Bestand
Nachlass Zürcher, Paul (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
1920-1923 Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Philosophie an der Universität Freiburg (daneben bis 1925 als Redakteur für das Organ der Zentrumspartei "Freiburger Tagespost" tätig), Promotion 1924 in Freiburg. 1923 Eintritt in den badischen Justizdienst, 1927-1930 Staatsanwalt in Pforzheim, 1930-1944 Amtsgerichtsrat zunächst in St. Blasien und ab 1932 in Freiburg, 1944-1945 Rüstungsarbeiter in Freiburg, nach Kriegsende kommissarischer Landgerichtspräsident in Freiburg sowie Chef der deutschen Justizverwaltung in der französisch besetzten Zone Badens, 1946-1947 als Ministerialdirektor Leiter des Badischen Ministeriums der Justiz, 1947-1948 Abgeordneter des Badischen Landtags, 1948 Präsident des Oberlandesgerichts Freiburg und des Staatsgerichtshofs, 1953 Versetzung in den Wartestand und 1958 in den Ruhestand; Mitbegründer der BCSV/CDU in Südbaden
Inhalt und Bewertung
Unterlagen zur beruflichen Tätigkeit in der Justizverwaltung; Ansprachen und Publikationen Zürchers sowie Zeitungsausschnitte zur Südweststaatsfrage; Tonband mit der Abschiedsrede Leo Wohlebs als badischer Staatspräsident 1952
Biographie: Paul Zürcher kam am 29. Juni 1893 in Sunthausen als viertes von 15 Kindern des Landwirts Mathias Zürcher und seiner Ehefrau Ursula, geb. Münch, zur Welt. Von seinen Geschwistern verstarben drei bereits früh. Ab einem Alter von 10 Jahren musste sich Paul Zürcher seinen Lebensunterhalt als Hirtenjunge selbst verdienen, im Alter von 15 Jahren erhielt er als Hoteljunge eine Anstellung in einem Freiburger Hotel, später dann auch in Wiesbaden und Trier. Anfang des Jahres 1910 ging er mit dem Neffen des früheren englischen Außenministers Arthur James Balfour, in dessen Dienst er stand, nach England, weitere Reisen nach Frankreich, Belgien und Holland folgten. Im ersten Weltkrieg wurde Zürcher als Freiwilliger von August 1914 bis November 1918 in Nordfrankreich, zudem an der Ostfront und im Elsass eingesetzt. Er erhielt für seinen Einsatz, der ihm zweimal auch Verwundungen eintrug, das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, die Badische Verdienstmedaille, das Frontehrenzeichen und das schwarze Verwundetenabzeichen. Mit Hilfe von Privatunterricht bereitete sich Zürcher auf das Abitur vor, das er im Juli 1920 an einem Realgymnasium bestand. Anschließend folgte ein Studium der Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft und Philosophie an der Universität Freiburg, das er in den Jahren 1923 und 1925 mit der 1. und 2. Staatsprüfung abschloss. Bereits 1924 wurde er bei Professor W. van Calker mit der Arbeit "Die Durchsetzung angloamerikanischer Rechtsgedanken im Friedensvertrag vom 28. Juni 1919" promoviert. Zur Finanzierung seines Studiums war er als politischer Redakteur bei der Freiburger Tagespost, dem Organ des Zentrums, tätig. Durch die badische Justizverwaltung wurde Zürcher während seiner Arbeit als Staatsanwalt ein sechsmonatiger Studienaufenthalt in England sowie die Teilnahme an einem Lehrgang für internationales Recht in Den Haag ermöglicht. 1928 verheiratete sich Paul Zürcher mit Antonia Erika Weil; aus dieser Ehe gingen drei Söhne hervor. 1930 bzw. 1932 arbeitete Paul Zürcher in St. Blasien bzw. in Freiburg als Amtsgerichtsrat. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der tief in seinem römisch-katholischen Glauben verwurzelte Zürcher von seiner Stelle entfernt und musste als Rüstungsarbeiter bei der Firma Mez AG Dienst tun. Bereits am 17. Mai 1945 wurde Zürcher von der französischen Militärregierung zum kommissarischen Landgerichtspräsidenten in Freiburg bestellt und mit der Reorganisation der Justiz in Südbaden betraut. Im September 1945 wurde er sogar zum Chef der Deutschen Justizverwaltung in der französisch-besetzten Zone Badens, wobei es ihm gelang, die südbadische Justiz als erste zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit zu bringen. 