Stollen: Von Brot, Privilegien und Weihnachtszauber

05.12.2024 Theresa Rodewald

Mit Rosinen, Orangeat und Zitronat… oder ohne; manchmal mit Mohn oder Marzipan, immer mit viel Butter und Puderzucker – Stollen auf dem Tisch gehört in Deutschland vielerorts zu Weihnachten wie Glühwein in der Tasse und Lametta am Baum. Die Geschichte dieses gehaltvollen Gebäcks ist eine bewegte – sie erzählt von Bäckereihandwerk, Reichtum und regionalem Stolz.

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Mächtige Pfosten und namensgebende Striezel

Die Herkunft des Wortes „Stollen“ ist unklar. Möglicherweise leitet es sich vom germanischen stulno ab, was so viel wie „groß und mächtig“ bedeutet und zum gehaltvollen, schweren Hefeteig des Stollens passt. Eine Suche in der Deutschen Digitalen Bibliothek fördert neben Gebäck auch Objekte zum Bergbau zutage. Passend dazu besagt eine weitere Theorie, der Begriff „Stollen“ gehe auf das althochdeutsche Wort stollo zurück, was Pfosten oder Stütze bedeutet. Angeblich schätzten Bergleute den Stollen für seine lange Haltbarkeit und aßen ihn gerne im Stollen bei der Arbeit.

In Sachsen wird der Stollen auch Striezel genannt, wobei das Wort Striezel auch allgemein Gebäck aus Hefeteig bezeichnet. Als Striezel leiht der Stollen dem ältesten, urkundlich bestätigten Weihnachtsmarkt Deutschlands, dem seit 1443 stattfindenden Dresdner Striezelmarkt seinen Namen.

Privilegien, Abgaben und gebildetes Brot

Abseits etymologischer Pfade reichen die historischen Wurzeln des Stollens bis ins Hochmittelalter zurück. Zuerst erwähnt wird das Gebäck im Innungsprivileg für die Naumburger Bäckereiinnung. Im Gegenzug für das Privileg verpflichteten sich die Bäckersleute neben Geldabgaben auch dazu, jedes Jahr an Heilig Abend „zwey lange weyssene Brothe, die man Stollen nennet“ an den Bischof abzugeben. Die Weißbrote haben mit dem heutigen Stollen zwar wenig zu tun, waren zu jener Zeit aber nichtsdestotrotz ein großer Luxus.

 

 

Gelegentlich wird auch vermutet, der Stollen sei auf das keltische Opferbrot zurückzuführen. Demzufolge hätten Klosterbäckereien die keltische Tradition übernommen und an Festtagen Brot gebacken, was mit der Zeit zu Weihnachtgebäck wie Stollen und Früchtebrot führte. Belegt ist diese Theorie allerdings nicht.

Der Stollen zählt zu den sogenannten „Gebildebroten“. Der Begriff bezeichnet Gebäck in Form von menschlichen oder tierischen Figuren (z. B. Hasen oder Weckmänner) oder kunstvoll geflochtenen Teig (Brezeln, Zöpfe, etc.). Gebildebrote wurden vornehmlich an christlichen Festtagen zubereitet und verspeist. Aber zurück zum Stollen: Dessen Form und puderzuckerweiße Farbe soll an den Leib des gewickelten Christuskindes erinnern.

Umstrittene Zutaten und ein Stollenmonopol

Neben Naumburg gelten auch Torgau (hier soll ein Hofbäcker als erster die Idee gehabt haben, Nüsse und Früchte in den Stollen zu geben) sowie Siebenlehn als historisch bedeutende Stollenstädte. Nach Dresden ist das Rezept wohl erst im 17. Jahrhundert, während des Dreißigjährigen Krieges, gekommen.

Zur Weihnachtszeit schenkten also Bäckersleute aus den verschiedenen Regionen dem Dresdener Adel Stollen. Dies führte zu Konkurrenz, die teilweise wohl in gewaltsamen Auseinandersetzungen eskalierte und als Stollenkrieg Einzug in die Geschichtsbücher hielt. Der Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen erteilte schließlich den Dresdner Bäckereien ein Stollenmonopol – sie allein durften Stollen an den kurfürstlichen Hof liefern. Außerdem war Bäckersleuten aus anderen Regionen während des Striezelmarktes das Betreten der Stadt verboten.

Wie viele andere Produkte der Weihnachtsbäckerei ist der Stollen ein Lagergebäck, das erst nach einer Ruhezeit von mindestens drei Wochen sein volles Aroma entfaltet und bei richtiger Lagerung monatelang haltbar ist. Der Stollen konnte deshalb schon vor der weihnachtlichen Fastenzeit gebacken werden. Es sind übrigens die zahlreichen Schichten aus Butter und Zucker, die den Stollen haltbar machen. Die Verwendung von Butter ist erst seit 1491 erlaubt, dafür aber sehr offiziell per päpstlichem Dekret von Innozenz VIII – vorher verstieß die Verwendung von Butter gegen das adventliche Fastengebot. Im Gegenzug musste Sachsen jährlich Geld für den Wiederaufbau des Freiberger Doms zahlen.

