Bestand
Heil- und Pflegeanstalt/Psychiatrisches Landeskrankenhaus Wiesloch: Generalia (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Verwaltungs- und Personalunterlagen der Heil- und
Pflegeanstalt Wiesloch (heute Psychiatrisches Zentrum
Nordbaden)
1. Anstaltsgeschichte: Der
Beschluss zur Errichtung einer neuen Heil- und Pflegeanstalt
nördlich von Wiesloch mit rund 1060 Plätzen für Frauen und Männer
fiel 1902 insbesondere angesichts der ständigen Überbelegung der
badischen Anstalten in Emmendingen, Illenau und Pforzheim sowie der
Spezialkliniken in Bergheim (Heidelberg) und Freiburg. Das
Großprojekt (26 Patientenhäuser, 22 Verwaltungs- und
Wirtschaftsgebäude sowie 7 Wohnhäuser) wurde, mit kriegsbedingter
Unterbrechung, im Zeitraum 1903-1925 nach den Plänen von Oberbaurat
Julius Koch umgesetzt. Nachdem 1905 die ersten drei Patienten-
sowie die notwendigen Wirtschaftsgebäude fertiggestellt waren,
konnte die Anstalt am 20. Oktober 1905 unter dem ersten
Anstaltsdirektor Dr. Max Fischer mit 200 freien Plätzen den Betrieb
aufnehmen. Der Erste Weltkrieg hatte einen Notbetrieb, v. a. akuten
Personalmangel sowie stetig zunehmende Versorgungsnot zur Folge.
Zahlreiche Therapien konnten aus Personal- und Ressourcenmangel
nicht mehr angewandt werden. Darüber hinaus wiesen die
Militärbehörden über 350 traumatisierte Soldaten in die Anstalt
ein. Die sich mehr oder weniger bis zur Weltwirtschaftskrise
durchziehende finanzielle Notlage nach Kriegsende führte zu
Einsparungen und Personalkürzungen, aber auch zur Ausbildung neuer
Reformkonzepte im Psychiatriewesen (Außenfürsorge). Trotzdem blieb
die Überbelegung der Anstalt ein Dauerzustand. Sogenannte
"Frühentlassungen" und Verlegungen der "minder schweren" Fälle in
Kreispflegeanstalten brachten nur wenig Entlastung. Nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten stand Dr. Wilhelm Möckel ab
Oktober 1933 der Anstalt als Direktor vor. Unter seiner Leitung
trug die Wieslocher Anstalt ihren Anteil zur Umsetzung der
nationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzgebung bei (z. B.
erbbiologische Erfassung oder Gutachtertätigkeit in
Zwangssterilisationsfällen). Während des Zweiten Weltkriegs wurden
über 2000 Patienten aus der Wieslocher Anstalt in spezielle
Tötungsanstalten (insbesondere Grafeneck und Hadamar) verbracht und
dort im Sinne der NS-Rassenideologie systematisch ermordet. Auch
kranke und arbeitsunfähige Zwangsarbeiter teilten dieses Schicksal.
Zeitweise wurde die Anstalt auch als Lazarett für deutsche Soldaten
und Kriegsgefangene verwendet. Nach Kriegsende 1945 diente der
Großteil der Anstaltsanlage zunächst als Notkrankenhaus
(LVA-Klinik) und als "Mental Hospital" für die zahlreichen
ehemaligen Zwangsarbeiter und "Displaced Persons" (DPs oder
IRO-Patienten). Prof. Dr. Adalbert Gregor übernahm die Leitung und
in den Folgejahren wurden die einzelnen Gebäude nach und nach
saniert. 1953 erfolgte die Umbenennung in Psychiatrisches
Landeskrankenhaus Wiesloch (PLK), seit 1996 firmiert die
Einrichtung unter dem Namen Psychiatrisches Zentrum Nordbaden
(PZN).
2. Inhalt: Vorliegende
Überlieferung ermöglicht einen Einblick in die zeitgenössische
Organisation und den Betrieb einer badischen Heil- und
Pflegeanstalt, inbegriffen verschiedene Maßnahmen zur Versorgung
und Therapierung ihrer Patienten (Fürsorge, Haus- und
Landwirtschaft, Gewerbe). Einen mengenmäßigen und inhaltlichen
Schwerpunkt der Unterlagen stellen die 2944 Personalakten der Heil-
und Pflegeanstalt Wiesloch mit einer Laufzeit von 1888-1982 dar.
Unter den weiteren Verwaltungsakten sind die Krankenbücher (Zu- und
Abgänge), Patienten- und Transportlisten sowie Namens- und
Gräberverzeichnisse der Anstalt aus dem Zeitraum 1912 bis Ende der
1950er Jahre hervorzuheben, die bei Nicht-Vorhandensein einer
Patientenakte zumindest ansatzweise Aufschlüsse über
Einzelschicksale geben können. Insbesondere die speziellen
Anstalts-Krankenbücher zur Aufnahme von Heeresangehörigen aus dem
Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie Aufnahmeverzeichnisse von
Flüchtlingen und "Displaced Persons" (International Refugee
Organization, IRO) sind hierunter zu nennen. In den Kontext der
Verwicklung in NS-Verbrechen fällt ebenso die Gutachtertätigkeit
für Erbgesundheitsgerichte in Nordbaden (Sammelakten). Einen
Einblick in die Gutachtertätigkeit der Wieslocher Anstaltsärzte für
Kinder- und Erziehungsheime der 1930er Jahre ermöglichen
gleichfalls die einschlägigen Sammelakten (Erziehungsheim Schloss
Flehingen, NS-Jugendheimstätte Weingarten und Mädchenheim Bretten).
Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Unterlagen zum Bauwesen und
Grundstückverkehr der Wieslocher Anstalt. Da der damalige
Anstaltsdirektor Dr. Max Fischer Mitglied der Baukommission für den
Neubau einer letztlich aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs
nie umgesetzten Heil- und Pflegeanstalt bei Muggensturm (Landkreis
Rastatt) war, sind nicht nur die Planunterlagen samt Bauplänen der
projektierten Anstalt, sondern vermutlich als Anschauungsmaterial
auch die Baupläne weiterer Heil- und Pflegeanstalten überliefert
(Konstanz, Emmendingen, Pforzheim sowie Bedburg im heutigen
Nordrhein-Westfalen). Zu- und Abgangsstatistiken anderer
Einrichtungen (u. a. Psychiatrische Kliniken Heidelberg und
Freiburg sowie Heil- und Pflegeanstalt Illenau) ergänzen die
Jahresberichte und Statistiken der Wieslocher Anstalt.
3. Nutzungshinweise: Einige
Sachakten, insbesondere im Rahmen der Gutachtertätigkeit von
Anstaltsärzten, sowie Personalakten unterliegen der
personenbezogenen Schutzfrist nach § 6 II Landesarchivgesetz (10
Jahre nach Tod bzw. 90 Jahre nach Geburt) und sind für die Nutzung,
einige auch für die Anzeige im Online-Findmittel
gesperrt.
4. Bearbeiterbericht: Ein
erster Teil des Grundbestands 463 Wiesloch wurde 2016 als
Konversion einer Zettelkartei erfasst (Auflösung des
Zugangsbestands 463 Zugang 1983-9; Umfang 882 Akten). Im Juli 2019
erhielt vorliegender Bestand umfangreichen Zuwachs durch die
vollständige Auflösung und Verzeichnung des Bestands 463 Zugang
1983-60 (Personalakten). Des Weiteren wurden die Generalia-Akten
aus den Zugangsbeständen 463 Zugang 2009-56 und 463 Zugang 2014-8
herausgelöst und erstmalig erfasst. Als Rest verbleiben in den
beiden letztgenannten Zugangsbeständen bis auf Weiteres noch die
Einzelfallakten (Patientenakten und Sippentafeln). Darüber hinaus
gab das Psychiatrische Zentrum Nordbaden im Januar 2019 die von Dr.
Frank Janzowski erstellte Opferliste aus der NS-Geschichte des
Psychiatrischen Zentrums Nordbaden ("Die Opfer bei ihren Namen
nennen...") an das Generallandesarchiv ab, die ebenfalls in
vorliegenden Bestand aufgenommen wurde (Bestellsignatur 463
Wiesloch Nr. 3081). Im Dezember 2020 erfolgte eine abermalige
Ablieferung durch Herrn Janzowski (47 Akten, Bestand 463 Zugang
2020-10 somit aufgelöst; jetzt Bestellsignaturen 463 Wiesloch Nr.
4025-4072). Folgende sieben Akten wurden aus Bestand 463 Wiesloch
herausgelöst, da provenienzmäßig Bestand 463 Rastatt (Pflegeanstalt
Rastatt) zugehörig: 463 Zugang 1983-60 Nr. 173, jetzt 463 Rastatt
Nr. 232 Sechs Akten aus Bestand 463 Zugang 2014 (unverzeichnet),
jetzt 463 Rastatt Nrn. 233-238 Im November 2023 wurde eine von Dr.
Frank Janzowski im Generallandesarchiv abgegebene Akte
(Monatsstatistiken der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch, 1940-1966)
als Nachtrag hinzugefügt (Bestellsignatur 463 Wiesloch Nr. 4073).
Vorsignaturen wurden im entsprechenden Datenfeld vermerkt. Die 4079
Akten wurden in die geringfügig überarbeitete und ergänzte
Klassifikation, die auf dem Anstalts-Aktenplan beruht, eingepflegt.
Die Unterlagen wurden entmetallisert, signiert und
verpackt.
Einleitung: Karlsruhe, im
Januar 2021 Fabian Beller
5. Literatur: Frank
Janzowski: Die NS-Vergangenheit in der Heil- und Pflegeanstalt
Wiesloch. "... so intensiv wenden wir unsere Arbeitskraft der
Ausschaltung der Erbkranken zu", Ubstadt-Weiher [u. a.] 2015.
Melanie Mertens: Die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch,
in: Badische Heimat 97:3 (2017), S. 351-365.
https://www.pzn-wiesloch.de/unser-zentrum/geschichte/
- Bestandssignatur
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 463 Wiesloch
- Umfang
-
4079 Akten (Nr. 1-4073)
- Kontext
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Neuere Bestände (vornehmlich ab ca. 1800) >> Inneres, Soziales und Umwelt >> Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten >> Psychiatrisches Landeskrankenhaus Wiesloch
- Bestandslaufzeit
-
(1870) 1884-2019
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
-
03.04.2025, 11:03 MESZ
Datenpartner
Landesarchiv Baden-Württemberg. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- (1870) 1884-2019