Brief | Korrespondenz

Brief von Hannah Höch an Richard Huelsenbeck. Berlin

Motiv Inhalt: "Lieber Richard Huelsenbeck, heute Abend hörte ich im Radio in der »Stimme Amerikas« ein Gespräch mit George Gross und da meldete sich mein Gewissen auf's peinlichste weil ich noch immer nicht auf Ihren so herzlichen Brief im vergangenen Jahr geantwortet habe und mich auch nicht für den Pariser Ausstellungskatalog bedankt habe. Und doch habe ich mich über beide Lebenszeichen von Ihnen sehr gefreut. Als Erklärung für meine Nachlässigkeit, vielmehr die erzwungene Hinausschiebung, einer Sache, die mir eigentlich am Herzen lag, möchte ich folgendes sagen: Es liegt an unserer Situation hier in Berlin. Man ist einfach immer gehetzt. Gepeitscht von den aktuellen Ereignissen. Von den Fluten geistiger Anregung die nach der mehr den 10jährigen Abgeschlossenheit auf uns, Ausgehungerte, einstürmen. (Bücher aller Sprachen, Filme, Musik, wissenschaftliche Errungenschaften) Weiter von Menschen die wieder auftauchen nach langer Abwesenheit, leiblich, oder Briefe von Ih ihnen. Von den Problemen die die verstörte und entgleiste Jugend uns aufbürdet - der wir mehr Zeit und Energie zuwenden müssen (oder wenigstens mussten) als man es, oder wenigstens sich, es sonst wohl getan hatte. Von dem eigenen Schaffenstrieb der so lange unterdrückt vegetierte und nun nicht zu bändigen ist. Und nicht zuletzt von dem täglichen Daseinskampf, der hier in Berlin von einer Härte ist wie ihn sich niemand ausserhalb dieser, aus dem absoluten Chaos sich nun wieder erhebenden Stadt, denken kann. Natürlich ist hier auch jeder gesundheitlich sehr geschwächt und auch ich kämpfe schwer. Angina pectoris. Lieber Richard Hülsenbeck, da haben Sie mir meiner Entschuldigung gleich einen kleinen Einblick in das heutige, überaus rege und überaus schwierige Berliner Leben. Dass Sie auch zum Maler geworden sind hat mich nicht erstaunt. Menschen mit viel Phantasie sind eben eigentlich überall zu Haus. Das Portrait: Hans Arp finde ich ganz hervorragend und darüber hinaus hat es mich sehr erschüttert. Tom und Beate H. sind Sohn und Tochter? Oder Sohn und Frau? Es war aus dem Katalog nicht zu ersehen. Gerne wüsste ich auch, was Ihre Schriftstellerei macht - in welcher Sprache Ihre Arbeiten geschrieben sind. Sie müssten doch den phantastischen Roman unserer Zeit geschrieben haben?? Wenn nicht, so erwarten wir ihn noch von Ihnen. Sollten Sie in diesem Jahr nach Europa kommen, so sollten Sie sich wirklich dieses »Monstrum Berlin« ansehen - es ist schon beeindruckend. Und bitte vergessen Sie dann nicht sich auch bei mir zu melden. Ich habe Telefon und wohne auch nicht im russischen Sektor. (Amerikaner meiden ihn ja) Ich lebe in einem kleinen Häuschen in einem grossen Garten, ganz allein (und das ist ein grosses Glück in Berlin.) Da ich hier, ausserhalb der Stadt, von den Bomben nicht getroffen worden bin und und auch von den Russen bei der Eroberung verschont worden bin, so habe ich alle meine Schätze retten können. Von den Dadasachen über Raritätenkabinett und Bibliothek bis zu meiner eigenen Arbeit, Garten u. Häuschen. Ich bin glücklich über jeden Faden, der mich noch mit den Menschen, mit denen irgendwann eine geistige Verbundenheit gewesen ist, verbindet. Zwölf Jahre eines unheimlichen Alleinseins in Angst, Not und Öde ist auch für einen Eigenbrödler wie ich es bin - viel - und hat hungrig auf die, die zeimlich seltenen, MENSCHEN gemacht. Und nun sind schon viele garnicht mehr. Mit Kurt Schwitters hat mich bis zuletzt eine gute Freundschaft verbunden. In dieser Woche hörte ich im Rundfunk auch Walter Mehring. (ich weiss nicht ob er hier zu Besuch ist, ich nehme an er lebt auch in New York?) Er las eigene, sehr schöne Gedichte - und sprach sie sehr gut. Es ist spät geworden. Ich schliesse deshalb und grüsse Sie sehr herzlich. Hannah Höch Berl.-Heiligensee An der Wildbahn 33 am 13.2.51 Tel. 459298"
Anzahl Teile/Umfang: 2 Blatt

Standort
Berlinische Galerie
Inventarnummer
BG-HHE III 51.40
Weitere Nummer(n)
BG-HHE III 51.40
Material/Technik
Papier, handgeschrieben/Kopie
Würdigung
Erworben aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

Ereignis
Herstellung
(wann)
13.2.1951

Letzte Aktualisierung
26.09.2024, 12:30 MESZ

Datenpartner

Dieses Objekt wird bereitgestellt von:
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Objekttyp

  • Brief; Korrespondenz

Entstanden

  • 13.2.1951

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