Bestand

Erzstift und Kurfürstentum Mainz (Bestand)

Form und Inhalt: Das Erzstift Mainz war das Gemeinwesen bzw. das Territorium, über das der Erzbischof von Mainz als weltlicher Landesherr regierte. Bischöfe von Mainz gab es wohl schon im 4. Jahrhundert; der erste mit Sicherheit nachweisbare Inhaber des Amtes ist Sidonius (um 560). Bonfiatius (746-754 Bischof von Mainz) wirkte als Missionar und gründete die Bistümer Büraburg und Erfurt. Diese waren Teil der Mainzer Kirchenprovinz, womit Mainz de facto den Rang eines Erzbistums erlangte. Offiziell erhielt es 782 diesen Status. Bis zur Mitte des 14. Jhr. dehnte sich die Mainzer Kirchenprovinz auf vierzehn Bistümer aus: Speyer, Worms, Straßburg, Würzburg, Augsburg, Eichstätt, Paderborn, Hildesheim, Verden, Halberstadt, Konstanz, Chur, Olmütz und Prag, von denen allerdings einige auch wieder verloren gingen, etwa durch die Errichtung des Erzbistums Magdeburg (968), die Herauslösung der Bistümer Olmütz und Prag (1344) sowie durch die Abtrennung Verdens und Halberstadts (1648).
Im Kontrast zu den beeindruckenden, territorial weitgehend geschlossenen Dimensionen der Mainzer Kirchenprovinz bot das Erzstift ein sehr unübersichtliches Bild: Erzbischof Willigis (975-1011) hatte durch Schenkungen deutscher Könige aus dem Haus der Ottonen die weltliche Herrschaft über die Stadt Mainz (975), den reichen Rheingau (983) und das Nahemündungsgebiet mit Bingen (983 und 996) erworben - ein relativ geschlossenes Gebiet von beachtlichen Ausmaßen, das als Keimzelle des Erzstifts angesehen werden kann; dieser Territorialkomplex dehnte sich später in nordöstlicher Richtung über Höchst und Königstein im Taunus hinaus noch weiter aus. Durch weitere Gebietserwerbungen bildeten sich zusätzliche territoriale Schwerpunkte um Amöneburg, Aschaffenburg, Lorsch und Amorbach aus. So bestand das Erzstift um 1500 aus mehreren, inselartig verteilten Gebietskomplexen ohne direkte Verbindung, die sich grob entlang einer west-östlichen Linie von Mainz bis Erfurt erstreckten.
Als den Oberhäuptern der größten Kirchenprovinz im Reich und als Herrscher eines bedeutenden Territorialkomplexes kam den Mainzer Erzbischöfen auch eine besondere Position im Verfassungsgefüge des Reiches zu: Von 965 bis zum Ende des Alten Reiches 1806 hatten sie ununterbrochen das Amt des Erzkanzlers für Deutschland inne, das sie schon zuvor gelegentlich ausgefüllt hatten; es handelte sich dabei um die nach dem Kaisertum höchste Würde im Reich. Kraft dieses Amtes oblag ihnen auch die Einberufung, Organisation und Leitung der Königswahl, nachdem sich 1257/73 das Kollegium der sieben Kurfürsten (Mainz, Trier, Köln, Pfalz, Böhmen, Brandenburg und Sachsen) gebildet hatte, die künftig ausschließlich das Recht besaßen, den deutschen König (und damit den Anwärter auf die Kaiserkrone) zu wählen. Aufgrund der Verknüpfung der Kurwürde mit dem Erzstift spricht man von diesem auch als vom Kurfürstentum Mainz oder kurz von Kurmainz.
1498 übernahm der Kurfürst von Mainz als Erzkanzler auch das Direktorium des Reichstages. In dieser Funktion war er zuständig für die Ansage von Termin und Ort der Reichstagssitzungen, für die Weitergabe von Mitteilungen an die Reichstagsgesandten und deren Akkreditierung, für das Vorbringen (Proposition) der vom Kaiser oder den Reichsständen angeregten Verhandlungsthemen und für die schriftliche Abfassung der Reichsschlüsse und Reichsabschiede. Als 1512 der kurrheinische Reichskreis eingerichtet wurde, nahm der Mainzer Kurfürsten die Position des Kreisdirektors und kreisausschreibenden Fürsten ein. Im ausgehenden 18. Jahrhundert zählte der Mainzer Erzbischof wegen Kronberg mit Eschborn und Niederhöchststadt sowie des 1781 erworbenen Aufenau zum Kanton Mittelrhein der rheinischen Reichsritterschaft; außerdem war er Mitglied des Kantons Odenwald der fränkischen Reichsritterschaft.
