Bestand
Hör-Sprachzentrum Heidelberg/Neckargemünd mit Wirtschaftsschule und Kindergarten (mit Vorakten aus Gerlachsheim) - Verwaltungs- und Schulunterlagen (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Zur Geschichte des Hör-Sprachzentrums
Heidelberg/Neckargemünd
Die Geschichte des heutigen
Hör-Sprachzentrum Heidelberg/Neckargemünd beginnt im Jahr 1902, als
am 11. August das badische Gesetz über die Erziehung und den
Unterricht nicht vollsinniger - also tauber oder blinder - Kinder
verabschiedet wurde und deren Schulpflicht festlegt. Bis dato
wurden viele taubstumme Kinder frühzeitig aus der Schule genommen,
oder blieben komplett unbeschult - primär aufgrund finanzieller
Lage der Eltern. Eine achtjährige Schulpflicht wurde festgelegt,
ebenso Verpflegung der Kinder in der Schule als auch die
unentgeltliche Erteilung des Unterrichts.
Zu diesem
Zeitpunkt existieren in Baden zwei Anstalten zur Ausbildung von
hörgeschädigten Kindern, die Badische Taubstummenanstalt, damals im
Schloss Meersburg, und die Taubstummenanstalt Gerlachsheim. Diese
beiden Einrichtungen alleine hätten die übrigen unbeschulten
taubstummen Kinder aus Baden nicht aufnehmen können, weshalb man
die Errichtung einer dritten Anstalt in Heidelberg beschloss. Diese
sollte eine Sonderanstalt für Taubstumme mit noch verwertbaren
Hörresten werden.
Am 20. Oktober 1902 wurden die
Taubstummenkurse Heidelberg vorerst in provisorisch zugewiesenen
Räumen eröffnet. 1906 wurden die Kurse bereits von 27 Kindern
verteilt auf drei Klassen besucht, die aus Spätertauben,
Hörrestigen, hochgradig Schwerhörigen und hörenden
Sprachgebrechlichen bestanden.
Mit Ernennung des
Reallehrers August Wiedemer zum Rektor wurden die Kurse ab 1912
offiziell als selbstständige Anstalt anerkannt, die zu einer
achtklassigen Vollanstalt ausgebaut werden sollte.
Ein
eigenes Schulgebäude musste her: Auf dem noch 1912 erworbenen
Grundstück wurde der Rohbau bis Ende 1914 fertiggestellt. Bis 1915
folgten Ausbauarbeiten. Am 10. Januar 1916 das Anstaltsgebäude mit
insgesamt 70 Zöglingen in fünf Klassen bezogen werden.
Bis 1915 verlor sich der Sondercharakter, der bis dahin die
Unterrichtsmethoden der Anstalt prägte. Eltern von volltauben
Kindern aus Heidelberg protestierten massiv, da diese ihre Kinder
nicht in die weitergelegenen Anstalten in Meersburg oder
Gerlachsheim schicken wollten.
So stieg die Schülerzahl
während des ersten Weltkrieges stetig, bis 1918 waren es bereits 91
Schüler in sieben Klassen, doch es kam zu einem Lehrermangel. Die
jungen Lehrkräfte wurden zum Kriegsdienst einberufen und jene
übriggebliebene mussten täglich in einem Heidelberger Lazarett
Sprachkurse für gehör- und sprachkranke Kriegsteilnehmer geben.
Trotzdem schaffte es die Gehörlosenschule den Unterricht während
des ganzen Krieges ohne Unterbrechung fortzusetzen.
1936
bekam die Gehörlosenschule weiteren Zuwachs. Die Taubstummenanstalt
Gerlachsheim wurde geschlossen, alle Schüler und Lehrer wurden nach
Heidelberg versetzt.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs
im September 1939 war es den über die Sommerferien heimgereisten
Zöglingen nicht mehr erlaubt, in das Anstaltsgebäude
zurückzukehren. Noch im selben Jahr wurde dieses zur Einrichtung
eines Reservelazaretts konfisziert, welches bis Kriegsende
fortbestand. Komplett aufgegeben wurde der Unterricht während
dieser Zeit nicht, die Kinder wurden stattdessen in verschiedenen
badischen Kleinstädten unterrichtet.
Im Zuge des
Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurden auch in Baden
zahlreiche Taubstumme, deren Hörschädigung (vermeintlich) erblich
war, zwangssterilisiert. Dabei galten Sterilisationsanträge nicht
nur Erwachsenen bzw. Volljährigen, sondern auch Kindern und
Jugendlichen. Nach Ende des Krieges 1945 wurde das Anstaltsgebäude
von der amerikanischen Besatzungsmacht als Wehrmachtsobjekt
beschlagnahmt und später baulich verändert, um als amerikanische
Elementarschule genutzt zu werden.
