Archivalie

Lieber Dieter Keller, Der Zufall, den es ja nicht gäbe,...

Transkription: Lieber Dieter Keller, Der Zufall, den es ja nicht gäbe, wollt es, daß Ihr Brief an demselben morgen kam, an dem ich nach Düsseldorf fahren wollte! Leider traf ich Vömel nicht, zu dem ich sowieso hingegangen wäre. Das Fräulein wußte aber von den Hinterglasbildern und dem Verkauf des einen. Von den beiden anderen wußte sie nur, daß an Sie eines sicher verkauft sei. Seit dem ominösen Besuch des Miljnör behalten sie nun grundsätzlich nichts Anstößiges im Haus. Sie wird die Sache Herrn Vömel, der Soldat und nur ab und zu ins Geschäft kommt, sagen und das vermerken, falls Ihnen dergleichen angeboten wird, dies mir, oder Ihnen, mitteilend, vermittelnd also. Nach dem einem wird geforscht. Ich traf mich mit Muche, der von Krefeld kam, zur Besichtigung der düsseld. Ausstellung, die aber so armselig, lähmend, niederdrückend wirkt, so bar jeglicher frischer Impulse, daß wir nur gern in das ¿Muschelhaus¿ flüchteten, wo es Seemuscheln in Massen gab und von Massen vertilgt wurden. Einige Einkäufe und der halbe Tag war zuende. Muche erzählte von schönen Italientagen, was es noch alles gab und was es bald darauf nicht mehr geben sollte durch Einführung von Karten, und dem Ausverkauf vorzubeugend. Er will mich nächstes Jahr mitnehmen, nannte einen Russen, der vom Zaren (¿) den Auftrag bekam, alle erreichbaren ital. Fresken zu kopieren, was dieser nun im Verlauf der bald 25 Jahre in erstaunlicher Weise getan habe und zwar in doppelter Fasson mit und ohne Patina mit überraschenden Resultaten. Dabei Riesenformaten, naturgemäß. Der Maler hoffe, daß eines Tages der Bolschewism. verschwinden und ein neuer Zar sein Erbe antrete¿ Rückseite Angesichts einer so schmachvollen Ausstellung (und dies. als Vorbild für eine heranwachsende Jugend!) packt einen die Wut und man möchte ihr Dinge entgegenhalten mit dem Motto: nun erst recht! ¿ Daß ich noch (¿) solcher Dinge habe, ist mir ein gelinder Trost bei meiner sonst oft verzweiflungsvollen Stimmung des Unvermögens (dieses als Folge der jahrelangen Unterdrückung unbekümmerten künstlerischen Empfindens) so hoffe ich, möchte ich beinahe sagen, um andere Stimmungen nicht aufkommen zu lassen, wie solche eines sterblichen Endes überhaupt. ¿ ich hoffe, daß eines Tages dieses Vage der Empfindungen sich verdichtet und in Resultaten form annimmt, die dann einzig und allein auf die Einsicht und den Verstand der Freude angewiesen sein werden, da sie das offizielle Licht des Tages nicht erblicken dürfen. Ich soll hier Städtebilder Fabrikbilder malen und diese sollen ausgestellt werden ¿ der Veranlasser will keine Kompromisse ¿ sind diese aber bei solchen Tun denn zu vermeiden? Ich wollte nicht ausstellen und will es bis heute nicht, und es kann wohl sein, daß ich, da ja eine materielle Not nicht vorliegt, alledem entsage und um so mehr mich auf jenes konzentriere, um das allein es gehen kann und darf. Dies nur als Randglossen zu meinem Letzten. Es wird nun, wenn es schon bei uns kalt wird, umso viel kälter bei Ihnen geworden sein? Ob der Frost Halt gebietet und ein harter Stellungskriegswinter bevorsteht? Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Urlaub Ihr Oskar Schlemmer

Sammlung
Archiv Oskar Schlemmer
Inventarnummer
AOS 2015/1901
Material/Technik
Papier; Tinte

Ereignis
Herstellung
(wer)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Dieter Keller (1909 - 1985)
Provenienz
Abschrift vorhanden; Imdas

Rechteinformation
Staatsgalerie Stuttgart
Letzte Aktualisierung
28.03.2025, 12:10 MEZ

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Objekttyp

  • Archivalie

Beteiligte

  • Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
  • Dieter Keller (1909 - 1985)

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