Bestand

Kirchengericht (Nordelbien) (Bestand)

Bestandsbeschreibung: Geschichte der kirchlichen Gerichtsbarkeit
Die geschichtliche Darstellung folgt weitgehend den Bestimmungen zu Kirchengerichten und anderen kirchengerichtlichen Verfahren in der Ev.-Luth. Landeskirche Schleswig-Holsteins und in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Die Entwicklung in den Landeskirchen, die sich später mit Schleswig-Holstein zur Nordelbischen Kirche zusammenschlossen oder wie die Landeskirche Hannover den Kirchenkreis Harburg abgaben, wird hier nur am Rande gestreift. Aus dem Kontext wird deutlich, dass die Landeskirche Schleswig-Holsteins wie in anderen Bereichen eine prägende Kraft war und daher auch innerhalb der Zusammenschlüsse den Schwerpunkt setzte.

Kirchengericht
Mit dem ‚Kirchengericht’ wird die Instanz bezeichnet, die verwaltungs- und verfassungsrechtliche Streitigkeiten in der Kirche verhandelt.

Ein eigenes Kirchengericht für die Landeskirche Schleswig-Holsteins bestand erst seit 1952. Mit einem Gesetz wurde eine wesentliche Neuerung beschlossen. Zuvor hatte es im Bereich der Disziplinarverfahren zwar eigenständige Verfahrenskammern gegeben, aber nicht für allgemeine kirchliche Verwaltungsstreitigkeiten. In der Zeit nach 1867 wurden die Verfahren entweder vor den allgemeinen staatlichen Gerichten ausgetragen oder innerhalb der Kirchenverwaltung vom Konsistorium in erster Instanz oder vom Minister für geistliche Angelegenheiten in letzter Instanz entschieden. Die Verfassung der neu gebildeten Landeskirche Schleswig-Holsteins sah die Kirchenregierung als Gerichtsorgan vor.
Wohl nicht zuletzt vor den Erfahrungen in der nationalsozialistischen Zeit wurde nach dem Krieg die Bildung eines eigenständigen Kirchengerichts angestrebt. Den Anstoß gab eine Vorlage der Propsteisynode Kiel für die Landessynode auf der 7. ordentlichen Landessynode im Februar 1951, das die Bildung eines Verfassungs- und Verwaltungsgerichts vorsah. Die Vorlage wurde von der Landessynode als Auftrag an die Kirchenleitung überwiesen, einen Entwurf für ein Gesetz über ein Kirchengericht vorzulegen. Etwa ein Jahr später legte die Kirchenleitung den Entwurf auf der 8. ordentlichen Landessynode im Mai 1952 vor. In der schriftlichen Begründung führte Bischof Halfmann für die Kirchenleitung aus, dass durch die Schaffung einer staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit auch für kirchliche Streitigkeiten die Möglichkeit bestünde, ein Berufungsverfahren vor einem staatlichen Gericht anzustrengen. Da dies nicht erwünscht sei und das bisherige Recht eine Lücke darstelle, müsse nunmehr ein Weg gefunden werden, auch innerhalb der Landeskirche Verwaltungsfragen gerichtlich zu klären. In der mündlichen Begründung hob der Präsident des Landeskirchenamts, Bührke, hervor, dass die Schaffung eines Verwaltungsgerichts auch als Ergebnis des Kirchenkampfes angesehen werden könne. In den Akten finden sich jedoch nicht nähere Ausführungen zu dieser These. In den Begründungen ist durchgängig der Versuch zu sehen, eine Abgrenzung gegenüber der staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu schaffen. So wurde während der Beratungen innerhalb des Landeskirchenamts zeitweilig erwogen, der Synode einen vollständigen Verzicht auf ein Kirchengericht vorzuschlagen. Außerdem wurde stets die Brüderlichkeit der Pastoren untereinander hervorgehoben.
Trotz dieser Abschwächung des rein administrativen Gedankens ist bedeutsam, dass mit der Schaffung des Kirchengerichts erstmals ein unabhängiges Gremium eingerichtet worden war. Damit wurde auch die Trennung von Exekutive und Judikative durchgeführt. Die neue Stellung wurde auch dadurch betont, dass das Kirchengericht von der Landessynode berufen wurde. Die Mitglieder mussten teilweise die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben. Mitglieder des Landeskirchenamts und der Kirchenleitung konnten nicht Mitglied des Kirchengerichts werden.
Die Rechtsordnung der Landeskirche von 1958 präzisierte in zwei Artikeln 114 - 115 die Einrichtung von unabhängigen kirchlichen Gerichten und Spruchkollegien, die Disziplinar-, Lehrbeanstandungsverfahren und Verwaltungsrechtsstreitigkeiten behandeln sollten.