Von der
Gehörlosenschule blieb kaum etwas übrig. Schule, Heim und die in
anderen Orten untergebrachten Klassen waren aufgelöst. Der damalige
Direktor Edwin Singer machte sich an den Wiederaufbau und konnte
bereits 1946 von der Militärregierung die Lizenz zur Neugründung
des Vereins für badische Taubstumme erhalten. Nach und nach wurden
in verschiedenen Orten Badens wieder Klassen für Taubstumme
eröffnet. 1949 wurde an der Universität Heidelberg das
Studienseminar für Taubstummenlehrer eingeführt.
Nach
langen Bemühungen und Ersuchen bei amerikanischen Behörden wurde
das Heidelberger Anstaltsgebäude am 10. Juni 1952 wieder für die
Gehörlosenschule freigegeben und konnte in der letzten Oktoberwoche
1952 wieder bezogen werden.
In den darauffolgenden
Jahren wurde der Platz in der Staatlichen Gehörlosenschule
Heidelberg zunehmend unzureichend, obwohl verschiedene
Einrichtungen der Taubstummenbildung nach Neckargemünd ausgelagert
wurden, wie ein 1955 eröffneter Kindergarten: Außerdem hat sich der
Zustand des Gebäudes seit 1970 wegen Baufälligkeit weiter
verschlechtert. Deshalb wurde der Beschluss gefasst, in
Neckargemünd ein neues umfangreiches Gehörlosenzentrum zu bauen, in
dem eine Grund- und Hauptschule sowie ein Kindergarten ihren Sitz
finden.
Die ersten Pläne für eine Raumprogrammplanung
entstanden bereits 1965.
1967 konnte die Dreijährige
kaufmännische Berufsfachschule - Wirtschaftsschule für
Hörgeschädigte eröffnet werden und machte eine schulische
Weiterbildung für Hörgeschädigte nach der Pflichtschulzeit möglich.
So startete sie mit neun Schülern und war knapp zehn Jahre später
auf drei verschiedene Züge mit jeweils zwei Parallelklassen à 10
Schüler angewachsen, die nicht nur aus Süddeutschland, sondern auch
aus dem Norden Deutschlands stammten, um den mittleren
Bildungsabschluss zu erreichen. Bundesweit erregte die neue
Wirtschaftsschule Aufsehen, da zuvor in der deutschen
Bildungspolitik keine zwingende Notwendigkeit für schulische
Weiterbildungsmöglichkeit für Hörgeschädigte gesehen worden
war.
Im Sommer 1975 stimme der Gemeinderat von
Neckargemünd dem Neubau für die Staatliche Gehörlosenschule endlich
zu. Zehn Jahre später konnte im Frühjahr 1985 der erste
Bauabschnitt abgeschlossen werden, dessen Kosten sich auf 32
Millionen DM beliefen. Bis zur Fertigstellung des zweiten und
letzten Bauabschnittes 1991 beliefen sich die Kosten auf insgesamt
50 Millionen DM. Im Jahr 1993 erhielt die Staatliche Schule für
Hör-Sprachgeschädigte Heidelberg-Neckargemünd eine Auszeichnung
guter Bauten 1993 vom Bund Deutscher Architekten.
Auf
Elterninitiative wurde 1990 der Förderkreis der Staatlichen Schule
für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte e.V. Neckargemünd
ins Leben gerufen. Seit Mitte/Ende der 1990er bietet das
Hör-Sprachzentrum in einer Kooperation mit der
Julius-Springer-Schule Heidelberg, einer kaufmännischen Schule, die
Möglichkeit, ein Berufskolleg zu besuchen. Hier werden
hörgeschädigte Schüler nachdem Abschluss ihrer mittleren Reife
gemeinsam mit den Bewerbern ohne handicap in jeweils eine Klasse
des BK I und BK II aufgenommen. Nach erfolgreichem Abschluss des BK
II können die Schüler im Anschluss auch an einer Fachhochschule
studieren.
Heute befindet sich im Altbau der
Gehörlosenschule Heidelberg eine Grundschule für Hörgeschädigte
Kinder. Der Schulkindergarten sowie die anderen Schulabteilungen,
darunter die Kaufmännische Sonder-Berufsfachschule, und das
Internat sind im Neubau in Neckargmünd untergebracht.
