Bestand
Kernforschungszentrum Karlsruhe: Projekt Schneller Brüter (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Projekt Schneller Brüter 936 Nrn. (1961-1990):
Abwicklung der verschiedenen Versuchsvorhaben (Kompakte
Natriumgekühlte Kernenergieanlage).- Durchführung verschiedener
Entwicklungsvorhaben in Zusammenarbeit mit der Industrie.-
Kooperation mit der Industrie bei der Projektierung des
Demonstrationskraftwerks Schneller Natriumgekühlter Reaktor
(SNR300/Kalkar).- Schnelle Natriumgekühlte Reaktoren SNR 1 und 2
sowie 300.- Beteiligungen an ausländischen Versuchsanlagen (BR 2
Mol, CABRI-Projekt in Cadarache) und internationale
Zusammenarbeit.
Überlieferungsgeschichte: Der
vorliegende Bestand enthält Akten und Berichte zu dem für die
Entwicklung des Kernforschungszentrums Karlsruhe maßgeblichen
Projekt Schneller Brüter (PSB). Die Unterlagen dieses Bestandes
stammen aus verschiedenen Projektgruppen. Sie bilden gemeinsam mit
den Unterlagen der Projektleitung und den Überlieferungen der
projektbeteiligten Institute sowohl die technischen als auch die
administrativen Zusammenhänge innerhalb des Projektes und des
gesamten Forschungszentrums ab. In mehreren Bewertungs- und
Übernahmeschritten zwischen 1996 und 2015 wurden die Unterlagen ins
Generallandesarchiv Karlsruhe übernommen. Das 2008 in papierener
Form fertiggestellte Findbuch, in dem sich eine ausführliche
Darstellung der Geschichte der Schnellbrüterentwicklung der BRD
findet, wurde nach Scope importiert und mit der Nachlieferung von
2015 zu einem Findmittel zusammengefasst. Schon sehr früh gingen
vom Institut für Neutronenphysik und Reaktortechnik (INR)
Bestrebungen aus, das Forschungszentrum zu einer Institution der
Entwicklung fortgeschrittener Reaktoren zu machen, wobei man dabei
konkret den Brüter meinte, dessen Entwicklung innerhalb der
langfristigen deutschen Reaktorstrategie einen zentralen Platz
einnahm. Im April 1960 bildete sich das Projekt Schneller Brüter
(PSB), das rasch zu einer Gesamtaufgabe des Forschungszentrums
avancierte. Durch die Schaffung dieser zentralen
Koordinationsstelle für die sich gleichzeitig ausdifferenzierenden,
projektbeteiligten Institute entwickelte sich eine neue Art der
Projektorganisation. Hierbei orientierte man sich am amerikanischen
Vorbild, den Forschungseinrichtungen den Charakter von
arbeitsteiligen Großforschungsbetrieben zu geben. Die erste
Planungsphase wurde von der Wahl eines geeigneten Kühlmittels für
den Brutreaktor bestimmt, wovon sowohl die Auswahl der
Hüllmaterialien sowie des Brennstoffs und des Primärkreislaufes
abhingen. Dabei kristallisierten sich nach dem Wegfall eines
heliumgekühlten Brüters zwei Möglichkeiten klar heraus: die
natrium- und die dampfgekühlte Variante. Durch die Unterzeichnung
von Assoziationsverträgen im Rahmen der Europäischen
Atomgemeinschaft (Euratom) kam es zu einer Verlängerung der
Projektarbeiten um fünf Jahre. Als Projektpartner kamen 1965/1966
die Niederlande und Belgien, die ihrerseits
Euratom-Assoziationsverträge unter der Auflage eingegangen waren,
sich entweder an das deutsche oder an das französische
Brüterprojekt anzuschließen, zum PSB hinzu. Die beiden neuen
Partner brachten Erfahrungen im Wiederaufarbeitungsbereich und bei
der Brennelemententwicklung mit. Durch den nunmehr erweiterten
Finanzrahmen, immerhin sollte der Beitrag Euratoms 40 Prozent der
Projektkosten abdecken, rückte das Brüterprojekt an die erste
Stelle der Prioritäten im bundesdeutschen Reaktorprogramm. Wobei
die Projektplanung von Beginn an durch die Konkurrenz mit
ausländischen Brüterprogrammen, besonders dem amerikanischen,
bestimmt wurde. Diese konkrete Wettbewerbssituation führte zu einer