1946 wurde Zürcher Ministerialdirektor der Justiz in Freiburg. Seine Arbeit wurde 1952 durch die Verleihung des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland mit Stern honoriert. Zürcher gehörte zusammen mit Anton Dichtel, Leo Wohleb und Hermann Kopf zu den Gründern der BCSV, die bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung stärkste Partei wurde. Zürcher persönlich arbeitete wohl auch den Entwurf für die neue Badische Verfassung aus, den das Justizministerium im Dezember 1946 vorlegte. Symptomatisch für Paul Zürchers unabhängige Grundhaltung steht sein Verhalten im November 1946, als die französische Militärregierung gegen die Offenburger Richter vorgehen wollte, die einen der Erzberger-Mörder, Heinrich Tillessen, freigesprochen hatten. Und obwohl Paul Zürcher das Urteil der Richter ebenfalls für falsch hielt, legte er aus Protest gegen diesen Eingriff der Militärregierung in die richterliche Unabhängigkeit sein Amt als Ministerialdirektor nieder. Daraufhin drohte ihm zunächst eine Internierung sowie die Entlassung aus dem badischen Staatsdienst, die jedoch in einen längeren Urlaub umgewandelt wurde. Am 18. Mai 1947 wurde Paul Zürcher zum Abgeordneten des badischen Landtags gewählt und am 7. April 1948 zum Präsidenten des badischen Oberlandesgerichts in Freiburg ernannt, am 13. April wurde er außerdem vom Landtag zum Präsidenten des Badischen Staatsgerichtshofs gewählt. 1952 erhielt Paul Zürcher das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Als Vertreter Badens war er auch am Verfassungskonvent in Herrenchiemsee beteiligt. Im Kampf gegen den neuen Südweststaat war er, der auch Mitglied des Heimatbunds "Badnerland" war, neben Leo Wohleb als dessen enger Ratgeber auch einer der Hauptverfechter der Wiederherstellung des alten Landes Baden. Er gestaltete auch die beiden Klagen des Landes Baden gegen das 1. und 2. Neugliederungsgesetz maßgeblich mit. Im zweiten Prozess gab das Bundesverfassungsgericht Zürchers Rechtsauffassung zwar recht und sprach sich für ein erneutes Volksbegehren aus, das jedoch erst 1970 durchgeführt wurde und keine Änderung der Situation mehr brachte. Von Ministerpräsident Reinhold Maier wurde Zürcher zunächst am 25. Juni 1953 in den Wartestand versetzt, 1958 ging er in den Ruhestand und zog sich immer mehr zurück. Am 5. November 1980 starb Paul Zürcher in Freiburg im Breisgau.
Überlieferungsgeschichte und Erschließung: Bei dem im Staatsarchiv Freiburg verwahrten Bestand handelt es sich lediglich um einen Restnachlass. Den größten Teil seines Nachlasses, besonders die die Bildung des Südweststaats betreffenden Teile hat Paul Zürcher nach eigenen Angaben vernichtet. Es ist unklar, ob sich darunter noch Akten des in der Ministerialüberlieferung des Landes Südbaden sehr unterrepräsentierten Justizministeriums befunden haben. Nach fast 30jährigen Bemühungen gelangten die hier verzeichneten Unterlagen, z.T. jedoch nur in Kopie als Schenkung eines der drei Söhne von Paul Zürcher in den Besitz des Staatsarchivs Freiburg. Der Nachlass umfasst nun 16 Archivalieneinheiten und 0,1 lfd. m und ist unter der Signatur T 1 (Zugang 2002/0002) Nr. ... nach den Maßgaben des Archivgesetzes des Landes Baden-Württemberg und der Archivbenutzungsordnung einsehbar Freiburg im Juli 2011 Dr. des. Stefanie Albus-Kötz
Sachverwandtes und Literatur: Karl-Heinz Knauber, Paul Zürcher, in: Bernd Ottnad (Hg.), Badische Biographien Neue Folge, Bd. 2, Stuttgart 1987, S. 322-325.
- Bestandssignatur
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, T 1 (Zugang 2002/0002)
- Umfang
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1-16
- Kontext
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg (Archivtektonik) >> Nachlässe und Familienarchive >> Nachlässe und Vorlässe
- Indexbegriff Sache
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BCSV; Zürcher, Paul
CDU; Zürcher, Paul
- Indexbegriff Person
- Bestandslaufzeit
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1945-1980 (1991)
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Rechteinformation
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Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Letzte Aktualisierung
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24.04.2024, 14:36 MESZ
Datenpartner
Landesarchiv Baden-Württemberg. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- 1945-1980 (1991)