Bestand
Gerichte der Reichswehr und Wehrmacht (Bestand)
Geschichte des
Bestandsbildners: Die Verfahrensakten der Gerichte der
Reichswehr und Wehrmacht auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland wurden früh nach Kriegsende vom Personenstandsarchiv
II des Landes Nordrhein-Westfalen, der späteren
Zentralnachweisstelle (ZNS) des Bundesarchivs gesammelt. Die auf
dem Gebiet der DDR befindlichen Verfahrensakten wurden im
Militärarchiv der DDR verwahrt und Mitte der 1990er von der ZNS
übernommen. Im Jahr 2005 wurden die Verfahrensakten schließlich
von der Abt. Militärarchiv übernommen und bilden dort den
Bestand Pers 15. Die Überlieferung ist unvollständig. Große
Bereiche gingen im Krieg verloren.
Die
von den Gerichten geführten Sachakten, insbesondere die gemäß
den entsprechenden Vorschriften zu führenden Listen bilden den
Bestand RW 60.
Bestandsbeschreibung:
Bereis bis 1920 hatte für Soldaten eine eigene Gerichtsbarkeit
bestanden, ab 1900 mit dem Reichsmilitärgericht als oberster
Instanz. Mit Gesetz vom 17. August 1920 war am 1. Oktober 1920
diese eigenständige Militärgerichtsbarkeit aufgehoben und das
Reichsmilitärgericht aufgelöst worden. Mit Gesetz vom 12. Mai
1933 wurde die Wiedereinführung einer Militärgerichtsbarkeit ab
dem 1. Januar 1934 beschlossen, es folgte am 4. November 1933
das Einführungsgesetz für die der Militärgerichtsbarkeit
zugrundeliegende Militärstrafgerichtsordnung (es handelte sich
um eine geänderte Fassung der Militärstrafgerichtsordnung vom 1.
Dezember 1898). Das am 20. Juni 1872 eingeführte
Militärstrafgesetzbuch hatte als Sonderstrafrecht für die
armeeinternen Bedürfnisse weitergegolten und zwischenzeitlich
mehrere Änderungen erfahren. Es folgte am 27. November 1934 die
Verabschiedung der Strafvollstreckungsvorschrift für Reichsheer
und Reichsmarine.
Mit Wiedereinführung
der Militärgerichtsbarkeit am 1. Januar 1934 wies diese folgende
Hierarchie auf:
- zuoberst in der
Funktion als zentrales, übergeordnetes Militärgericht: das
Reichsgericht
- Gerichtsherren 2. Instanz
Reichsheer: Oberbefehlshaber der Gruppen 1 und 2
- Gerichtsherren 1. Instanz Reichsheer:
Befehlshaber in den Wehrkreisen I bis VII
- Gerichtsherren 2. Instanz Reichsmarine: Flottenchef; Chef
der Marinestation Ostsee; Chef der Marinestation Nordsee
- Gerichtsherren 1. Instanz Reichsmarine:
Befehlshaber der Linienschiffe; Befehlshaber der
Aufklärungsstreitkräfte; Inspekteur des Bildungswesens der
Marine; Inspekteur der Marineartillerie
Ein wesentliches Kennzeichen der Militärgerichtsbarkeit war
die Verbindung von Gerichtsgewalt und militärischer
Befehlsgewalt. Die hierzu bestimmten Befehlshaber und
Kommandeure waren als Gerichtsherren tatsächlich jeweils Herr
des Verfahrens an ihren jeweiligen Gerichten. Sie ordneten die
Untersuchung an, ließen sie durchführen, stellten ggf. Verfahren
wieder ein, erließen Strafverfügungen, verfügten Anklagen,
beriefen und besetzten das Gericht, bestimmten die
Anklagevertretung und ¿ soweit vorgesehen ¿ den Verteidiger.
Unterstützt wurden sie hierin von eigenen Militärjustizbeamten
und Militärrichtern.
Bei den Gerichten
des Heeres ging am 1. Januar 1935 die Funktion der
Gerichtsherren 2. Instanz von den Oberbefehlshabern der Gruppen
auf die Befehlshaber in den Wehrkreisen über, die
Gerichtsbarkeit der Oberbefehlshaber der Gruppen entfiel.
Gerichtsherren 1. Instanz wurden die Kommandeure der Divisionen.