gestrafften Programmplanung und damit einhergehend zu einer
Neuformulierung der Projektziele. Da die Kühlmittelfrage noch nicht
geklärt war, entschied man sich für die Projektierung zweier
verschiedener Prototypen. Damit war Deutschland neben den USA das
einzige Land, das bei der Brüterentwicklung zwei Reaktorlinien
verfolgte. Die Entwicklung und der Bau sollte Aufgabe der Industrie
sein, weshalb sich verschiedene Firmen entsprechend der von ihnen
schon geleisteten Vorarbeiten entweder dem Dampfbrüterkonsortium
oder dem Natriumbrüterkonsortium anschlossen. Da man über keinen
eigenen geeigneten Versuchsreaktor verfügte, war man bei der
Entwicklung der Brennelemente auf die Bestrahlungskapazitäten
ausländischer Reaktoren angewiesen, wobei die Testsituation für die
Brennelemente eines dampfgekühlten Schnellen Brüters besonders
prekär war. Die Dualität der beiden Kühlmittelvarianten wurde durch
die sogenannte FAZ-Kontroverse in die Öffentlichkeit getragen und
unter anderem auch während einer Klausurtagung in Form einer
Anhörung im Deutschen Bundestag diskutiert. Als das Ende des
amerikanischen Dampfbrüterprojektes bekanntgegeben wurde, stand das
deutsche Dampfbrüterprojekt völlig isoliert da, was eine höhere
Kostenentwicklung und ein erheblich größeres technisches Risiko
bedeutete. Außerdem mussten die Prognosen bezüglich der
Wirtschaftlichkeit nach unten korrigiert werden, was schließlich im
Jahr 1969 zur Einstellung der Arbeiten an der
Dampfbrüterentwicklung führte. Lediglich die Arbeiten an den
Brennelementen sollten weitergeführt werden. Nach dieser
Entscheidung von Minister Stoltenberg, die Parallelität in der
deutschen Schnellbrüterentwicklung aufzugeben, verblieb als Teil
des deutschen Schnellbrüterprojekts die Projektierung und der Bau
eines Natriumprototypen, dem Schnellen Natriumgekühlten Reaktor 300
(SNR 300), für dessen Realisierung man im PSB keine nennenswerten
Schwierigkeiten erwartet hatte. Bereits unmittelbar nachdem mit der
Abgabe der Bauunterlagen der Entscheidungsprozess für dieses
Projekt begonnen hatte, begann sich abzuzeichnen, was für dieses
Projekt charakteristisch werden sollte. Bereits der Baubeginn am
Standort Kalkar verzögerte sich bis zum Jahr 1973, und in der Folge
war die ursprünglich für das Jahr 1978 angedachte Fertigstellung
hinfällig. Somit erwies sich der im Bewilligungsantrag umrissene
Zeitplan als ebenso unhaltbar wie die ursprünglich veranschlagten
Projektkosten. Die Errichtungskosten wurden bei Projektbeginn mit
etwa 1,5 Milliarden DM angegeben, Schätzungen aus dem Jahr 1981
gingen aber bereits von voraussichtlich fünf Milliarden DM aus. Im
Jahr 1981 ging man von einer Fertigstellung der Anlage für das Jahr
1985 und einer Übernahme durch den Betreiber für 1986 aus. Die
Gründe für diese Entwicklung waren vielfältig. Zum einen verlief
bereits der Entscheidungsprozess für den Bau des SNR 300 wesentlich
komplizierter als ähnliche Entscheidungen in der Vergangenheit. Zum
anderen führte die Einschaltung der Genehmigungsbehörden, die den
wachsenden Sicherheitsanforderungen an die Reaktoren in ihren
Entscheidungen Rechnung trugen, zu immer neuen Auflagen in den
Genehmigungsbewilligungen, die Veränderungen an den technischen
Konzepten zur Folge hatten. Aber auch das Baukonsortium musste
feststellen, dass die Entwicklung der Natriumtechnologie wesentlich
komplizierter als angenommen war. Somit kam es zur Auflage immer
neuer Forschungs- und Entwicklungsprogrammen, die wesentlich zum
Anstieg der Kosten beitrugen. Die SNR-Anlage war im Jahr 1986,
nachdem der vornukleare Probebetrieb 1985 absolviert worden war,
fertiggestellt. Die atomrechtliche Genehmigung für eine nukleare