Im Hinblick auf die Verwaltung des Erzstifts stellte es einen Markstein dar, dass Erzbischof Adalbert I. von Saarbrücken (1110-1137) das Amt des Vizedom(inu)s (Vitzthums), des Vertreters des Erzbischofs an der Spitze der Hofverwaltung, auf vier regionale Vizedom-Ämter aufteilte: Mainz (1) für Mainz und sein Hinterland, den Rheingau, den Mainzer Besitz an der Nahe und in der Wetterau, außerdem Aschaffenburg (2) für das Untermaingebiet, Eichsfeld (3) mit dem Sitz auf Rusteberg und Erfurt (4). Albrecht von Brandenburg (1514-1545 Erzbischof von Mainz) ist im Kontext der allgemeinen deutschen Geschichte v.a. durch seine Anhäufung von Pfründen - er vereinigte in seiner Hand die Erzbistümer Mainz und Magdeburg sowie die Administration des Bistums Halberstadt - bzw. durch die damit zusammen hängende Ausschreibung des Ablasses bekannt, an dem sich 1517 die Reformation entzündete, und die fast das ganze Mainzer Erzbistum erfasste. Seine Regentschaft ist innenpolitisch aber auch darum epochemachend, weil er 1516 das Hofgericht und 1522 den Hofrat als oberste Justiz- und Verwaltungsorgane des Kurfürstentums begründete. Nach dem Bauernkrieg 1524-1526 erließ er 1526/28 zwei Landordnungen für den Rheingau und für das Oberstift sowie fünfzehn Städteordnungen mit Einschränkungen der Selbstverwaltung. 1534 ergingen eine Neuordnung der Untergerichte und 1541 eine Rats- und Kanzleiordnung, die ohne große Änderungen bis zum Ende des Kurfürstentums in Kraft blieben. Kurfürst Anselm Kasimir Wamboldt von Umstadt (1630-1647) musste im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wegen des Einmarschs der Schweden mit seinen Zentralbehörden von 1633-1636 nach Köln ausweichen. Nach dem Prager Frieden von 1635 gelangte der Kurfürst wieder in den Besitz der Stadt und seines Kurfürstentums, die allerdings in der Folge von Frankreich besetzt wurden, das 1644 die Stadt Mainz einnahm. Frankreich duldete die Selbständigkeit der weltlichen und geistlichen Verwaltung des Erzstifts unter seiner Besatzungshoheit.
1752 erging eine neue Polizei- und Handelsordnung. Zum 1. Januar 1756 wurde das Kurmainzer Landrecht eingeführt, 1758 eine Schulordnung. Kurfürst Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim führte 1769 eine neue Gerichtsordnung ein. Die Verwaltung wurde im Sinne größerer Effizienz reformiert und 1784 eine Reform der 1477 eröffneten Mainzer Universität zum Abschluss gebracht.
1794 besetzte Frankreich im Zuge der Revolutionskriege das linke Rheinufer; die eroberten Gebiete wurden ihm 1801 im Frieden von Lunéville abgetreten. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden fast alle Territorien des Reiches, die sich im Eigentum geistlicher Fürsten oder Korporationen befanden, enteignet (Säkularisation) und weltlichen Fürsten übereignet: Kurmainz verlor seine linksrheinischen Gebiete und auch Teile seiner rechtsrheinischen Besitzungen; der Mainzer Metropolitansitz wurde auf das neue Erzbistum Regensburg übertragen, wo der letzte Mainzer Kurfürst, Karl Theodor von Dalberg, fortan als Kurzerzkanzler und Fürstprimas des 1806 von Napoleon geschaffenen Rheinbundes residierte - eines Bundes deutscher Fürsten mit Frankreich, dem Napoleon als Protektor vorstand. Dalberg regierte über die Fürstentümer Aschaffenburg und Regensburg sowie über die Grafschaft Wetzlar - den sog. Primatialstaat, zum dem ab 1806 auch Frankfurt a. M. gehörte. Der Primatialstaat wurde mehrfach umgestaltet; am stärksten durch den Vertrag von Paris von 1810, in dem Dalberg auf Regensburg verzichtete, wofür er unter Einschluss der Territorien des Fürstentums Hanau und des aufgehobenen Reichsstifts Fulda das neugeschaffene Großherzogtum Frankfurt erhielt. Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Kaiserreiches und der Neuordnung der europäischen Verhältnisse auf dem Wiener Kongress (1815) wurden, vereinfacht ausgedrückt, die ehemals zu Kurmainz und gehörenden Gebiete im Rhein-Main-Gebiet folgendermaßen aufgeteilt: Von den linksrheinischen Territorien fielen die links der Nahe gelegenen Gebiete an Preußen, die übrigen an das Großherzogtum Hessen (Hessen-Darmstadt). Der rechtsrheinisch gelegene Rheingau kam zum Herzogtum Nassau (das 1866 von Preußen annektiert wurde), und die oberhalb von Frankfurt a. M. rechts des Mains gelegenen Regionen einschließlich eines schmalen Gebietsstreifens auf dem linken Mainufer an Bayern. Schon im 18. Jahrhundert unterschied man das Regierungsarchiv (weltliche Verwaltung des Erzstifts) vom Vikariatsarchiv (geistliche Verwaltung des Erzbistums) und vom Reichserzkanzlerarchiv (Amtsgeschäfte des Erzbischofs und Kurfürsten als Reichserzkanzler); jedes dieser drei Archive wurde organisatorisch und räumlich getrennt von den anderen verwaltet. Flüchtungen des Regierungsarchivs während der Revolutionskriege ab 1792 waren mit Verlusten verbunden und haben den Ordnungszustand beeinträchtigt. Nach der Aufhebung des Erzstifts Mainz durch den Reichsdeputationshauptschluss (1803) wurden die Archivalien des Regierungsarchivs mit Bezug zu bestimmten Territorien an die Staaten abgegeben, die deren neue Eigentümer geworden waren; dies betraf nicht nur die Überlieferung kurmainzischer Lokalbehörden, sondern auch Unterlagen der Zentralbehörden mit entsprechendem Ortsbezug. Der vorliegende Bestand umfasst die Unterlagen, die damals an Preußen abgegeben wurden. Er bezieht sich infolgedessen auf die ehemals kurmainzischen Gebiete links von Rhein und Nahe. Der Bestand besteht zu rund einem Drittel aus Urkunden, zu rund zwei Dritteln aus Akten und Amtsbüchern. Die einen wie die anderen sind in die Rubriken "Staatsarchiv", "Domkapitel", "Lehnhof" und "Ämter und Ortschaften" unterteilt. Dabei bezeichnet "Staatsarchiv" vielfältige Angelegenheiten, die nicht in die anderen Rubriken einzuordnen waren, z.B. Verträge (Bündnisse, Vergleiche, Öffnung und Nutzung von Burgen, Verordnungen usw.), königliche Privilegien und Finanzen (Schulden u.a.). Unter "Domkapitel" finden sich Angelegenheiten zu Gütern und Rechten des Domkapitels, unter "Lehnhof" Unterlagen zu den Beziehungen zwischen Kurmainz und seinen Vasallen, und unter "Ämter und Ortschaften" Unterlagen zur ortsbezogenen kurmainzischen Verwaltung v.a. von Monzingen, Nußbaum und Waldböckelheim, Ober- und Niederheimbach, Trechtingshausen und Weiler bei Bingen sowie von Bingen und der Burg Sooneck; letztere enthalten außer der eigentlichen landesherrlichen Verwaltung auch Angelegenheiten von Privatleuten und Gemeinden. Die Unterlagen zur ortsbezogenen Verwaltung machen über die Hälfte der Archivalien im Bestand aus; die übrigen verteilen sich relativ gleichmäßig auf die drei anderen Rubriken. Während die Urkunden-Überlieferung etwa je zur Hälfte auf Mittelalter und Neuzeit entfällt, stammen die Akten und Amtsbücher zu fast 90% ganz oder teilweise aus dem 18. Jahrhundert. Der Bestand war ursprünglich durch ein maschinenschriftliches Findbuch erschlossen, das später in die Datenbank des Landeshauptarchivs Koblenz eingegeben wurde.

