Bestand
C Rep. 368 Kollegium der Rechtsanwälte Berlin (Bestand)
Vorwort: C Rep. 368 Kollegium der Rechtsanwälte Berlin
1. Behördengeschichte
1.1. Aufgaben und Organisation des Kollegiums
Mit der Verordnung über die Bildung von Kollegien der Rechtsanwälte vom 15.Mai 1953 wurde die gesetzliche Grundlage für die Neustrukturierung und Kollektivierung der Rechtsanwaltschaft in der DDR geschaffen.
Bis Ende 1954 existierten in allen Bezirken der DDR solche Kollegien. Neben diesen konnten, wenn auch in sehr geringer Zahl, Einzelanwälte praktizieren.
Alle Kollegien unterstanden der Kontrolle durch das Ministerium der Justiz, welches auch die Aufnahme neuer Mitglieder steuerte und somit die Möglichkeit hatte, in die direkte Personalpolitik der Kollegien einzugreifen.
Aufgrund der genannten Verordnung und dem dazugehörigen Musterstatut konstituierte sich am 30.Mai 1953 das Rechtsanwaltskollegium von Groß-Berlin.
Das höchste Gremium des Kollegiums bildete die regelmäßig tagende Mitgliederversammlung, welche für jeweils zwei Jahre das Revisionskomitee und den Vorstand wählte. Der Vorstand übte auch die Disziplinaraufsicht aus.
Die Vorstandsvorsitzenden des Kollegiums von 1953 bis 1990 waren:
" 1953-1954 Rechtsanwalt Dr. Ernst Brunner
" 1954-1970 Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff
" 1970-1984 Rechtsanwalt Gerhard Häusler
" 1984-1988 Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff
" 1988-1989 Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi
" 1990 Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff
Seit 1957 war der Vorsitzende des Berliner Kollegiums gleichzeitig Vorsitzender des Rates der Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte der DDR.
Von Beginn an hatte der Vorstand seinen Sitz im Justizgebäude Littenstrasse in
Berlin-Mitte, zunächst in Nr.16/17, später dann in Nr.14/15.
In diesem Gebäude waren auch das Oberste Gericht der DDR, der Militärstaatsanwalt der DDR, das Stadtgericht Berlin, der Generalstaatsanwalt von Berlin sowie die Stadtbezirksgerichte Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain untergebracht.
Zu den Aufgaben der Mitglieder des Kollegiums gehörten unter anderem die juristische Beratung von Bürgern in allen Rechtsangelegenheiten, die Verteidigung von Beschuldigten und Angeklagten in Strafverfahren, die Vertretung von Bürgern vor staatlichen Gerichten in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtsangelegenheiten sowie in Verfahren vor dem Staatlichen Notariat. Auch die außergerichtliche Vertretung von Bürgern und die Erteilung von Rechtsauskünften gehörte zu den Aufgaben der Mitglieder.
Innerhalb des Kollegiums lagen die Schwerpunkte bei der politischen Erziehung der Mitglieder, deren fachlicher Qualifizierung und deren Versorgung im Alter und bei Arbeitsunfähigkeit.
Neben der Hauptstelle, in welcher der Vorstand seine Arbeit verrichtete, gab es in den einzelnen Stadtbezirken Zweigstellen, in denen meist vier Rechtsanwälte des Kollegiums praktizierten und ihre Sprechstunden abhielten.
Arbeiteten 1953 lediglich vierundzwanzig Anwälte in acht Zweigstellen in den Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Pankow, Treptow und Weissensee, so waren es 1990 über sechzig Anwälte in siebzehn Zweigstellen in den genannten Stadtbezirken sowie in Lichtenberg, Marzahn und Köpenick.
1.2. Die Arbeit des Kollegiums
Die Gründung des Kollegiums fiel in eine Zeit großer gesellschaftlicher Probleme in der DDR. Wenige Tage nach der Gründungsversammlung kam es zu den Arbeitererhebungen im Juni 1953, in deren Folge einzelne Mitglieder des Kollegiums, unter anderem Dr. Friedrich Wolff, erste Mandate zur Verteidigung von Beschuldigten und Angeklagten übernahmen.
Diese Mandatsflut spiegelte sich deutlich in der finanziellen Entwicklung des Kollegiums wider. Die durchschnittlichen Bruttoeinnahmen der einzelnen Anwälte stiegen von 703 Mark im Juni 1953 auf 1215 Mark im Juli 1953.
In dieser Zeit spielte auch der sogenannte "Neue Kurs" der SED bzw. die Verwirklichung der darin enthaltenden Beschlüsse eine zentrale Rolle im Kollegium. Man war sich einig, "die Politik der Regierung der DDR mit allen Kräften zu unterstützen, dazu beizutragen, das Vertrauen zwischen Bevölkerung, Regierung und unseren Staatsorganen zu stärken."
Dem Kollegium gelang es in diesen frühen Jahren, sich zu behaupten und zu etablieren. Durch vermehrte Übernahme von Aufträgen und Betreuungen von Betrieben stiegen die Einnahmen und das Kollegium war in der Lage, verschiedene Fonds für die Mitglieder einzurichten.
