Hochschulschrift
Vertragsauslegung und Vertragsergänzung nach französischem Recht, verglichen mit dem deutschen Recht
Abstract: Abstract
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem System der Vertragsauslegung und Vertragsergänzung im französischen Recht und versucht die Unterschiede zum deutschen Recht herauszuarbeiten. An laß zu der Untersuchung gab die starke Betonung des Willensschutzes in der französischen Doktrin. Die französische Doktrin stellt dem als autoritär empfundenen deutschen „système de la déclaration de la volonté“ die Forderung nach einer „analyse psychologique“ gegenüber, durch welche die Willensfreiweit und Privatautonomie geschützt werde.
Verträge sind die von allen Rechtsordnungen gegebene Möglichkeit, private Lebensverhältnisse einvernehmlich zu regeln. Sie sind verbindlich, weil und soweit von den Parteien gewollt (Privatautonomie). Diese Privatautonomie kommt dann an ihre Grenzen, wenn sich die Parteien über den Inhalt und das Ausmaß der sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten und Rechte streiten und die Auslegung oder gar der Ergänzung von Verträgen durch ein Gericht gefordert wird. Da der Streit der Parteien letztlich eine nicht völlige Einigung offenbart (Regelungslücke), stellt sich immer die -Frage, ob der Vertrag dann als nicht zustande gekommen anzusehen ist, oder aber zumindest eine der Parteien an dem von ich nicht (vollständig) Gewollten festgehalten wird. Hier stellt sich die Frage nach den Folgen eines Irrtums über den Inhalt des Erklärten aber auch die Frage nach dem Rechtsgrund, im französischen Recht der “cause de l’obligation“.
Der Richter bewegt sich daher bei der Auslegung oder Ergänzung von Verträgen in dem Spannungsbereich zwischen Willensschutz und Vertrauensschutz. Das Gewicht, welches diesen Grundsätzen beigemessen wird, scheint im deutschen und französischen sehr unterschiedlich zu sein.
Die Arbeit untersucht zunächst die Entwicklung der französischen Lehre zur Bedeutung des Parteiwillens im Vertrag und stellt sie die Rechtsprechung der Cour de Cassation gegenüber, welche die Zulässigkeit richterlicher Auslegung und deren Grenzen durch die Lehre von der „clause claire et précise“ stark einschränkt. Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs findet sich in der französischen Lehre von der „cause de l’obligation“, unter welcher die objektiv bestimmbare „commune intention“ verstanden wird. Ist eine solche nicht klar zu erkennen, sind keine Billigkeitserwägungen anzustellen, sondern die Regeln des dispositiven Rechts zugrunde zu legen.
Da das französische Recht eine Anfechtung der Willenserklärung nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen kennt, werden im Ergebnis die Vertragsschließenden viel stärker an den objektiven Sinn der Vertragserklärung gebunden als im deutsch en Recht, das durch die Anfechtung eine einseitige Lösung von der Vertragsverpflichtung ermöglicht und der Vertrauensschutz als Frage der Haftung behandelt wird.
Wenn die Rechtsprechung beider Länder zu ähnlichen Ergebnissen kommt, so vor allem dadurch, daß die Auslegung bzw. Ergänzung des Vertrags im französischen Recht in den Bereich der Tatsachenfeststellung verlagert wird, wo der Richter mit seiner „pouvoir souverain“ Billigkeitserwägungen in verdeckter Form wirken läßt, während sich die deutsche Rechtsprechung bemüht, durch logische und im Instanzenweg nachprüfbare Rechtsfortbildung zu angemessenen Regelungen des Einzelfalls zu gelangen.
Die strikte, sich am objektiven Wortsinn und dem dispositiven Recht orientierende französische Rechtsprechung und die fehlende Anfechtungsmöglichkeit zwingt die Parteien, bei der Abfassung von Verträgen besondere Sorgfalt walten zu lassen, was in Verbindung mit der Pflicht, Vereinbarungen ab einem bestimmten Geschäftswert schriftlich abzufassen, zu einer ausgeprägten notariellen Formularpraxis geführt hat
- Location
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Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main
- Extent
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Online-Ressource
- Language
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Deutsch
- Notes
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Universität Freiburg, Dissertation, 1975
- Keyword
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Ergänzende Vertragsauslegung
Paris
- Event
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Veröffentlichung
- (where)
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Freiburg
- (who)
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Universität
- (when)
-
2020
- Creator
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Jurisch, Bernhard
- Contributor
- DOI
-
10.6094/UNIFR/155059
- URN
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urn:nbn:de:bsz:25-freidok-1550598
- Rights
-
Der Zugriff auf das Objekt ist unbeschränkt möglich.
- Last update
-
14.08.2025, 10:51 AM CEST
Data provider
Deutsche Nationalbibliothek. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Hochschulschrift
Associated
- Jurisch, Bernhard
- Stoll, Hans
- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Rechtswissenschaftliche Fakultät
- Universität
Time of origin
- 2020