Neu eingeführt wurden als disziplinar für die Heeresgerichte
zuständige Stellen die Dienstaufsichtsbezirke I bis III (später
1 bis 6).
Mit Bestehen der Luftwaffe ab
dem 1. März 1935 übernahmen zunächst Gerichte des Heeres und der
Marine die entsprechenden Aufgaben in der Luftwaffe. Ab dem 1.
November 1935 bestanden jedoch eigene Gerichte der
Luftwaffe:
- Gerichte 2. und 1. Instanz
der Luftwaffe in den Luftkreisen I bis VI
Am 5. Oktober 1935 erging schließlich die
Strafvollstreckungsvorschrift für die Wehrmacht.
Am 1. Dezember 1935 wurde die Rechtsabteilung
des Wehrmachtamtes im Reichskriegsministerium in
Wehrmachtrechtsabteilung (WR) umbenannt und unterstand nun als
die Militärgerichtsbarkeit beaufsichtigendes Organ direkt dem
Reichskriegsminister.
Als Anhalt für die
Wehrmachtgefängnisse wurden die am 15. April 1936 zunächst für
Torgau erlassenen "Vorläufigen Richtlinien für die Regelung des
Dienstbetriebes beim Militärgefängnis Torgau" verwendet.
Am 27. Mai 1936 wurden die Gerichte der
Luftwaffe in den Luftkreisen umbenannt, jeweils in ein
Luftwaffenobergericht 2. Instanz und ein Luftwaffengericht 1.
Instanz.
Entsprechend dem hierzu am 26.
Juni 1936 ergangenen Gesetz erfolgte am 1. Oktober 1936 die
Errichtung des Reichskriegsgerichtes als oberster Gerichtshof
der Wehrmacht, das das Reichsgericht in dieser Funktion
ablöste.
Am 26. Januar 1937 erging die
Reichsdienststrafordnung als besonderes Strafrecht für die
Beamten, die gemäß Verordnung vom 24. Juni 1937 auch auf die
Wehrmachtbeamten anzuwenden war und damit auch die
Militärrichterdienststrafordnung vom 14. März 1934 außer Kraft
setzte.
Am 4. Dezember 1937 wurde als
Strafvollstreckungsvorschrift die "Vorschrift für den Vollzug
von Freiheitsstrafen und anderer Freiheitsentziehung in der
Wehrmacht" erlassen. Am 1. Juli 1938 folgte die Gnadenordnung
für die Wehrmacht.
Die
Militärgerichtsbarkeit der Luftwaffe erfuhr am 1. April 1939
eine Neuorganisation.
Gerichte 2. Instanz
waren nun:
- die Luftwaffenobergerichte
Berlin, Braunschweig, München, Königsberg und Wien;
Gerichtsherren 2. Instanz (insg. 7) bei diesen Gerichten waren
die beiden Generale der Luftwaffe bei den Oberbefehlshabern von
Heer und Marine (Berlin), die Chefs der Luftflotten 1 (Berlin),
2 (Braunschweig), 3 (München) und 4 (Wien), sowie der
Kommandierende General der Luftwaffe in Ostpreußen
(Königsberg)
Gerichte 1. Instanz
waren:
- die Luftwaffengerichte Berlin,
Dresden, Breslau, Greifswald, Hannover, Braunschweig, Münster,
München, Nürnberg, Wiesbaden, Königsberg, Wien, Kiel und
Rostock;
Gerichtsherren 1. Instanz (insg.
21) bei diesen Gerichten waren die Kommandeure der Luftgaue III
(Berlin), IV (Dresden), VIII (Breslau), XI (Hannover), VI
(Münster), VII (München), XIII (Nürnberg), XII (Wiesbaden), I
(Königsberg) und XVII (Kiel), sowie die Kommandeure der
Fliegerdivisionen 1 und 7 (Berlin), 2 (Dresden), 4
(Braunschweig), 3 (Münster), 5 (München), 6 (Wiesbaden), der
Kommandeur der Luftwaffen-Lehr-Division (Greifswald), der Höhere
Kommandeur der Festungs-Flak-Artillerie III (Wiesbaden), der
Führer der Seeluftstreitkräfte (Kiel) und der Höhere
Flieger-Ausbildungs-Kommandeur 2 (Rostock)
Bereits am 17. August 1938 war die
Kriegssonderstrafrechtsverordnung ("Verordnung über das
Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz")
unterzeichnet worden. Nachdem die Verkündung zunächst ausgesetzt
blieb, wurde sie schließlich am 26. August 1939 in Kraft
gesetzt. Sie brachte im wesentlichen für Kriegszeiten neu die
besonderen Straftatbestände Spionage, Freischärlerei und
Zersetzung der Wehrkraft. Die Militärstrafgerichtsordnung
schließlich wurde mit Wirkung vom 26. August 1939 durch die
Kriegsstrafverfahrensordnung vom 17. August 1938 ersetzt.
