Archivalie

Lieber Dieter Keller, ich bin wieder auf dem Damm...

Stempel o.l.: Stuttgart-N Hospitalstr. 31/II
Transkription: Lieber Dieter Keller, Ich bin wieder auf dem Damm, der Angina ist der Garaus gemacht und ich male weiter die hl. Antoniusse an die Wand (noch diese Woche). Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nicht viel eher auf Ihren Brief antwortete, was ich sofort tun wollte, und dann kam die Malarie und ihr Gefolge und vereitelte alles bis heute. Denn ich denke mir nicht bloß, sondern es ist so, daß der Soldat brennend auf jegliche Post wartet, die Sie freilich von Ihrer lieben Frau täglich bekommen und mit sicher beruhigenden Berichten über Ihre Häuslichkeit und das Leben ihrer Insassen, einschließlich ihrer Tiere. Sehr erfreulich, daß es dem Söhnchen so ausgezeichnet geht. Nächste Woche habe ich mir die Wand für einen Besuch vorgenommen. Ich möchte mich nun dieser Aufgabe der Wand nun wirklich entledigen, um einigermaßen beruhigten Gewissens in die Ferien zu fahren. Aber was alles soll ich bis dahin noch tun, - in 10 Tagen! Durch mein wiederholtes Kranksein bin ich sehr ins Hintertreffen mit den guten Vorsätzen geraten. Ersteres führe ich auf kosm. Zusammenhang zurück -ein ungutes Jahr anscheinend. Nun mußte auch Paul Klee schon sterben, nachdem er gerade 60 geworden war. Ich hoffe, von seiner Frau oder Sohn, denn ich schrieb, Näheres zu erfahren. Deutsche Nachrufe gibt es natürlich nicht; aber man wird dereinst einmal einen schweizerischen zu lesen bekommen. Ein Glück, daß wenigstens dieses Ländchen von der Zerstörung bewahrt blieb. Und wir blicken in das nun friedliche und gelobte Land des Elsaß hinüber und werden wohl bald vor dem Altar in Kolmar und vor dem Münster in Straßburg stehen! Auch manchen Ort in den Vogesen, ja Keyersberg, hoffe ich wiederzusehen, Erinnerungen an 1916-18, wo ich in Kolmar stationiert war. Diesmal muß ich nun doch vom finanziellen schreiben mit dem ich infolge des Krankseins ins Gedränge komme. Nach Freiburg bat ich Sie ja, zum letzten Ersten nichts zu schicken. Könnten Sie mir aber diese Monatsrate für mich freimachen (per Scheck oder wie es sonst wie geht?). Wenn ich nur die Gewißheit habe, mit diesem monatlichen jeweils rechnen zu können, so ist mir dies schon eine Beruhigung. Es ist schlimm, daß ich so von der Hand in den Mund leben muß und nicht absehe, wie ich wieder in die Lage kommen soll, mich unirritiert eine Weile mit dem wirklich Eigenem befassen zu können. Dieser glückliche Fall wird wohl erst eintreten, wenn die Kinder soweit unter Dach und Fach, daß die Sorgen um diese von einem genommen sind. Vielleicht ist dann immer noch Zeit, das einem Wesentliche und am Herzen liegende sicher zustellen. Der eigentlich frühe Tod Paul Klees hat mir erschreckend vor Augen gestellt, daß einem nicht mehr viel Frist gegeben ist, und eigentlich jeder Tag mir der Herstellung des mir wesentlichen dienen müßte. Das nächste Mal, hoffe ich sehr, Ihnen von der Wand berichten zu können, an die ich nun lebhaft denken will. Leben Sie wohl mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen Ihr Oskar Schlemmer

Sammlung
Archiv Oskar Schlemmer
Inventarnummer
AOS 2015/1866
Material/Technik
Papier; Tinte

Ereignis
Herstellung
(wer)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Dieter Keller (1909 - 1985)
Provenienz
Abschrift vorhanden; Imdas

Rechteinformation
Staatsgalerie Stuttgart
Letzte Aktualisierung
28.03.2025, 12:10 MEZ

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Objekttyp

  • Archivalie

Beteiligte

  • Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
  • Dieter Keller (1909 - 1985)

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