Tektonik

Landtag von Württemberg-Baden

Überlieferungsgeschichte
Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrt in der Beständegruppe LA 1 die Überlieferung des Landtags von Württemberg-Baden für die Zeit von 1946 bis 1952. Diese befand sich bereits seit den 1970er Jahren als Teil des baden-württembergischen Landtagsarchivs im Bestand P 15. Die Schaffung einer eigenen Beständeserie erfolgte erst im Jahr 2015 mit der Übernahme der archivfachlichen Zuständigkeit des Landesarchivs für den Landtag. LA 1 bildet seitdem einen eigenständigen Gliederungspunkt innerhalb einer neu geschaffenen Tektonik für die Bestände des Landtags ab 1945.
Der Landtag von Württemberg-Baden entstand auf Initiative der amerikanischen Militärregierung, deren erklärtes Ziel es war, dem von den Wirren des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs erschütterten Südwesten einen demokratischen Neubeginn zu ermöglichen. Wichtige Schritte auf dem Weg dorthin waren die Schaffung des Landes Württemberg-Baden aus dem bis dahin bestehenden Militärregierungsbezirk im Norden der vormaligen Länder Baden und Württemberg sowie die Einsetzung einer Regierung und Volksvertretung. Letztere wurde durch das Gesetz Nr. 15 vom 10. Januar 1946 zunächst als Vorläufige Volksvertretung (VVV) ins Leben gerufen und unterstand dem Vorsitz des altgedienten Sozialdemokraten Wilhelm Keil (1870-1968), der in der ersten Sitzung am 16. Januar zum Präsidenten ernannt worden war. Insgesamt umfasste die VVV 124 Mitglieder, zu denen neben dem Präsidenten und dem Kabinett auch Vertreter von politischen Parteien, Berufsständen, Hochschulen, Kirchen, Religionsgemeinschaften und kreisfreien Städten sowie Landräte gehörten. Trotz ihres nur kurzen Bestehens ¿ am 19. Juni 1946 fand bereits die 10. und letzte Sitzung statt ¿ konnte die VVV ihren Aufgaben nachkommen, als provisorische Volksvertretung der Regierung beratend zur Seite zu stehen und die ihr vorgelegten Entwürfe zu Gesetzen und zum Staatshaushalt einer Prüfung zu unterziehen. Über eigene gesetzgeberische Kompetenzen verfügte sie hingegen nicht. Ihre Nachfolge trat die am 30. Juni 1946 gewählte Verfassunggebende Landesversammlung (VLV) an, die bei einer Wahlbeteiligung von 67,6 Prozent der CDU 41, der SPD 32, der DVP 17 und der KPD 10 Mandate einbrachte. Die 100 Abgeordneten tagten ab der konstituierenden Sitzung am 15. Juli wie ihre Vorgänger im Stuttgarter Furtbachhaus, wo sie den CDU-Abgeordneten Wilhelm Simpfendörfer zum Präsidenten wählten. Wie die VVV vor ihr nahm die VLV die Funktion eines Vorparlaments wahr, wofür ein Ständiger Ausschuss unter Leitung von Dr. Wolfgang Haußmann eingerichtet wurde. Ihre vorrangige Aufgabe lag jedoch in der Erarbeitung und Verabschiedung einer tragfähigen Verfassung, die dem neu geschaffenen Land Württemberg-Baden als Grundlage für die dauerhafte Etablierung einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung und als Voraussetzung für die Rückgabe der Regierungsverantwortung in deutsche Hände dienen sollte. Allein 12 der insgesamt 17 Sitzungen der VLV sollten sich dem Verfassungsentwurf widmen. Darüber hinaus beschäftigte sie sich aber auch mit Fragen rund um Ernährung, Brennstoff und der Presse.
Erste Vorarbeiten für eine württembergisch-badische Verfassung erbrachte der renommierte Staatsrechtler Carlo Schmid bereits im Auftrag der VVV, die im Februar 1946 vom Ministerpräsidenten mit der Einrichtung eines Verfassungsausschusses beauftragt worden war. Seiner Überzeugung entsprechend legte Schmid den Entwurf einer Vollverfassung vor, die sich Werten wie der Menschenwürde, sozialen Gerechtigkeit und Demokratie verpflichtete und darauf abzielte, der Bevölkerung rechtliche und geistige Orientierung zu bieten. Diese ersten Überlegungen fanden ihre Fortsetzung und konkrete Ausarbeitung in der VLV, die den Entwurf Schmids ebenfalls in einem eigens eingesetzten Verfassungsausschuss behandelte. Dem Plenum der VLV wurde letztlich eine deutlich veränderte Fassung zur Abstimmung