So gelangte also die Butter in den Stollen. Gewürze, Trockenfrüchte und Zucker kamen erst wesentlich später dazu: mit den kolonialen „Entdeckungsreisen“ der frühen Neuzeit und der damit verbundenen Etablierung von Seehandelswegen (mehr zum Thema erfahren Sie in unserem Artikel über Lebkuchen). Zucker, Nüsse und kandierte Früchte sind zunächst so teuer, dass ihr Genuss nur sehr wenigen Menschen vorbehalten ist. Im 15. Jahrhundert kosten drei Kilogramm Zucker wohl so viel wie ein Rind. 1730 lässt August der Starke von Sachsen bei einer Truppenschau angeblich einen Riesenstollen servieren – als Zeichen seines Reichtums.

Mit der gewaltsamen Unterwerfung und Besetzung von Gebieten, in denen Gewürze angebaut werden und mit der Errichtung von Zuckerrohrplantagen in der Karibik, werden die Zutaten für Weihnachtsgebäck in Europa erschwinglich. Zeitgleich mit der Etablierung und Popularisierung von Weihnachtstraditionen können sich auch bürgerliche Haushalte die begehrten Zutaten leisten.

Ein sächsisches Gebäck und sein norddeutscher Verwandter

Trotz internationaler Zutaten hat der Stollen den Ruf eines durch und durch sächsischen Gebäcks mit Dresden als mehr oder weniger offiziellen Hauptstadt des Stollens. Dresdner Stollen ist seit 1996 ein geografisch geschützter Begriff – das setzte der Schutzverband Dresdner Stollen e. V. durch. Nur Stollen aus zertifizierten Bäckereien in und um Dresden darf diesen Namen tragen. Die Rezeptur ist in der Satzung des Schutzverbandes festgelegt wird bei der jährlichen Stollenprüfung einer strengen Geschmacks-, Geruchs- und Qualitätskontrolle unterzogen.

Doch stollenähnliches Gebäck gibt es auch in anderen Regionen Deutschlands. Passend zum Seehandel zum Beispiel in Bremen. Der Bremer Klaben (oder Klaven) ist ebenfalls ein geografisch geschützter Begriff und darf sich nur so nennen, wenn er in der Region Bremen, Bremerhaven oder Verden hergestellt wurde.

Bis auf die großzügige Verwendung von Kardamom im Klaben, ähneln die Zutaten jenen des Stollens. Allerdings wird der Klaven nicht von Hand geformt, sondern in einer rechteckigen Form gebacken. Statt mit Butter und Puderzucker wird er nach dem Backen mit Ei bestrichen. Klaben/Klaven bezieht sich wohl auf klöben, was „inhaltsreich und schwer“ bedeutet oder auch mit Klumpen übersetzt werden kann, was wiederum zu Form und Gewicht des Gebäcks passt.

Familienrezepte und Stollenvariationen

In Naumburg wird der Stollen heute mit Kirschen statt Rosinen und Rosenwasser gebacken. Für alle, die Orangeat, Zitronat oder Rosinen nicht mögen, gibt es Mohn- und Marzipanstollen. Um zu verhindern, dass der Teig trocken wird, empfehlen einige Rezepte Quark – jede Stollenbackende Familie/Person hat ihre eigenen Tricks und Geheimnisse.

Oft bereitete man den Stollen zu Hause nach dem Familienrezept vor und brachte ihn dann zum Backen in die Bäckerei. Um die Stollen auseinanderhalten zu können markierte man das Gebäck mit einem sogenannten Stollenschild.

Ein klassisches Stollenrezept mit ein paar kleinen Überraschungen findet sich im Neuen Deutschen Kochbuch von Marie Susanne Kübler aus dem Jahr 1892.

Das Rezept lautet:

Man macht von 1 Liter mit 280 Gramm Butter vermischter Milch, 40 Gramm Hefen und dem benötigten Weizenmehl einen Vorteig, schafft, wenn er gegangen ist, 125 Gramm Zucker, 250 Gramm Weinbeeren (große Rosinen), 125 Gramm Korinthen, etwas geriebene Muskatnuss, abgeriebene Zitronenschale und Salz hinein, knetet davon mit weiterem Mehl einen steifen Teig, lässt ihn wieder gehen und dann kurz bevor die Semmel in den Ofen kommt, vom Bäcker noch tüchtig wirken und eine gehörige Form geben. Sobald sie gebacken ist, bestreicht man sie mit frischer Butter, bestreut sie mit Zucker und Zimt, besprengt sie mit Rosenwasser und streut nochmals Zucker darauf.

Guten Appetit und frohe Festtage!

Haben Sie Lust bekommen auf weitere historische Weihnachtsrezepte? Dann schauen Sie in unseren Artikel mit Backanleitungen für ordinäre Hippen, Mandelberge und anderen Leckereien!

Quellen

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Stollen_(Geb%C3%A4ck) und https://de.wikipedia.org/wiki/Bremer_Klaben  

NDR: https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Stollen-Was-macht-das-Weihnachtsgebaeck-so-besonders,christstollen156.html 

SZ: https://www.sueddeutsche.de/kultur/an-der-poststrasse-stollen-erstmals-in-einer-urkunde-in-naumburg-erwaehnt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-181111-99-763125 

https://www.dresdnerstollen.com/de/dresdner-christstollen

https://www.baecker-innung-bremen.de/bremer-klaben.html 

https://www.brotexperte.de/brothistorie/die-geschichte-des-christstollens/

https://www.evangelisch.de/inhalte/97358/08-12-2009 

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