Was zur Hölle ist der Schembartlauf?

27.01.2025 Theresa Rodewald

Begleiten Sie uns auf eine Reise in die Vergangenheit, zu ausschweifenden Gelagen, tanzenden Metzgern und teuer erkauften Privilegien – zum Schembartlauf! Außerhalb Nürnbergs heute so gut wie vergessen, beleuchtet ein Blick zurück die spätmittelalterliche Gesellschaft an der Schwelle zur Frühen Neuzeit. Und tatsächlich spielt auch die Hölle dabei eine Rolle.

Lesezeit: ca. 12 Minuten

Schöne Bärte und schemenhafte Masken

Der Schembartlauf ist ein Faschingsumzug, der im spätmittelalterlichen Nürnberg stattfindet. Die Hintergründe und Deutungen des Schembartlaufs sind in der Forschung stark umstritten. So ist schon die Herkunft des Wortes unklar. Möglicherweise bezeichnet „Schembart“ eine Maske mit Bart, die auch Schönbart genannt wird und sich vom mittelhochdeutschen schemebart und dem frühneuhochdeutschen schemper herleitet. Allerdings werden beim Schembartlauf wohl Masken ohne Bart getragen. Ein weiterer Erklärungsversuch stellt eine Verbindung zwischen Schembart und scheinbar her – demnach wären Schembartläufer Scheinboten, die zur Karnevalszeit, wenn alle Regeln auf den Kopf gestellt sind, ihr Unwesen treiben.

Kostüme, Kamelle und Kölsch – oder was ist Karneval?

Schon Höhlenmalereien zeigen mit Tierfellen und Hörnern ver- bzw. bekleidete Menschen. Eine altbabylonische Inschrift aus der Zeit des Priesterkönigs Gudea verweist auf ein siebentägiges Fest, das nach Neujahr gefeiert wird und während dem „die Sklavin der Herrin gleichgestellt und der Sklave an seines Herrn Seite [ist]. Die Mächtige und der Niedere sind gleichgeachtet.“ Diese rituelle Verkehrung gesellschaftlicher Machtverhältnisse gibt es außerdem im Alten Ägypten zu Ehren der Göttin Isis, im antiken Griechenland zu Ehren des Dionysus (genannt Dionysien) und bei den Römern zu Ehren des Saturn (Saturnalien).

Auf dem Holzweg? Saturnalien und Wintervertreibungen

Während der Saturnalien finden öffentlich Essgelage, Trinkgelage und Umzüge mit prächtig geschmückten Wagen statt. Versklavte tauschen mit ihren Besitzenden die Rollen, dürfen sagen, was ihnen in den Sinn kommt und am gleichen Tisch essen. Der Regelbruch ist festgelegt, begrenzt und damit kontrollierbar. Für kurze Zeit herrscht so etwas wie Gleichheit.
 

Dass sich Faschingsbräuche allein von den Saturnalien herleiten, wird heute stark angezweifelt. Unabhängig vom römischen Einfluss feiern wohl auch keltische und germanische Stämme den Übergang vom Winter zum Frühling mit Verkleidungen, Maskierungen und Ausschweifungen.  Dass Fastnachtsbräuche sich (nahezu) ununterbrochen von vorchristlicher Zeit, über das Mittelalter bis in die Neuzeit fortsetzen, ist heute allerdings ebenfalls umstritten (und war als sogenannte Kontinuitätstheorie bei den Nationalsozialisten sehr beliebt). Möglicherweise zelebrieren Griechen, Römer und einzelne germanische Stämme fastnachtsähnliche Bräuche, die dann in Vergessenheit geraten und ab dem späten Mittelalter in neuer und ganz eigener Form stattfinden.

Auf kirchlichen Pfaden: Fastenzeit und Narrenfeste

Das scheint zumindest für den Schembartlauf der Fall zu sein. Belegt ist der Faschingsumzug von 1449 bis 1524/39, also für den Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Während die keltischen und germanischen Bräuche feierlich den Winter vertreiben und die Saturnalien im Dezember stattfinden, geht es bei Faschings-, Fastnachts- und Karnevalsbräuchen um den nahenden Beginn der christlichen Fastenzeit.

Der Begriff „Karneval“ ist relativ jung, es gibt ihn circa seit Ende des 17. Jahrhunderts. Er leitet sich möglicherweise vom lateinischen carnem levare ab, was übersetzt so viel heißt wie „Fleisch wegnehmen“ und bezieht sich damit auf die fleischlose Fastenzeit.  Älter ist das Wort „Fastnacht“. Es ist schon für das Jahr 1200 belegt und bezeichnet (recht eindeutig) die Nacht vor der beginnenden Fastenzeit. Der „Fasching“ geht auf den Fastenschank, also den letzten Ausschank von Alkohol vor Beginn der Fastenzeit zurück und ist ebenfalls schon seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlich.

