Bild

Unterhaltung

Beckmann hat, wie so oft, im Format barocker Familienporträts die eigene Familie als Prototyp einer beunruhigten, ratlosen Menschheit eingesetzt. Wie in einem skandinavischen oder russischen Drama ahnt man den schwelenden Konflikt. Im Hintergrund der großen, fast leeren Diele sitzt der Künstler als ein scheinbar distanzierter Zuschauer, doch in starker Spannung über die ganze Bildtiefe hinweg – noch 1914 verwarf Beckmann vehement das „Prinzip der Flachheit“ bei Henri Matisse und den Kubisten – zum dicht besetzten Vordergrund. Hier sitzt würdevoll, aber mürrisch Beckmanns Schwiegermutter, Minna Tube (1843–1922), die Witwe eines Militärpfarrers; hinter ihr – eine bleiche Erscheinung – seine schwangere Frau Minna (1881–1964) mit geöffnetem Mieder. Eine große Leere trennt sie von ihrer Schwester Annemarie (?–1917), die sich ihr lebhaft, mit nahezu feindseligem Ausdruck zuwendet, die Augen aber begegnen einander nicht. In dieser Gesellschaft wird eine verabredete Hierarchie nicht erkennbar, und die Beziehungen erscheinen ambivalent. Alle Linien verlaufen schräg gegeneinander, alle Stabilität ist infrage gestellt. Die Menschen erstarren in einer diffusen Unruhe, die ihren Gegenpart findet in den taumelnden, ekstatisch gestikulierenden Menschen der Katastrophenbilder „Die Schlacht“ (1907; Privatbesitz) oder „Szene aus dem Untergang von Messina“ (1909; Privatbesitz). Immer suchte Beckmann „aus unserer Zeit heraus mit all ihren Unklarheiten und Zerrissenheiten Typen zu bilden, die uns Heutigen das sein könnten, was denen damals ihre Götter und Helden gewesen sind“ (Max Beckmann, Gedanken über zeitgemäße und unzeitgemäße Kunst, in: Pan, 2. Jg. [1912], H. 17, S. 501). Ein Jahr nach „Unterhaltung“ verknüpfte er auf einem vier Meter hohen Bild (Staatsgalerie Stuttgart) eine dramatische Auferstehung der Toten mit einer bürgerlichen Szene, in deren Vordergrund man wieder den Künstler mit Frau und Schwiegermutter erkennt – kaum verwundert über den Einbruch der Apokalypse. „Unterhaltung“ trug auch den Titel „Gesellschaft I“, dem Bild folgten die Varianten „Gesellschaft II“ (1911; Moritzburg, Halle) und „Gesellschaft III“ (1915; Verbleib unbekannt). | Claude Keisch

Vorderseite | Fotograf*in: Jörg P. Anders

Rechte vorbehalten - Freier Zugang

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Standort
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
B 598
Maße
Höhe x Breite: 177 x 168,5 cm
Rahmenmaß: 190 x 179,5 x 6 cm
Material/Technik
Öl auf Leinwand

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1963 Ankauf von der Galerie Günther Franke, München, durch das Land Berlin mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie für die Galerie des 20. Jahrhunderts (West).
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wann)
1908

Rechteinformation
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Letzte Aktualisierung
08.08.2023, 11:02 MESZ

Datenpartner

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Objekttyp

  • Bild

Beteiligte

Entstanden

  • 1908

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