Text | Theaterzettel

Der Erbförster

Der Erbförster

Digitalisierung: DE-2208 - Thüringisches Hauptstaatsarchiv

Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International

Umfang
140
Anmerkungen
Die Deutsche Schaubühne, Bd. 10 (1869), Heft 7, S. 66f.: „Mit ganz besonderer Theilnahme begrüßten wir am 1. Mai die Wiederaufnahme von Otto Ludwig’s „Erbförster“, der wohl ein ganzes Jahrzehnt lang nicht mehr über unsere Bühne gegangen war. Je gewöhnlicher und unbedeutender die Lebenssphäre, in welcher sich dies Stück bewegt, desto gewaltiger offenbart sich die tragische Kraft des genialen Dichters, die uns von der ersten bis zur letzten Scene der fesselnden, mit meisterhafter Technik aufgebauten Handlung in athemloser Spannung erhält und in den gipfelnden Situationen bis in die tiefste Seele hinein erschüttert. Die Charakterzeichnung seines Helden, dieses einfachen, auf beschränktester Bildungsstufe stehenden und doch durch seine sittliche Kraft imponirenden Naturmenschen, der im starrsinnig festgehaltenen Glauben an die Geltung seines Idealrechts und in dessen verzweifelter, sein und seiner Familie ganzes Lebensglück rücksichtslos aufs Spiel setzender Vertheidigung zu Grunde geht, ist ebenso wie die aller übrigen Personen in ihrer ergreifenden Lebenswahrheit eine bewundernswürdige. Hr. Lehfeld wußte diesem eigengearteten Mischcharakter von guten und bösen Eigenschaften die lebendigste, ausdrucksvollste Verkörperung zu geben und hat mit dieser wahrhaft künstlerisch durchgeführten Leistung aufs Neue bewiesen, daß er in jener Gattung von Charakteren, die seiner aufs Derbe, Schroffe, Trotzige und Gewaltsame angelegten geistigen wie persönlichen Individualität entsprechen, ein wirklicher Meisterdarsteller zu sein vermag, während ihm feigherzige, schleichende, hinterlistige Bösewichte wie Franz Moor und König Johann schon mehr [,] oder weniger geschmeidige, zungenfertige, haarspaltende Dialektiker wie Mephistopheles aber fast ganz und gar widerstreben. Der Lehfeld’schen Meisterdarstellung des „Erbförsters“ reihte sich [an] als würdiges Seitenstück […] die des vergrämten und verbissenen Holzhüters Weiler durch Hrn. Knopp, einen unsrer verdienstvollsten Künstler, der in Oper und Schauspiel mit gleichem Erfolg verwendbar neben seinen trefflichen Leistungen als Tenorbuffo, von denen jüngst wieder sein charakteristischer Bandit Barbarino [in „Stradella“], sein ergötzlicher Pachter Dickson [in „Die weiße Dame“] Zeugniß gaben, eine erstaunliche Vielseitigkeit und proteusartige Verwandlungsfähigkeit im chargirten Fach an den Tag legt. Nächstdem war auch der verlumpte Buchjäger des Hrn. Donald, eines ebenfalls sehr verwendbaren jüngern Mitgliedes unserer Bühne, das in der verständnißvollen Lösung seiner Aufgaben, wie jüngst Gefängnißinspektor Friedheim [in „Das Gefängnis“] und Chevalier von Rapinière [in „Die Memoiren des Teufels], die in seinem frühern Karlsruher Engagement genossene gediegene Schule Emil Devrient’s erkennen läßt, eine hervorragende Leistung. Nicht minder der mit energischem Ausdruck, namentlich im brennenden Schmerzgefühl über die erlittene persönliche Schmach, gespielte Försterssohn Andres des Hrn. Barnay, der überhaupt in der Bewältigung realistischer Aufgaben wie Doktor Hagen [in „Das Gefängnis“], Richard von Kerbriant [(eigentl. Kerbriand) in „Feen-Hände“], Bastard Faulconbridge [in „König Johann“] ungleich glücklicher ist als in der idealer Gestalten, wie Karl Moor und Faust, die an poetischer Vertiefung und schwungvollem Pathos noch Manches zu wünschen übrig ließen. Für die empfindsame Försterstochter Marie, die der Dichter in ihrer träumerischen Gefühlsweichheit und hingebenden Liebe zum Vater so wunderbar zart und innig gezeichnet, hätten wir Frl. Charles, ebenso wie für die leidenschaftliche Holtei-Bürger’sche Lenore [in „Lenore“], mehr seelische Ergriffenheit gewünscht. Von der übrigen Besetzung haben wir noch mit Anerkennung Fr. Lehfeld als Försterin, Hrn. Kroeter, der in letzter Zeit erhebliche Fortschritte, namentlich auch in der mit Feuer, Schwung und doch künstlerischem Maß gespielten Rolle des Kosinsky [in „Die Räuber“] bekundete, als jüngster Försterssohn Wilhelm, die Herren Schmidt und Savits als Gutsbesitzer Stein und Sohn, Hrn. Cabus als Großbauer Wilkens, die Herren Hettstedt und Piquardt als Wilddiebe, Hrn. Schmeißer als Wirth von der Grenzschenke zu erwähnen. Die Rollen des Pastors (Hr. Podolsky) und des Buchhalters Möller (Hr. Höfer) hätten wir lieber gewechselt gesehen. Ensemble und Inscenirung des Stückes waren in jeder Beziehung des Dichters würdig, dessen hervorragendes dramatisches Genie sich mit dieser Aufführung, die zu den vorzüglichsten der hiesigen Bühne zählt, einmal wieder so recht überzeugend offenbarte und uns den lebhaften Wunsch nach einer Darstellung auch seiner „Makkabäer“ erweckte, der freilich bei dem überaus zahlreichen Personalbedürfniß dieser großen historischen Tragödie kaum erfüllbar sein dürfte.“ Der Wunsch des Rezensenten erfüllte sich zwei Jahre später doch: zum ersten Mal aufgeführt wurden „Die Makkabäer“ am 16. April 1871.
Standort
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen

Urheber
Erschienen
1869-05-01

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URN
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Letzte Aktualisierung
21.04.2023, 10:52 MESZ

Objekttyp


  • Theaterzettel ; Text

Beteiligte


Entstanden


  • 1869-05-01

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