Ein möglicher Verwandter des Faschings ist das Narrenfest, das im mittelalterlichen Europa vielerorts zu Epiphanias begangen wird, dem Fest der Drei Heiligen Könige am 6. Januar.. Ähnlich wie bei den Saturnalien tauschen hier hoher und unterer Klerus die Rollen. Kirchliche Rituale werden mit sogenannten Narren- und Eselsmessen öffentlich parodiert. Kinder werden zu Bischöfen gewählt und Kritik an der Kirche kann ungeahndet geäußert werden. In der „Narrenmesse“ werden kirchliche Texte frivol, unflätig und blasphemisch umgedichtet – und es finden Umzüge statt.

Damit zurück zum Schembartlauf. Vorläufer des Schembartlaufs ist möglicherweise der Nürnberger Metzgertanz. Handwerkertänze gab es auch in anderen Städten. Dabei bilden die Tanzenden lange Ketten und halten sich an den Händen oder (was öfters der Fall war) sind über Wurstzipfel, Schwerter oder andere, ihrem Handwerk entsprechende Objekte, miteinander verbunden.

In Nürnberg halten angeblich die Metzger während des Handwerkeraufstands von 1348 dem Rat der Stadt als einzige Zunft die Treue und werden daraufhin mit einem Tanz- und Maskenprivileg belohnt. Einer anderen Erklärung zufolge dürfen die Metzger während der Fastenzeit kein Fleisch verkaufen, haben keine Einnahmen und werden deshalb vom Rat mit einem Maskenprivileg bedacht. Sich maskieren oder verkleiden zu können bedeutet buchstäblich, die eigene Identität zu verbergen und sich deshalb aufsässiger, unflätiger und kritischer äußern zu können – Masken- und Tanzprivilegien sind also keine Selbstverständlichkeit.

Der Schembartlauf übernimmt Tanz- und Maskierung, ist aber kein Handwerkertanz, sondern eine Veranstaltung der Patrizier – also der alteingesessenen, gutbetuchten Oberschicht der Stadt Nürnberg. Wahrscheinlich erkaufen sich die Patrizier die für den Umzug nötigen Privilegien und marschieren dann in Gegenrichtung zum Handwerkertanz durch die Stadt. 

Kostüme und Figuren 

Die Kostüme der Schembartläufer zeugen vom wirtschaftlichen Wohlstand ihrer Träger*innen. Sie sind aus kostbaren Stoffen gefertigt und aufwändig in der Herstellung.

Die Schembarttänzer tragen enganliegende Kleidung, die senkrecht in verschiedene Farben aufgeteilt ist. Diese farbliche Teilung der Kleidung ist auch als „Mi-Parti“ bekannt. Der Ausdruck stammt aus dem Französischen und bedeutet halb oder geteilt. In der Regel sind die rechte und die linke Körperhälfte farblich getrennt – heute ist dieser Stil nur noch als Teil des Narrenkostüms erhalten. Im Mittelalter ist er modisch der letzte Schrei und geht wahrscheinlich auf die byzantinische Prinzessin Theophanu zurück, die als Gemahlin von Otto II. um 972 eine  Vorliebe für kostbare, bunte Stoffe aus Byzanz nach Europa bringt.

Die Schembartläufer tragen dazu Schellen, Schnabelschuhe, Hüte und hölzerne Gesichtsmasken. Außerdem sind die Kostüme wohl teilweise so obszön, dass der Rat einschreiten und das exzessive Darstellen männlicher Geschlechtsorgane unterbinden muss. Begleitet werden die Schembartläufer von Einzelfiguren wie dem wilden Mann, dem alten Weib und Teufels-, Tier- und Narrengestalten – sie alle verbindet ihre Lasterhaftigkeit. Auch hier findet eine bewusste und freudige Umkehrung von kirchlicher bzw. gottgewollter Ordnung, gesellschaftlichen Hierarchen und christlichem Weltbild statt. Kritik an der Kirche und ihrem Ablasshandel übt unverblümt zum Beispiel die Figur des Ablasskrämers.

Die Figuren des Schembartlaufs weisen Ähnlichkeiten mit Fastnachtsfiguren aus anderen Regionen auf. Wie die Schembartläufer trägt beispielsweise auch der Schwäbisch-Alemannische Weißnarr oder der Donaueschinger Hansel eine Holzmaske (oder „Larve“) und Schellen. Auch wilde Männer, alte Weiber und Teufel tauchen in anderen Faschingsumzügen auf.

Ab 1475 werden die Figuren und Tänzer durch prachtvoll geschmückte Umzugswagen, sogenannte „Höllen“ verstärkt. Auch diese stellen teuflische und lasterhafte Themen dar. Dabei bedienen sie sich jener Bildsprache, die auch Kirche und Prediger verwenden und zeigen Narrenschiffe, babylonische Türme, Venusfallen, Drachen oder Kampfelefanten.

