Vor fünf Jahren haben wir mit der #rückblende89 an den 30. Jahrestag des Mauerfalls erinnert. Wir haben unsere Erinnerungen an die Zeit damals geteilt und diese Erinnerungen mit Fotografien aus der Datenbank der Deutschen Digitalen Bibliothek verknüpft. 

Die Erinnerungen stammen von den damaligen Kindern und (jungen) Erwachsenen. Erzählt werden sie von den Mitarbeiter*innen der Deutschen Digitalen Bibliothek und ihren Familien oder wurden per Email und auf den Social Media Kanälen zugesendet. Veröffentlicht werden sie anonym. 

Zum 35. Jahrestag des Mauerfalls möchten wir Ihnen die Erinnerungen erneut zu lesen geben und Sie fragen: Wie erinnern Sie sich an diese Zeit? Welche Geschichte möchten Sie erzählen?

 

Part I: Die Kinder erinnern sich

 

Alf, historische Zeiten und eine Orange

„Am Tag als die Mauer fiel, war ich zehn und wollte Alf im ZDF schauen. Mein Vater hat mir erklärt, warum das nicht geht und wieso ich mir anschauen soll, was stattdessen läuft. „Du lebst in historischen Zeiten“, hat er gesagt. Wir sind ein paar Wochen später nach Thüringen zu unserer Verwandtschaft gefahren, und ich war enttäuscht, dass die Grenzerin die Orange nicht wollte, die ich ihr durchs Autofenster anbot. Ich seh ihr gequältes Lächeln noch vor mir. Und ich denk an meinen Vater, der an der Grenze vermutlich auch häufig gequält gelächelt hat.“

Badewanne, Kuchen backen und ein Ausflug nach Berlin

„Donnerstag, 9. November 1989. Bin ein glückliches Kind; gerade zwölf. Freitag, 10. November 1989. Schule aus. Feierabend. Bin zu klein. Bleibe bei Omi. Denn Mama, Papi und D wollen mit dem Zug nach Berlin. Omi hat Angst. Weiß nicht warum. sie ruft ihnen aus dem Fenster auf dem Weg zum Bahnhof nach: Und was ist, wenn sie die Grenze wieder schließen?“ „Jetzt nicht mehr!“, oder so ähnlich, schallt Papis Stimme zurück durch die Neubaublöcke. Sonnabend, 11. November 1989. Badewanne, Kuchen backen, Karten spielen, Deutschlandfunk hören; denke ich. Denn so ist es oft, wenn ich bei Omi bin. Keine Nachricht aus Berlin; wie auch, ohne Telefon? Sonntag, 12. November 1989. Alle wieder zuhause; voller Geschichten, müde und glücklich. Omi lächelt. Und ich bin ein glückliches Kind.“

Sonderkost, Schlumpfklasse und Hummer zu Silvester

„Ich war erst vier Jahre alt als die Friedliche Revolution zum Mauerfall führte und kann daher nur im Rückblick bestimmte Veränderungen meiner kindlichen Wahrnehmung mit dem Ereignis in Verbindung bringen. Zunächst Umbenennungen allerorten: Der Kindergarten plötzlich das "Gorbitzer Früchtchen", statt der 138. Kindergarten Gorbitz-West, ich kam auch nicht in die Pioniersklasse, sondern in die 1. Schlumpfklasse und ohne mein Kinderzimmer zu wechseln, lebte ich in der Lise-Meitner-, statt Olga-Körner-Straße. Begraben des SED-Tonus. Hallen, statt Läden, in denen man einkaufen ging. Schlaraffenlandartiges Warenangebot und Menschmassen, die sich mit Wägen bedienten, wofür vorher ein Korb ausreichend war.  Alles roch süßlich und synthetisch – besonders das neue Auto, in dem mir deswegen immer wahnsinnig schlecht wurde. Das Rattern und Stinken unseres Trabis war mir da lange lieber gewesen. Den Renault erkannte ich wiederum immer gut in den Straßenzügen voller wert- und herrenlos gewordener einheitlicher Trabentenleichen.

Besonders erfreulich: es wurden überall Spielplätze gebaut – aus geschliffenem Holz mit Rutschen und Seilen und auf Sand! Je 4er Block an Platte (WBS 70-Klassiker) einer. Vorher gab es nur dieses rostige Gestänge im Kindergartenhof. Die Erzieherinnen im Kindergarten waren sich auch immer ziemlich sicher, dass mein "Joghurt mit der Ecke" verdorben sei und entsorgten ihn. Von meiner Mutter erfuhr ich später, dass Dresden besonders in den letzten Jahren der DDR in der Versorgung mit solcher "Sonderkost" besonders abgehängt war, so wussten viele wohl einfach nicht mehr, wie säuerlich, aber unbedenklich Joghurt schmeckt. Zu Silvester 1989 gab es dann Hummer und Weinbergschnecken – einfach, weil es ging und die Neugier groß war; essen wollte es dann keiner.“

Zu Part II: Die (jungen) Erwachsenen erinnern sich…

Zum Anfang der #rückblende89 – ein (vorläufiger?) Abschluss und vielen Dank für die Geschichten (veröffentlicht im Januar 2020)

Möchten Sie uns eine Erinnerung an die Zeit des Mauerfalls erzählen? Schreiben Sie uns an kommunikation [at] deutsche-digitale-bibliothek.de (wir arbeiten an einem dritten Part…)

 

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