vorlegt und am 1. Oktober 1946 einstimmig angenommen. Auch die Amerikaner gewährten die erforderliche Zustimmung, wenn auch erst nach eingehender Prüfung in ihren Zentralen in Berlin und Washington und nach der Umsetzung einiger Korrekturforderungen. Die überarbeitete Version konnte dann erneut der VLV vorgelegt und am 24. Oktober 1946 endgültig mit überwältigender Mehrheit (88:1) verabschiedet werden. Da auch die Beurteilung durch die wahlberechtigte Bevölkerung einen Monat später mit 86 Prozent positiv ausfiel, trat die Verfassung bereits am 28. November als Grundgesetz in Kraft. Zeitgleich mit dem Volksentscheid über die Verfassung am 24. November 1946 fand auch die Wahl zum 1. Landtag von Württemberg-Baden als Einkammer-Parlament mit einer Beteiligung von 71,4 Prozent statt. Wahlberechtigt waren nach der Verfassung alle Staatsbürger Württemberg-Badens, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten. In seinem Ergebnis unterschied es sich nur geringfügig von dem zur VLV: Die CDU erlangte 39, die SPD 32, die DVP 19 und die KPD 10 Mandate. Auch wurde bei der konstituierenden Sitzung am 10. Dezember erneut Wilhelm Simpfendörfer zum Landtagspräsidenten gewählt. Bereits wenige Tage später konnte dieser nach der ersten durch den württembergisch-badischen Landtag vorgenommenen Wahl eines Regierungschefs Dr. Reinhold Maier mit dem Amt des Ministerpräsidenten betrauen. Am 20. Dezember erhielt auch die Allparteienregierung von Maier die Bestätigung durch das Parlament. Lediglich Simpfendörfer musste durch die Berufung zum Kultminister seine gerade erst angetretene Position als Landtagspräsident wieder räumen. An seine Stelle berief der Landtag am 15. Januar 1947 Wilhelm Keil. Ab der 35. Sitzung am 18. Juli 1947 fanden die Sitzungen des Landtags auch nicht mehr wie bisher im Furtbachhaus statt. Stattdessen wurden sie in das Haus der Stiftung Arbeiterheim (Eduard-Pfeiffer-Haus) in der Heusteigstraße 45 verlegt, das bis zum Bezug des eigens errichteten Landtagsgebäudes im Jahr 1961 als Notunterkunft diente.
Der Landtag war gemäß der Verfassung als vom Volk gewählte Vertretung für den Beschluss von Landesgesetzen und die Überwachung ihrer Ausführung zuständig. Auch oblagen ihm die Wahl des Ministerpräsidenten, die Zustimmung zu Staatsverträgen und die Genehmigung des Staatshaushalts sowie die Bestimmung der Zusammensetzung des Staatsgerichtshofs. Nachdem es der VVV und VLV als vorläufige Parlamente bereits gelungen war, dem noch jungen Land Württemberg-Baden eine der ersten deutschen Nachkriegsverfassungen zu geben, lagen die Herausforderungen für den ersten regulären Landtag in anderen Bereichen. Es galt Abhilfe für die überall spürbare Not der Nachkriegszeit zu schaffen, eine von den Besatzungsmächten geforderte Währungsreform durchzuführen, Lösungen für die immer noch ungeklärte Frage nach dem Zusammenschluss zu einem Südweststaat unter Einschluss Württemberg-Badens, Badens und Württemberg-Hohenzollerns zu finden und einen Beitrag zur Erarbeitung eines Grundgesetzes für Gesamtdeutschland zu leisten. Eine Entlastung stellte sich erst mit der Gründung der Bundesrepublik durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 ein. Sie ermöglichte eine verstärkte Hinwendung zu landespolitischen Themen. Auch endete im September 1949 die Zeit der Militärregierung, sodass anstelle eines Direktors ein Landeskommissar trat, der ¿ wenngleich mit deutlich geringeren Kompetenzen ausgestattet ¿ durch ein Vetorecht bei Landesgesetzen weiterhin Einfluss auf den Landtag nehmen konnte. Die Wahl zum 2. Landtag am 19. November 1950 wies mit 57,1 Prozent eine geringere Beteiligung auf als die erste und kehrte auch die bisherigen Verhältnisse im Landtag deutlich um. Die CDU verlor mit 28 Mandaten ihre bisherige Vorrangstellung an die SPD, die nun mit 34 Abgeordneten die stärkste Fraktion stellte. Die KPD scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde, sodass ihr der Einzug in den Landtag verwehrt blieb. Stattdessen gewann die neu gegründete Deutsche Gemeinschaft/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (DG/BHE) 16 Stimmen. Auch die DVP konnte 22 Mandate für sich sichern, sodass sie gemeinsam mit der SPD eine Regierungskoalition unter Führung von Reinhold Maier bildete. Die an der Regierung nicht beteiligten Parteien stellten im württembergisch-badischen Parlament erstmals eine Opposition. Wie auch im vorhergehenden Landtag wurde Wilhelm Keil bei der konstituierenden Sitzung am 5. Dezember 1950 als Präsident bestätigt.