Im Juli 1954 trat Dr. Brunner von seinem Amt als Vorsitzender des Kollegiums zurück. Er erhielt durch den Magistrat von Groß-Berlin die Berufung an das Stadtgericht Berlin, zu dessen Direktor er wenig später avancierte. Nachfolger Brunners wurde Friedrich Wolff, der schon das Initiativkomitee zur Gründung des Kollegiums leitete und dabei eine herausragende Rolle spielte.
Die Institutionalisierung des Kollegiums zeigte sich jetzt in regelmäßigen Zweigstellenrevisionen und Rentabilitätsprüfungen. Die Anwälte unterlagen einer stärkeren Kontrolle, und Disziplinarmaßnahmen von Seiten des Vorstandes nahmen zu. Vor allem Mandate mit Beteiligung West-Berliner Bürger und Einrichtungen gestalteten sich zunehmend kompliziert, da finanzielle Transaktionen der Notenbank gemeldet werden mussten. Mit dem Mauerbau 1961 kamen diese Mandate fast völlig zum Erliegen.
Politische und gesellschaftliche Ereignisse in der Bundesrepublik und in West-Berlin wurden allerdings weiter mit großem Interesse verfolgt. Die bundesdeutsche bzw. West-Berliner Presse wurde ausgewertet und das Kollegium bezogt immer wieder Stellung zu bundesdeutschen Gesetzen, so zum Beispiel zur Verabschiedung des Gesetzes über freies Geleit für DDR-Redner durch den Bundestag am 23.Juni 1966.
Auch die Studentenunruhen in West-Berlin wurden im Kollegium erörtert. In einem Schreiben an den Vorsitzenden Wolff wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit das Kollegium die Verteidigung Horst Mahlers vor dem Landgericht Moabit unterstützen sollte. Die am gleichen Tage in der Turmstrasse stattfindende "Protestdemonstration und auch andere Proteste wurden durch unsere Genossen stark unterstützt."
1970 wurde Gerhard Häusler zum Vorsitzenden des Berliner Kollegiums gewählt. Friedrich Wolff blieb aber weiterhin aktiv.
Das Kollegium beschäftigte sich nun auch vermehrt mit gesellschaftlichen Problemen innerhalb der DDR. Aufgrund der hohen Scheidungsrate fand ebenfalls 1970 eine von allen Rechtsanwaltskollegien der DDR durchgeführte "Analyse über die Ursache von Ehekonflikten und die Wirksamkeit der gerichtlichen Tätigkeit in Ehesachen" statt. Die Mitglieder des Kollegiums wirkten an der Neufassung des Arbeitszeitgesetzbuches (AGB) 1977 mit, erarbeiteten 1978 eine Studie über die Ursache von Ehescheidungen und befassten sich 1979 eingehend mit den Amnestiebeschlüssen des Staatsrats anlässlich des
30. Jahrestages der DDR.
Im Jahre 1971 begann Gregor Gysi seine Arbeit beim Kollegium. Er wurde zunächst als Praktikant beschäftigt, allerdings im Verlauf des Jahres als Anwalt zugelassen und in der Zweigstelle Treptow eingesetzt.
Gleichfalls als Praktikant begann drei Jahre später Lothar de Maizière, bevor er 1976 als Anwalt des Kollegiums zugelassen wurde.
Im April 1977 fand eine Namensangleichung des Rechtsanwaltskollegiums von Groß-Berlin an die anderen Kollegien statt, und es benannte sich um in "Kollegium der Rechtsanwälte in Berlin - Hauptstadt der DDR."
Ende der siebziger Jahre arbeiteten in den fünfzehn Kollegien der DDR über fünfhundert Rechtsanwälte. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl hatte die DDR damit eine nur sehr geringe Zahl an Anwälten, es kam ein Anwalt auf ca. dreißigtausend Bürger. Erst jetzt wurde die Tätigkeit der Kollegien auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Das "Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR" vom 17.Dezember 1980 definierte erstmalig die Aufgaben und Tätigkeitsmerkmale der Kollegien. Auch diesem Gesetz lag ein Musterstatut als Anlage bei, welches das Berliner Kollegium überarbeitete und am 8.April 1981 verabschiedete. Gleichfalls in diesem Jahr trat eine neue Verfahrensordnung für Rechtsanwälte in Kraft, in welcher die Disziplinarmaßnahmen geregelt wurden.
Viel Arbeit investierten die Mitglieder des Kollegiums in den frühen achtziger Jahre in Analysen der Zivilprozessordnung und der Strafprozessordnung. Auch das Problem der hohen Scheidungsrate in der DDR wurde erneut analysiert.
1984 übernahm erneut der inzwischen promovierte Friedrich Wolff den Vorsitz im Kollegium, machte aber bereits 1988 einem Jüngeren Platz: Dr. Gregor Gysi.