Bestandssignatur
3

Kontext
Landeshauptarchiv Koblenz (Archivtektonik)
Verwandte Bestände und Literatur
Hollmann, Michael: Das Mainzer Domkapitel im späten Mittelalter (1306-1476). (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 64), Mainz 1990 (Diss. Mainz 1988)
Ropp, Goswin Freiherr von/Vogt, Ernst/Vigener, Fritz (Hrsg.): Regesten der Erzbischöfe von Mainz von 1289 - 1396, Leipzig u. Darmstadt 1913-1958
Schatz, Rudolf /Schwersmann, Aloys (Hrsg.): Inventar des Aktenarchivs der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz aufgrund der Verzeichnisse in den heutigen Eigentümer-Archiven. (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Bde 54-56, 59 u. 60), 5 Bde, Koblenz 1990-1993
Schmidt, Georg: Das Kurerzstift Mainz um 1600. Katholische Konfessionalsierung im Spannungsfeld von Erzbischof und Domkapitel, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 45 (1993), S. 115-140
Seibrich, Wolfgang: Die Entwicklung der Pfarrorganisation im linksrheinischen Erzbistum Mainz, Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte Bd. 29, Mainz 1977 (Diss. Trier 1975)
Stimming, Manfred/Acht, Peter/Bivolarov, Vasil (Hrsg.): Mainzer Urkundenbuch: 1. Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137); 2. Die Urkunden seit dem Tode Erzbischof Adalberts I. (1137) bis zum Tode Erzbischof Konrads (1200). (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen bzw. Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt), 2 Bde u. 1 Reg.-Bd., Darmstadt 1972 (unv. Nachdruck der Ausgabe Darmstadt 1932) bzw. Darmstadt 1971 u. 2014

Die Überlieferung des kurmainzischen Regierungsarchivs, d.h. der weltlichen Verwaltung des Erzstifts, ist infolge der Aufteilung der Archivalien nach dem Reichsdeputationshauptschluss (1803) auf die neuen Eigentümer der ehemals kurmainzischen Territorien extrem zersplittert. Weitere Bestände liegen in den hessischen Staatsarchiven in Wiesbaden (Überlieferung zu Orten des Rheingaus), Darmstadt (v.a. Pertinenzbestände mit Archivalien zu Gernsheim, Bensheim, Heppenheim, Lorsch, Fürth, Steicheim, Alzenau, Kastel, Haßloch, Astheim, Vilbel und Rockenberg) und Marburg (Ämter Amöneburg, Fritzlar, Naumburg, Neustadt, Ob und Gersfeld). Den weitaus größten kurmainzischen Bestand verwahrt das Bayerische Staatsarchiv Würzburg (Überlieferung von Zentralbehörden, zu Aschaffenburg und anderen an Bayern gefallenen kurmainzischen Territorien). Das Landesarchiv Sachsen-Anhalt verwahrt an den Standorten Magdeburg und Wernigerode Urkunden und Amtsbücher bzw. Akten kurmainzischer Provenienz, die Erfurt und das Eichsfeld betreffen. Das Landesarchiv Baden-Württemberg verwahrt kurmainzische Unterlagen an den Standorten Karlsruhe (zu badischen Orten im ehemaligen kurmainzischen Vizedomamt Aschaffenburg), Ludwigsburg (zum württembergischen Anteil am Vizedomamt Aschaffenburg) und Wertheim (zu den Orten Wörth und Trennfurt, die 1803 an die Grafen von Löwenstein-Wertheim-Freudenburg gefallen waren). Nicht zu vergessen ist die Überlieferung im Stadtarchiv Mainz; sie umfasst auswärtige und territoriale Beziehungen, Stadtverwaltung, Militär, Zunftwesen, Handel u.a. mehr. Kleine kurmainzische Bestände befinden sich auch im Fürstlich-Leiningen’schen Archiv zu Amorbach (Oberämter Amorbach, Tauberbischofsheim und Miltenberg) sowie im Archiv der Fürsten und Altgrafen Salm-Reifferscheid und Dyck auf Schloss Dyck (Oberamt Krautheim). Für die Akten der Erzbischöfe und Kurfürsten von Mainz liegt ein unvollendetes archivübergreifendes Inventar vor; es umfasst den überwiegenden Teil des Regierungsarchivs; in ihm fehlen u.a. die Bestände zu Erfurt und zum Eichsfeld. Das Reichserzkanzlerarchiv, dessen Akten in Bd. 1 des Inventars erfasst sind, befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Die Überlieferung der geistlichen Verwaltung des Erzbistums, das Vikariatsarchiv, befindet sich u.a. im Dom- und Diözesanarchiv in Mainz sowie im Diözesanarchiv Würzburg.

Bestandslaufzeit
165 Urkunden: 1108-1787; 298 Akten: (1396)- (20. Jh.) (4,33 Rgm)

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Letzte Aktualisierung
01.04.2025, 13:23 MESZ

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  • Bestand

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  • 165 Urkunden: 1108-1787; 298 Akten: (1396)- (20. Jh.) (4,33 Rgm)

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