Neben den Themen des Wiederaufbaus blieb die Frage nach dem Zusammenschluss zu einem Südweststaat auch in der zweiten Wahlperiode vorherrschend und schränkte sowohl Regierung als auch Parlament in ihrer Handlungsfähigkeit und planerischen Gestaltung ein. Aus württembergisch-badischer Perspektive wurde die Vereinigung mit den beiden anderen, in der Nachkriegszeit geschaffenen südwestdeutschen Ländern befürwortet und letztlich auch durch die Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 bestätigt. Bereits am 9. März 1952 konnte die Wahl einer mit gesetzgeberischen Kompetenzen ausgestatteten Verfassunggebenden Landesversammlung für das neue Land Baden-Württemberg durchgeführt und am 25. April die erste provisorische Regierung unter der Führung von Reinhold Maier gebildet werden. Damit endete die kurze Existenz Württemberg-Badens und wurde der Landtag als seine gewählte Volksvertretung aufgelöst. Die zweite Wahlperiode fand ihren offiziellen Abschluss mit der Abschiedssitzung am 30. Mai 1952.
Inhalt und Bewertung
Die Überlieferung des Landtags von Württemberg-Baden reicht von 1946 bis 1952 und umfasst die Vorläufige Volksvertretung, die Verfassunggebende Landesversammlung und die beiden ersten vollwertigen Landtage von Württemberg-Baden. Darunter befinden sich Unterlagen, die die Tätigkeit des Landtagspräsidenten, des Plenums, des Ältestenrats und der Ausschüsse sowie in geringem Umfang auch der allgemeinen Verwaltung wiederspiegeln. Darüber, wie sie ins ehemalige Landtagsarchiv gelangten und welche Bewertungsentscheidungen zur ihrem jetzigen Überlieferungsstand führten, ist wenig bekannt. Lediglich spätere Ergänzungen durch Ablieferung der Landtagsverwaltung nach 2015 wurden im jeweiligen Bestand ausgewiesen.
Im Vorgängerbestand P 15 wurde die Überlieferung der Landtage von Württemberg-Baden und Baden-Württemberg vom Parlamentsarchiv nachträglich in den Kategorien ¿Präsidium, Verwaltung¿, ¿Petitionsausschuss¿ und ¿Stenographischer Dienst¿ zusammengefasst; auch fand eine Nummerierung der Archivboxen statt. Für die Gliederung der Beständeserie LA wurde diese Ablagestruktur nur bedingt beibehalten. Stattdessen erfolgte eine Trennung der Unterlagen beider Landtage in die Beständegruppen LA 1 Landtag von Württemberg-Baden und LA 2 Landtag von Baden-Württemberg. Auf den nachgeordneten Ebenen fand zudem eine Unterscheidung nach den für die Landtagsarbeit zentralen Organisationseinheiten ¿ Landtagspräsident, Plenum, Ausschüsse ¿ und der allgemeinen Verwaltung statt. Jeder der genannten Untergruppen wurden einzelne Bestände nachgeordnet, die jeweils mehrere Wahlperioden umfassen und eine dreistellige Ziffer führen. Innerhalb dieser Bestände befinden sich die einzelnen Erschließungseinheiten in weitgehend chronologischer Reihenfolge.
Da für den Landtag von Württemberg-Baden weder ein Aktenplan noch andere Registraturbehelfe überliefert sind, wurde die Tektonik der Beständegruppe und die Klassifikation der einzelnen Bestände über eine eingehende Aktenautopsie erarbeitet. Hierbei fand neben der einschlägigen Forschungsliteratur auch die jeweilige Beschriftung der Archivboxen Berücksichtigung. Bei der Erschließung wurde die vom ehemaligen Parlamentsarchiv vergebene Nummerierung der Boxen als Vorsignatur vermerkt.

Context
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Archivtektonik) >> Landtag seit 1945

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20.01.2023, 3:09 PM CET

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