Als Osten noch oben war: Historische Land- und Seekarten in der Deutschen Digitalen Bibliothek

04.09.2015 Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

„Norden ist oben“: Die heute selten hinterfragte Konvention auf Land- und Seekarten die Himmelsrichtung Norden am oberen Kartenrand zu definieren, ist tatsächlich eine relativ junge Handhabung: Denn erst mit der Renaissance und der Wiederentdeckung von Claudius Ptolemäus‘ Weltkarte aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. rückten Geografen davon ab, den Osten mit der heiligen Stadt Jerusalem an den oberen Kartenrand zu zeichnen.

Ptolemäus, griechischer Mathematiker und Astronom, hatte für seine Berechnungen den nördlichen Polarstern als Fixpunkt verwendet und die Erdoberfläche auf eine Ebene projiziert; als Breitengrade verwendete er gekrümmte Linien. Seine Abbildung der Welt wurde später, nach der Entdeckung Amerikas, verbessert und letztlich zum Standard. Ptolemäus‘ Definition der Breitengrade, des Äquators bei 0° und die der Pole bei +-90° ist noch heute gültig. Wie wichtig der Orient bis dahin war, zeigt auch die etymologische Herkunft des Wortes „Orientierung“: Der Orient war maßgebend. Das zeigt sich in den Wörtern ebenso wie in der Geschichte der Kartographie.

An dem historischen Kartenmaterial in der Deutschen Digitalen Bibliothek kann man verschiedene kartographische Aspekte studieren: Landkarten, Seekarten, Atlanten und geographische Schulwandbilder von Datenpartnern wie der SLUB Dresden und der Deutschen Fotothek, dem Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung oder kleineren Institutionen wie dem Sylter Heimatmuseum zeigen die  Entwicklung der Kartographie ebenso wie die politischen Dimensionen von Kartenmaterial.

Die handgezeichnete Seekarte von 1568 bildet die Straße von Mosambik inklusive Madagaskar und der Seychellen ab – sie gehört zu den sogenannten „Portolankarten“. Portolankarten existieren seit Ende des 13. Jahrhunderts und hängen mit dem Aufkommen des Schiffskompasses zusammen. Anstelle der Längen- und Breitengrade findet man auf ihnen ein regelmäßiges Netz der weitergeführten Linien der 16teiligen Windrose. Diese auf Pergament gezeichneten Seekarten halten sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts.

Die Kartenvervielfältigung via Kupferstich kam Ende des 15. Jahrhunderts auf und hielt sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, wo er von der Lithographie abgelöst wurde. Nur bei der Herstellung von Seekarten wurde der Kupferstich noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet, da hier die Auflagen relativ gering waren. Der berühmte „Stielers Handatlas“ wurde in der achten Ausgabe des späten 19. Jahrhunderts noch als Kupferdruck hergestellt und per Hand koloriert, bevor die neunte Ausgabe (1901 – 1905) als Lithographie veröffentlicht wurde – dies halbierte den Preis des Atlasses und machte ihn einer breiteren Öffentlichkeit verfügbar.

In seinem Buch „Karten!“ schreibt Autor Simon Garfield, dass „Karten … Zeugen unserer Menschlichkeit“ seien. „Sie stehen in engem Zusammenhang mit unserer Geschichte und ordnen diese immer wieder neu, wobei sie unsere besten wie auch schlechtesten Eigenschaften widerspiegeln (Entdeckergeist und Neugier, Streit und Zerstörung). Darüber hinaus dienen sie als Belege für die sich fortwährend verändernden Machtstrukturen“ (S. 17/18).

Die folgende satirische Landkarte Europas während des Ersten Weltkrieges verbildlicht diese Aussage. Ihr Titel: „Ein Dokument der Perfidität Albions“. Sie zeigt verschiedene Nationen in symbolischen Tierdarstellungen wie beispielsweise Deutschland als Adler. Thematisiert werden hier die verschiedenen Haltungen - attackierend, beobachtend, abwehrend - der Nationen zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Die ursprünglich in England gedruckte und vertriebene Grafik wird in ihrer deutschen Ausgabe im Verlag W. Nöltings als Zeichen der "Perfidität Albions", also der "hinterlistigen" Politik Englands betitelt.

Ohne den von Simon Garfield erwähnten Entdeckergeist hätte es die nächste Karte nicht gegeben: Ein „Facsimilie-Atlas“ von Adolf Erik Nordenskiöld von 1889.

Nordenskiöld war der erste Seefahrer, der 1878/79 die berüchtigte Nordostpassage bezwang: Der Seeweg, der an den Nordküsten Europas und Asiens entlangführt vom Weißen Meer bis zur Beringstraße. Seine „Vega Expedition“ war die erste, die auf der Nordroute bis nach Japan gelangte. Nordenskiöld veröffentlichte nach seiner Rückkehr eine Vielzahl an Atlanten und Kartenmaterial, welches heute in der Universitätsbibliothek Helsinki zu finden ist als Teil der UNESCO-Liste des Weltdokumentenerbes „Memory of the World“.

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