Spielverderberin  Reformation

Am 31. Oktober 1517 schlägt ein Augustinermönch 95 Thesen zum Ablasshandel an die Türen der Wittenberger Schlosskirche – oder vielleicht auch nicht, denn heute ist die historische Authentizität dieser Szene umstritten. Egal, ob Martin Luther seine Thesen tatsächlich an die Schlosskirche hämmerte – die Reformation ist in den 1520er-Jahren in vollem Gange . Der Reichstag von Speyer überlässt es 1526 den Reichsständen, sich für oder gegen den Protestantismus zu stellen. Vor allem in Städten finden reformatorische Ideen bei Bürgertum und Patriziern Anklang. Nürnberg ist 1524/25 eine der ersten Städte und mit den Herzogtümern Preußen, Köthen-Anhalt, Ansbach und Bayreuth eines der ersten Gebiete überhaupt, das die Reformation einführt.

Für den Schembartlauf bedeutet diese religionspolitische Entwicklung allerdings nichts Gutes – er wird kurzerhand verboten. Die Reformation steht dem Fasching skeptisch gegenüber, und bis heute wird die „fünfte Jahreszeit“ in traditionell protestantischen Gegenden Deutschlands weniger (oder gar nicht) gefeiert. Grund dafür sind nicht unbedingt klischeehaft strenge, humorfeindliche Moralvorstellungen, sondern die protestantische Betonung der persönlichen Beziehung zu Gott. Die Grundsätze von solus Christus, sola gratia, sola fide und sola scriptura (allein durch Jesus, durch Gnade, durch Glauben und durch die Schrift) bedeuten auch, dass viele Aktivitäten, Feiertage und Traditionen der (katholischen) Kirche als überflüssig erklärt werden. Martin Luther selbst lehnt die vorgeschriebene Fastenzeit und damit auch den Fasching ab – Fasten solle kein Heilsversprechen mit sich bringen, sondern eine persönliche Entscheidung der Gläubigen sein. Gleichzeitig steht er aber auch den karnevalesken Zügellosigkeiten kritisch gegenüber – Moral spielt also doch eine Rolle.

1439 initiieren konservative Patrizier noch einmal einen Schembartlauf, der als Plattform für Reformationskritik und ein Verhohnepipeln des Nürnberger Predigers Osiander genutzt wird. Das beendet die Tradition des Schembarlaufs endgültig. Mehr als 500 Jahre später, im Jahr 1974, gründet sich die Nürnberger Schembart-Gesellschaft, die gelegentlich Umzüge veranstaltet, vor allem aber mittelalterliche und Renaissance-Kultur pflegt.

Die Kostüme des Schembartlaufs sind dank zahlreicher Schembartschriften gut dokumentiert. Diese reich bebilderten und kostbaren Handschriften entstehen allesamt nach dem vorläufigen und vollständigen Ende des Schembartlaufs – die älteste Schrift ist von 1525, die jüngste  aus dem 18. Jahrhundert.

Wenn Sie also noch keine Idee für ein Karnevals- oder Faschingskostüm haben, dann blättern Sie doch einmal durch die digitalisierten Schembartschriften. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Kartenhaus, einem Kostüm aus Kastanien oder aus Kiefernäpfeln?

Damit: Helau, Alaaf, Ahoi oder Rucki Zucki Olé (wie man wohl in Angermünde zu sagen pflegt) und ein frohes Faschingsfest!

 

Quellen

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schembartlauf und https://de.wikipedia.org/wiki/Karneval,_Fastnacht_und_Fasching

Jürgen Küster: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/N%C3%BCrnberger_Schembartlauf 

Mittelalterlexikon: https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Schembartlauf und https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Mi-parti

Nürnberger Schembart Gesellschaft: https://www.schembart.de/2024/04/10/schembartlauf-einordnung/ 

BR: https://www.br.de/nachrichten/bayern/lebendiges-faschingsbrauchtum-schembartlaeufer-gesucht,U1nNSkL 

National Geographic: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/02/wissen-kultur-fakten-ueber-fasching-fastnacht-karneval

Erzbistum Köln: https://www.erzbistum-koeln.de/presse_und_medien/magazin/Karneval-Ursprung-Bedeutung-und-Brauchtum-des-Karnevals 

Evangelische Kirche in Deutschland: https://www.ekd.de/fastnacht-und-die-christlichen-wurzeln-karneval-luther-43925.htm 

Etymologisches Wörterbuch: https://www.dwds.de/wb/etymwb/Schembart 

Stadtarchive Nürnburg: https://stadtarchive-metropolregion-nuernberg.de/nuernberg-als-fastnachtshochburg-der-schembartlauf/

Blog des Deutschen Historischen Museums: https://www.dhm.de/blog/2018/02/08/karneval/ 

Bundeszentrale für politische Bildung: ormation/234691/stationen-der-deutschen-reformationsgeschichte/ 

 

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