittungen
16.01. Kapitalquittungen
16.02. Zinsenquittungen
16.03. Quittungen über Steuern u. Abgaben
16.04. Verschiedene Quittungen
17. Rechnungen
18. Akten über den israelitischen Friedhof, Matzen und Backhaus
19. Rechnungsbuch
20. Steuerbuch
21. Spendenbuch
22. Machsor Worms
23. Sonstige Filme Judaica Worms
Es liegen Archivalien in deutscher und hebräischer Sprache vor, letztere hauptsächlich in den Bereichen II. Judenordnungen, VII. Gericht, XII. Verschiedenes, außerdem sind das Rechnungsbuch, das Steuerbuch und das Spendenbuch hebräische Texte. Bei einzelnen Stücken scheinen bei der Aufnahme offensichtlich die Vorlagen ‚auf den Kopf' gestellt worden zu sein. Ein großer Teil der Archivalien hat rückseitig hebräische Kurzvermerke den Inhalt betreffend.
Neben Vermerken über 1938 verbrannte Stücke gibt es noch Vermerke Illerts, dass von einzelnen Umschlägen der Inhalt fehlt.
Benutzung des Bestandes
Nach der Verfilmung und Digitalisierung im Jahre 2004 stehen für die Benutzung 56 CD-Roms zur Verfügung.
Für die Recherchen liegt zunächst das Repertorium zu Bestand Abt. 140 vor. Als Grundlage für die Vergabe der Signaturen wurden zum einen die Nummerierung der Filmkapseln Nr. 1 - 193 und FI/1 und FI/2 und zum anderen die Umschlagbeschriftungen a,b,c etc. übernommen. Daraus ergeben sich als Endsignaturen z.B. Abt. 140 Nr. 1 a, 1 b usw. Die Verknüpfung zur jeweiligen CD-Rom wird durch eine zu diesem Zweck gefertigte Konkordanz gewährleistet. Auf den CD-Roms finden sich in der Regel zunächst die Abbildungen der Karteikarten, die den Beginnn einer neuen Filmkapsel kennzeichnen, außerdem werden durch die Beschriftungen der Umschläge die Wechsel von a, b, c, angezeigt; es gelten dabei die Beschriftungen der Umschläge in der rechten oberen Ecke.
Beispiel:
Abt. 140 Nr. 1 a
Ergänzende Archivbestände
Vgl. neben den Akten des Reichsstädtischen Archivs (v.a. Abt.1 B Nr. 2017-2055 Judenschaft und 1 B Nr. 1393-1407 Judenschatzungen) den Sammlungsbestand Judaica (Abt. 203) und Akten in Abt. 20 sowie Abt. 170/16. In Abt. 6 finden sich die Akten der Stadtverwaltung zum Wiederaufbau der Synagoge von 1954 bis 1961. Archivalien zur Entrechtung und Verfolgung der Wormser jüdischen Bevölkerung in der Zeit der NS-Diktatur enthält in erster Linie die Abt. 13.
Darüber hinaus finden sich 54 Archivalieneinheiten zur Jüdischen Gemeinde Worms - offensichtlich aus der Provenienz dieser Gemeinde stammend -, betr. Organisation und allgemeine Verwaltung, Finanzen und Steuern, sowie Organisationen und Vereine in der Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum" . Diese Akten waren vorher im Gesamtarchiv der deutschen Juden in Berlin, ein Teil der ursprünglich dort aufbewahrten Stücke befinden sich heute in Jerusalem.
Februar 2005 Margit Rinker-Olbrisch
Literatur
BÖNNEN, Gerold (Berab.): Das Stastarchiv Worms und seine Bestände, Koblenz 1998 (= Veröffentlichungen der Landesarchivvverwaltung Rheinland-Pfalz, Band 79).
HOPPE, Jens: Das Jüdische Museum in Worms. Seine Geschichte bis 1938 und die anschließenden Bemühungen um die Wiedererrichtung der Wormser Synagoge, in: Der Wormsgau 21, Worms 2002, S. 81-102.
ILLERT, Georg: Die jüdischen Altertümer in Worms in den Jahren 1938 - 1961, in: Festschrift zur Wiedereinweihung der Alten Synagoge zu Worms, hg. V. Ernst Roth, Frankfurt/M. 1961, S. 229-241 (v.a. S. 231-235 zum Archiv der vormaligen jüdischen Gemeinde).
JÜTTE, Robert: Der Beitrag deutsch-jüdischer Einwanderer zum Aufbau eines Archivwesens in Israel, in: Der Archivar 43, 1990, Sp. 395 - 414 (hier besonders: Sp. 403 - 405 ‚Das Zentralarchiv für die Geschichte der Juden')
REUTER, Fritz: Vom Erwachen des historischen Interesses am jüdischen Worms bis zum Museum des Isidor Kiefer, in: ASCHKENAS, Themenheft Medinat Worms, hrsg. Annette Weber, Wien 2002, S. 13 - 44.
ROTHSCHILD, Samson: Das Archiv der jüdischen Gemeinde von Worms, in: Vom Rhein 1, 1902, S. 21 - 22.
WELKER, Barbara u.a. (Bearb.): Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum", Teil 1, München 2001 (= Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, hgg. von Stefi Jersch-Wenzel und Reinhard Rürup, Band 6

Zitierhinweis: Abt. 140

Erschließungszustand, Umfang: Konversion Augias Nov. 2010 abgeschl. (Basis: detailliertes masch. Verzeichnis mit Konkordanzen (2005) auf Basis des Findbuches von ca. 1957/58; zusätzl. Kartei in Schrank 14)

Reference number of holding
Stadtarchiv Worms, 140

Context
Stadtarchiv Worms (Archivtektonik) >> Kirchliche Archive

Date of creation of holding
[1552-1825]

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15.12.2023, 2:57 PM CET

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  • [1552-1825]

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