Inbetriebnahme des Brutreaktors wurde aber durch die Politik der
Landesregierung Nordrhein-Westfalens maßgeblich behindert, die
immer neue Sicherheitsgutachten für einen Betrieb der Anlage
anfertigen ließ. Auch bundesweit wuchs der Widerstand der
Bevölkerung gegen das Projekt im Laufe der Jahre und mündete
schließlich in einer Verfassungsbeschwerde der Projektgegner vor
dem Bundesverfassungsgericht. Die an dem Projekt beteiligten
Stellen und Institutionen, wie das Bundesministerium für Forschung
und Technologie, die Energieversorgungsunternehmen und der
Hersteller Siemens, zogen im März 1991 die Konsequenzen aus der für
sie unhaltbaren Situation. Man kam überein, das Projekt
einzustellen, da man nicht mehr davon ausgehen konnte, das
Genehmigungsverfahren mit Erfolg abschließen zu können. Mit der
sich immer deutlicher abzeichnenden Einstellung des SNR
300-Projektes in Kalkar, war dem PSB langfristig die Perspektive
entzogen und das Projekt wurde im Jahr 1989 beendet. Restarbeiten
des Projektes wurden in das neu entstandene Projekt Nukleare
Sicherheitsforschung (PNS) integriert und auf internationaler Ebene
im Projekt European Fast Reactor (EFR) weitergeführt.
Inhalt und Umfang: Der
Bestand umfasst 1616 Verzeichnungseinheiten mit einer Laufzeit von
1956 bis 2001 und enthält im Wesentlichen Akten der Projektleitung
und der am Projekt beteiligten Institute, wobei sich die
Projekthistorie fast lückenlos erschließen lässt. Die interne und
externe Organisation des Projektes werden unter anderem durch
Protokolle der Sitzungen der Verwaltungs- und Entscheidungsebenen,
dem Schriftwechsel mit den zuständigen Behörden und der Beteiligung
der Projektleitung in Ausschüssen wie beispielsweise dem
Projektkomitee und dem Projektrat abgebildet. Der Bestand bildet
ebenso ausführlich die Planung und den Aufbau der dem Projekt
zugeordneten Versuchsanlagen ab, wie auch die entsprechenden
Versuchsprogramme. Sehr deutlich lassen sich hierbei die Grundzüge
der neu definierten Arbeitsorganisation von Großforschungszentren
erkennen. Neben den Organisationsstrukturen sind auch der Aufbau
der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Bezug auf die
Ausdifferenzierung der Kühlmittelvarianten und der
Brennelemententwicklung gut nachvollziehbar. Erschließen lassen
sich aber auch die zentrumsinternen Konfliktlinien um die
Ausdifferenzierung der Kühlmittelvarianten, die im Verlauf der
sogenannten der FAZ-Kontroverse öffentlich wurden. Diverse
Sammlungen des Pressespiegels und der Gegendarstellungen der
Befürworter der Kühlmitteldualität dokumentieren diese Kontroverse
fast lückenlos. Darüber hinaus sind Kooperationen mit der Industrie
und vor allem dem Ausland in großem Umfang überliefert. Aus dem
vorliegenden Bestand geht somit deutlich hervor, im welchem Ausmaß
das PSB in den naturwissenschaftlich-technologischen
Kenntnisaustausch eingebunden war. Diese Überlieferung der
weitreichenden Anbindung, die das PSB im Laufe seines Bestehens an
die internationale Entwicklung der Schnellbrüterentwicklung
erlangte, ist in diesem Umfang einmalig.
Einleitung: vgl.
https://www2.landesarchiv-bw.de/externe/glak_abkuerzbestaendegruppe69KfK.pdf
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 69 KfK-PSB
- Extent
-
1615 Akten (Nr. 1-1618)
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Nichtstaatliches Archivgut >> Archive von Anstalten, Körperschaften und Stiftungen >> Bildung, Kultur und Forschung >> Kernforschungszentrum Karlsruhe
- Date of creation of holding
-
1956-2001
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
03.04.2025, 11:03 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Baden-Württemberg. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- 1956-2001