Zur Verfahrensrationalisierung verständigten die Landeskirchen auf dem Gebiet der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein sich 1972 auf ein gemeinsames Verwaltungs- und Verfassungsgericht, das zum 1. Januar 1974 gebildet wurde. Anlass war das Bestreben der Landeskirche Lübeck gewesen, das bislang kein Kirchengericht für kirchliche Verwaltungsstreitigkeiten hatte. Stattdessen hatte es das Verwaltungs- und Verfassungsgericht der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) als erste Instanz vorgesehen und auf eine Berufungsinstanz verzichtet. Auch die Hamburger Landeskirche hatte nur die Bildung eines Kirchengerichts vorgesehen, aber keines geschaffen. Aus diesem Grund wurde 1965 die Initiative der Lübecker Landeskirche aufgenommen und Verhandlungen begonnen, an denen sich ab 1968 die Landeskirche Eutin beteiligte. Die Eigenständigkeit der beteiligten Landeskirchen wurde gewahrt, indem die Verfahren aus den Landeskirchen heraus nur nach dem jeweiligen Recht zulässig waren. Eine wesentliche Änderung war die Bestimmung, dass die Mitglieder des Kirchengerichts durch die Kirchenleitungen nach einem festen Schlüssel bestellt wurden.

Mit dem gemeinsamen Kirchengericht wurde ein Stück Nordelbien vorweggenommen. Die Verfassung der zum 1. Januar 1977 neu gebildeten Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche verfügte die Bildung von kirchlichen Gerichten für Verfassungs- und Verwaltungsstreitigkeiten sowie für Amtspflichtverletzungen. Durch Gesetz sollte das Verfahren bei Lehrbeanstandungen geregelt werden. Hierzu bestimmte das Einführungsgesetz, dass das Gericht die Bezeichnung „Kirchengericht der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche“ tragen sollte. Die Besetzung des Kirchengerichts erfolgte durch die Synode. 1990 wurde der Wahlmodus modifiziert und ein Wahlausschuss der Richterinnen und Richter eingerichtet, der von der Synode gewählt wurde, aber neben synodalen Mitgliedern auch je ein Mitglied der Kirchenleitung und des Nordelbischen Kirchenamts umfasste.

Die Berufung wurde durchweg zum Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD vorgeschrieben.

Disziplinarrecht
Die Kammer für Amtszucht, heute Disziplinarkammer bezeichnet, verhandelt Disziplinarverfahren gegen Geistliche und Beamte.

In der Zeit von 1867 bis 1918 wurden Disziplinarverfahren in erster Instanz vom Konsistorium und in zweiter Instanz vom Ministerium für geistliche Angelegenheiten verhandelt und entschieden. Mit der Schaffung einer eigenständigen Landeskirche wurde auch ein neues Gesetz verabschiedet, das die Bildung einer Disziplinarkammer und als Berufungsinstanz einen Disziplinarhof vorsah. Die Trennung von Exekutive und Judiskative war noch nicht vollständig ausgeprägt, da der Präsident und der Vizepräsident des Landeskirchenamts jeweils in eine der beiden Kammern berufen wurden. Die Bestimmungen wurden sinngemäß auch auf Beamte angewendet.

Durch die Entwicklung eines neuen Disziplinarrechts für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sah die Landeskirche sich 1955 veranlasst, ihre eigenen Bestimmungen anzupassen. Es wurde eine Disziplinarkammer auf landeskirchlicher Ebene eingerichtet, die Verfahren gegen Geistliche und Kirchenbeamte behandelte. Die Berufung konnte bei dem Disziplinarhof der EKD eingelegt werden. Die Bestallung der Vorsitzenden und der Beisitzer erfolgte durch die Kirchenleitung. Erstmals wurde ausdrücklich bestimmt, dass die Mitglieder des Landeskirchenamts und der Kirchenleitung nicht der Disziplinarkammer angehören konnten.
1967 ordnete die die Landeskirche das Disziplinarverfahren neu, indem sie mit den Landeskirchen Hamburg, Lübeck und Eutin eine gemeinsame Kammer für Amtszucht einrichtete und das Verfahren an den Bestimmungen der VELKD ausrichtete. Nunmehr wurde ein Disziplinarverfahren zuerst vor einem Spruchausschuss betrieben. Diese Stufe war noch kein förmliches Verfahren, sondern sollte dem Betreffenden die Möglichkeit geben, seine Verfehlung einzusehen und zurückzunehmen. Der Spruchausschuss konnte feststellen, ob das Spruchverfahren zur Bereinigung des Falls ausreiche. War dies nicht möglich, wurde ein förmliches Verfahren bei der Kammer für Amtszucht eingeleitet. Berufung war beim Senat für Amtszucht der VELKD möglich. Der jeweiligen Kirchenleitung stand das Recht auf Begnadigung zu. Die Bestallung der Vorsitzenden und der Beisitzer erfolgte nach einem festgelegten Schlüssel durch die Kirchenleitungen der jeweiligen Landeskirchen.