Alicia Heredia
(Januar 2018)
Inhalt und Bewertung
Provenienz auch:
Taubstummenanstalt Gerlachsheim
Zur Geschichte des
Hör-Sprachzentrums Heidelberg/Neckargemünd: Die Geschichte des
heutigen Hör-Sprachzentrum Heidelberg/Neckargemünd beginnt im Jahr
1902, als am 11. August das badische Gesetz über die Erziehung und
den Unterricht nicht vollsinniger - also tauber oder blinder -
Kinder verabschiedet wurde und deren Schulpflicht festlegt. Bis
dato wurden viele taubstumme Kinder frühzeitig aus der Schule
genommen, oder blieben komplett unbeschult - primär aufgrund
finanzieller Lage der Eltern. Eine achtjährige Schulpflicht wurde
festgelegt, ebenso Verpflegung der Kinder in der Schule als auch
die unentgeltliche Erteilung des Unterrichts. Zu diesem Zeitpunkt
existieren in Baden zwei Anstalten zur Ausbildung von
hörgeschädigten Kindern, die Badische Taubstummenanstalt, damals im
Schloss Meersburg, und die Taubstummenanstalt Gerlachsheim. Diese
beiden Einrichtungen alleine hätten die übrigen unbeschulten
taubstummen Kinder aus Baden nicht aufnehmen können, weshalb man
die Errichtung einer dritten Anstalt in Heidelberg beschloss. Diese
sollte eine Sonderanstalt für Taubstumme mit noch verwertbaren
Hörresten werden. Am 20. Oktober 1902 wurden die Taubstummenkurse
Heidelberg vorerst in provisorisch zugewiesenen Räumen eröffnet.
1906 wurden die Kurse bereits von 27 Kindern verteilt auf drei
Klassen besucht, die aus Spätertauben, Hörrestigen, hochgradig
Schwerhörigen und hörenden Sprachgebrechlichen bestanden. Mit
Ernennung des Reallehrers August Wiedemer zum Rektor wurden die
Kurse ab 1912 offiziell als selbstständige Anstalt anerkannt, die
zu einer achtklassigen Vollanstalt ausgebaut werden sollte. Ein
eigenes Schulgebäude musste her: Auf dem noch 1912 erworbenen
Grundstück wurde der Rohbau bis Ende 1914 fertiggestellt. Bis 1915
folgten Ausbauarbeiten. Am 10. Januar 1916 das Anstaltsgebäude mit
insgesamt 70 Zöglingen in fünf Klassen bezogen werden. Bis 1915
verlor sich der Sondercharakter, der bis dahin die
Unterrichtsmethoden der Anstalt prägte. Eltern von volltauben
Kindern aus Heidelberg protestierten massiv, da diese ihre Kinder
nicht in die weitergelegenen Anstalten in Meersburg oder
Gerlachsheim schicken wollten. So stieg die Schülerzahl während des
ersten Weltkrieges stetig, bis 1918 waren es bereits 91 Schüler in
sieben Klassen, doch es kam zu einem Lehrermangel. Die jungen
Lehrkräfte wurden zum Kriegsdienst einberufen und jene
übriggebliebene mussten täglich in einem Heidelberger Lazarett
Sprachkurse für gehör- und sprachkranke Kriegsteilnehmer geben.
Trotzdem schaffte es die Gehörlosenschule den Unterricht während
des ganzen Krieges ohne Unterbrechung fortzusetzen. 1936 bekam die
Gehörlosenschule weiteren Zuwachs. Die Taubstummenanstalt
Gerlachsheim wurde geschlossen, alle Schüler und Lehrer wurden nach
Heidelberg versetzt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September
1939 war es den über die Sommerferien heimgereisten Zöglingen nicht
mehr erlaubt, in das Anstaltsgebäude zurückzukehren. Noch im selben
Jahr wurde dieses zur Einrichtung eines Reservelazaretts
konfisziert, welches bis Kriegsende fortbestand. Komplett
aufgegeben wurde der Unterricht während dieser Zeit nicht, die
Kinder wurden stattdessen in verschiedenen badischen Kleinstädten
unterrichtet. Im Zuge des Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses wurden auch in Baden zahlreiche Taubstumme, deren
Hörschädigung (vermeintlich) erblich war, zwangssterilisiert. Dabei
galten Sterilisationsanträge nicht nur Erwachsenen bzw.