Vom beschleunigten Niedergang der DDR Ende der achtziger Jahre wurde auch das Kollegium überrascht. Durch starke Präsens Dr. Gysis in den Medien setzten viele Bürger großes Vertrauen in das Berliner Kollegium. Viele der Briefe kündeten von der Hoffnung der Bürger auf positive gesellschaftliche und politische Veränderungen in der DDR. Auch der Amtsmissbrauch vieler Funktionäre wurde in den Briefen offen angeprangert.
Der Fall der Berliner Mauer am 9.November 1989 traf das Kollegium scheinbar nicht mehr allzu unvorbereitet, denn schon am 11.November konnte der Entwurf eines neuen Reisegesetzes vorgelegt werden.
Im Dezember 1989 schied Dr. Gysi aus dem Kollegium aus, um sich seiner politischen Karriere als Vorsitzender der PDS zu widmen. Auch Lothar de Maizière verließ das Kollegium. Er wurde wenig später zunächst Vorsitzender der CDU (Ost), nach den Volkskammerwahlen von 1990 schließlich Ministerpräsident der DDR.
Den vakanten Vorsitz des Kollegiums übernahm erneut Dr. Friedrich Wolff. Ihm oblag es, Strukturveränderungen im Kollegium durchzusetzen, die sich durch die Rechtsvereinheitlichung im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ergaben.
Im Sommer 1990 kristallisierte sich mehr und mehr heraus, dass das Kollegium vor der Abwicklung stand.
Nach einem Beschluss der Mitgliederversammlung vom 12.September 1990 hörte das Kollegium der Rechtsanwälte in Berlin am 30.September 1990 auf zu existieren. Die Mitglieder schlossen sich bereits vorher anderen Sozietäten an oder eröffneten eigene Praxen.
2. Bestandsgeschichte
In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Kollegiums erhob im September 1990 der Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin "formell" Anspruch auf das Archivgut, die Personalakten sowie die Bibliothek des Kollegiums.
Nach der Auflösung des Kollegiums am 30.September 1990 gelangte das Schriftgut in die Registratur der Rechtsanwaltskammer Berlin, von wo es zusammen mit den Personalakten des Kollegiums 1999 in das Landesarchiv Berlin überführt wurde.
Im Sommer 2001 wurden bei Verpackungs- und Etikettierungsarbeiten am Bestand B Rep. 068 Rechtsanwaltskammer Berlin die Akten mit der Provenienz Rechtsanwaltskollegium von Groß-Berlin herausgelöst. Es handelt sich dabei um ca. 7 lfm. Organisations- und Sachakten des Vorstandes. Aktenbestände der Zweigstellen des Kollegiums sind nicht überliefert.
Einen Schwerpunkt bilden Beschlüsse, Protokolle und Rundschreiben des Vorstandes und der Mitgliederversammlung, Korrespondenz mit diversen Justiz- und Rechtspflegeeinrichtungen sowie Personalakten. Auch Eingaben und Rechtshilfeersuchen von Bürgern sind dokumentiert
Es existieren zwei Aktenpläne mit unterschiedlichen Laufzeiten. Die Laufzeit des ersten Aktenplans ging bis 1970 und wurde dann ersetzt. Es wurde aber auch noch in den achtziger Jahren mit alten Registratur- und Aktenzeichnen gearbeitet. Daher folgte die Bestandsgliederung nach dem sogenannten regulierenden Registraturprinzip.
Bei der Verzeichnung des Bestandes mit AUGIAS-Archiv wurden 339 Nummern vergeben.
Eine erhebliche Anzahl von Akten ist auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen nach § 8 Archivgesetz Berlin (ArchGB) vom 29. November 1993 i. d. F. vom 15. Oktober 2001 für die Benutzung befristet gesperrt. Nach § 8 Abs. 4 ArchGB kann eine Verkürzung der Schutzfristen auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs Berlin.
Der Bestand ist wie folgt zu zitieren: LAB C Rep. 368 Nr. ...
3. Korrespondierende Bestände
BArch Dy 64 Rat der Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte der DDR
LAB C Rep.368 (Karteien) - Kollegium der Rechtsanwälte Berlin
LAB C Rep.108 Magistrat von Berlin/ Abt. Justiz
LAB C Rep.300 Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin
LAB C Rep.301 Stadtgericht Berlin
LAB C Rep.326 Untersuchungshaftanstalt Lichtenberg
LAB C Rep.330 Strafvollzugseinrichtung Rummelsburg
4. Literatur
Ruth-Kristin Rössler: Justizpolitik in der SBZ/DDR: 1945-1956, Frankfurt am Main 2000
Herman Wentker: Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953: Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen, München 2001
Das vorliegende Findbuch wurde im Rahmen eines vierwöchigen studienbegleitenden Praktikums des Magisterstudienganges Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahr 2003 von Herrn Karsten Sydow erarbeitet.
- Bestandssignatur
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C Rep. 368
- Kontext
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Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> C Bestände (Ost-) Berliner Behörden bis 1990 >> C 7 Kammern und Körperschaften, Parteien, Organisationen und Vereine >> C 7.3 Kammern und Körperschaften
- Weitere Objektseiten
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- Letzte Aktualisierung
-
28.02.2025, 14:13 MEZ
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Objekttyp
- Bestand