Mit der Bildung der Nordelbischen Kirche 1977 erfolgten im Wesentlichen nur Anpassungen. So hieß die zuständige Kammer nunmehr ‚Kammer für Amtszucht der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche’. Ein wesentlicher Unterschied bestand aber in der Entscheidung, dass die Mitglieder der Kammer nicht von der Kirchenleitung, sondern von der Nordelbischen Synode bestellt wurden.

Die derzeit gültigen Bestimmungen bestanden seit 2006 praktisch unverändert. Nunmehr war die Berufung beim Disziplinarsenat der VELKD einzulegen. 2011 trat die Pommersche Evangelische Kirche dem Vertrag über die Errichtung und die Ordnung eines Kirchengerichts der evangelisch-lutherischen Kirchen in Schleswig-Holstein und Hamburg vom 6. März 1974 bei.

Ausgenommen waren stets die Lehrbeanstandungen, die in erster Instanz in einem Lehrverfahren und in zweiter Instanz vor einem Spruchkollegium der VELKD verhandelt wurden.

Mitarbeitervertretungsrecht
Das Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten entscheidet über Verfahren zur Beteiligung der Mitarbeitervertretungen an Maßnahmen derjeweiligen Dienststellenleitungen nach dem EKD-MVG.

1955 wurde in der Landeskirche Schleswig-Holsteins das erste Gesetz über eine Mitarbeitervertretung beschlossen. Es enthielt eine knappe Aussage zum Schlichtungsausschuss, der über Differenzen zwischen der Mitarbeitervertretung und der Dienststellenleitung entscheiden sollte. Das nachfolgende Gesetz von 1966 setzte zunächst auch auf eine Einigung, die eine kirchliche Aufsichtsbehörde herbeiführen sollte. Als weitere Möglichkeit wurde der Schlichtungsausschuss benannt, dessen Aufgaben nunmehr genauer beschrieben wurden.
Mit der Bildung der Nordelbischen Kirche wandelte sich das Bild grundlegend. In einer wesentlich detaillierteren Beschreibung wurden mit einem komplett neuen Gesetz 1978 auch die Aufgaben und die Funktionsweise des Schlichtungsausschusses genauer dargestellt. Durch eine Änderung 1983 wurde beim Kirchengericht eine Fachkammer für Mitarbeitervertretungssachen eingerichtet, die in zweiter Instanz entschied. 1985 wurde eine Änderung dahin beschlossen, dass Wahlanfechtungsklagen bei Wahlen zur Mitarbeitervertretung nicht vor den Schlichtungsausschuss kamen, sondern gleich von der Fachkammer für Mitarbeitervertretungssachen entschieden wurden.
1992 hatte die EKD ein neues Gesetz zur Mitarbeitervertretung beschlossen, dem die NEK 1995 folgte und es in einigen Punkten für den eigenen Bereich modifizierte. Der Schlichtungsausschuss wurde als Schlichtungsstelle beibehalten. Berufungsinstanz war dann aber das Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der EKD in Hannover. Erst 2004 wurde als erste Instanz wieder ein Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten eingerichtet, das an die Stelle der Schlichtungsstelle trat.

Mit Übergang zur Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland endeten die Kirchengerichte formal. Die anhängigen Verfahren wurden von den entsprechenden neu gebildeten Gerichten übernommen.

Reference number of holding
16.16 Kirchengericht (Nordelbien)

Context
Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland (Archivtektonik) >> 1 Landeskirchen vor 2012 >> 16 Nordelbische Ev.-Luth. Kirche (1977-2012) >> 16.1 Kirchliche Organe

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07.04.2025, 12:26 PM CEST

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