Volljährigen, sondern auch Kindern und Jugendlichen. Nach Ende des
Krieges 1945 wurde das Anstaltsgebäude von der amerikanischen
Besatzungsmacht als Wehrmachtsobjekt beschlagnahmt und später
baulich verändert, um als amerikanische Elementarschule genutzt zu
werden. Von der Gehörlosenschule blieb kaum etwas übrig. Schule,
Heim und die in anderen Orten untergebrachten Klassen waren
aufgelöst. Der damalige Direktor Edwin Singer machte sich an den
Wiederaufbau und konnte bereits 1946 von der Militärregierung die
Lizenz zur Neugründung des Vereins für badische Taubstumme
erhalten. Nach und nach wurden in verschiedenen Orten Badens wieder
Klassen für Taubstumme eröffnet. 1949 wurde an der Universität
Heidelberg das Studienseminar für Taubstummenlehrer eingeführt.
Nach langen Bemühungen und Ersuchen bei amerikanischen Behörden
wurde das Heidelberger Anstaltsgebäude am 10. Juni 1952 wieder für
die Gehörlosenschule freigegeben und konnte in der letzten
Oktoberwoche 1952 wieder bezogen werden. In den darauffolgenden
Jahren wurde der Platz in der Staatlichen Gehörlosenschule
Heidelberg zunehmend unzureichend, obwohl verschiedene
Einrichtungen der Taubstummenbildung nach Neckargemünd ausgelagert
wurden, wie ein 1955 eröffneter Kindergarten: Außerdem hat sich der
Zustand des Gebäudes seit 1970 wegen Baufälligkeit weiter
verschlechtert. Deshalb wurde der Beschluss gefasst, in
Neckargemünd ein neues umfangreiches Gehörlosenzentrum zu bauen, in
dem eine Grund- und Hauptschule sowie ein Kindergarten ihren Sitz
finden. Die ersten Pläne für eine Raumprogrammplanung entstanden
bereits 1965. 1967 konnte die Dreijährige kaufmännische
Berufsfachschule - Wirtschaftsschule für Hörgeschädigte eröffnet
werden und machte eine schulische Weiterbildung für Hörgeschädigte
nach der Pflichtschulzeit möglich. So startete sie mit neun
Schülern und war knapp zehn Jahre später auf drei verschiedene Züge
mit jeweils zwei Parallelklassen à 10 Schüler angewachsen, die
nicht nur aus Süddeutschland, sondern auch aus dem Norden
Deutschlands stammten, um den mittleren Bildungsabschluss zu
erreichen. Bundesweit erregte die neue Wirtschaftsschule Aufsehen,
da zuvor in der deutschen Bildungspolitik keine zwingende
Notwendigkeit für schulische Weiterbildungsmöglichkeit für
Hörgeschädigte gesehen worden war. Im Sommer 1975 stimme der
Gemeinderat von Neckargemünd dem Neubau für die Staatliche
Gehörlosenschule endlich zu. Zehn Jahre später konnte im Frühjahr
1985 der erste Bauabschnitt abgeschlossen werden, dessen Kosten
sich auf 32 Millionen DM beliefen. Bis zur Fertigstellung des
zweiten und letzten Bauabschnittes 1991 beliefen sich die Kosten
auf insgesamt 50 Millionen DM. Im Jahr 1993 erhielt die Staatliche
Schule für Hör-Sprachgeschädigte Heidelberg-Neckargemünd eine
Auszeichnung guter Bauten 1993 vom Bund Deutscher Architekten. Auf
Elterninitiative wurde 1990 der Förderkreis der Staatlichen Schule
für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachbehinderte e.V. Neckargemünd
ins Leben gerufen. Seit Mitte/Ende der 1990er bietet das
Hör-Sprachzentrum in einer Kooperation mit der
Julius-Springer-Schule Heidelberg, einer kaufmännischen Schule, die
Möglichkeit, ein Berufskolleg zu besuchen. Hier werden
hörgeschädigte Schüler nachdem Abschluss ihrer mittleren Reife
gemeinsam mit den Bewerbern ohne handicap in jeweils eine Klasse
des BK I und BK II aufgenommen. Nach erfolgreichem Abschluss des BK
II können die Schüler im Anschluss auch an einer Fachhochschule
studieren. Heute befindet sich im Altbau der Gehörlosenschule
Heidelberg eine Grundschule für Hörgeschädigte Kinder. Der
Schulkindergarten sowie die anderen Schulabteilungen, darunter die
Kaufmännische Sonder-Berufsfachschule, und das Internat sind im
Neubau in Neckargmünd untergebracht. Alicia Heredia (Januar
2018)
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 485
- Extent
-
302 Akten
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Neuere Bestände (vornehmlich ab ca. 1800) >> Kultur >> Schulen >> Taubstummenanstalt Heidelberg / Hör-Sprachzentrum Heidelberg / Neckargemünd
- Date of creation of holding
-
1871-2013
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
03.04.2025, 11:03 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Baden-Württemberg. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- 1871-2013