Hierdurch entfielen die Oberkriegsgerichte und damit die
Berufungsinstanzen. Am 1. November 1939 erging eine Ergänzung
zur Kriegssonderstrafrechtsverordnung, mittels derer die
Berufung von Standgerichten (in dringenden Fällen und ohne
sachliche Beschränkung) durch die Truppe (Kommandeure von
Regimentern oder selbständigen Bataillonen usw.) geregelt
wurde.
Am 10. Oktober 1940 wurde eine (im
wesentlichen vereinfachte) Neufassung des
Militärstrafgesetzbuches verkündet. Am 15. Juli 1941 wurde die
Marinerechtsabteilung im Marinewehramt als selbständige
Abteilung dem Allgemeinen Marinehauptamt unmittelbar
unterstellt.
Mit Verfügung vom 20. August
1942 ging die Zuständigkeit bei Vergehen gegen die §§1 und 2 des
Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei vom
20. Dezember 1934 sowie bei Verbrechen gegen §5 Abs.1 Nr.1 der
Kriegssonderstrafrechtsverordnung betr. Zersetzung der Wehrkraft
beim Feldheer auf die für die Beschuldigten zuständigen
Armeeoberbefehlshaber (bzw. Befehlshaber mit entsprechenden
gerichtsherrlichen Befugnissen) und beim Ersatzheer auf den
Wehrmachtkommandanten von Berlin über.
Am
21. Juni 1943 erging ein Erlaß zur Bildung eines zentralen
Sonderstandgerichts für die Wehrmacht, das im Schnellverfahren
politische Straftaten aburteilen sollte, die sich gegen das
Vertrauen in die politische oder militärische Führung richteten
und eine Todes- oder Zuchthausstrafe erwarten ließen. Als
Gerichtsherr fungierte Hitler, der diese Funktion auf den Chef
des OKW übertragen konnte. Das Sonderstandgericht wurde dem
Reichskriegsgericht als besonderer Senat angegliedert.
Mit Befehl vom 11. April 1944 erfolgte die
Errichtung des Zentralgerichts des Heeres mit dem
Wehrmachtkommandanten von Berlin als Gerichtsherrn. Es übernahm
vom Gericht des Wehrmachtkommandanten von Berlin die
Zuständigkeit für die politischen Strafsachen, die Strafsachen
wegen widernatürlicher Unzucht, die Korruptionsfälle von
besonderer Bedeutung, die Fahndungssachen, durch besondere
Anordnungen zugewiesene Sachen und die Entscheidungen über
Wiederaufnahme eines Verfahrens.
Im
Verlauf des Krieges entstanden immer weitere Gerichte auf
verschiedenen Ebenen. Als unterste Gerichtsebene ist die Ebene
der Divisionen anzusehen. Die wehrmachtgerichtliche
Überlieferung im Bundesarchiv-Militärarchiv umfaßt Unterlagen
von 1043 Wehrmachtgerichten, es sind jedoch nicht von allen
Gerichten Unterlagen überliefert. Darüberhinaus spiegeln weder
die Verfahrensakten noch die Sachakten in ihren jeweiligen
Umfängen und Verteilungen tatsächliche Quantitäten wider. Die
Intensität der jeweiligen Überlieferung eines Gerichtes ist
kriegsbedingt zufälligen Faktoren geschuldet und erlaubt daher
keine weiteren Rückschlüsse.
Der Großteil
der Akten befand sich bis 2005 in der Zentralnachweisstelle
(ZNS) in Aachen-Kornelimünster. Zudem finden sich im Bestand
Akten, die nach 1990 aus dem Militärarchiv der DDR an das
Bundesarchiv gelangt sind. Im Militärarchiv der DDR bildeten
diese Akten den Bestand I 10 Ost General mit der
Bestandssignatur W 11. Zudem wurden dem Bestand im Jahr 2009
fünf Akten aus dem so genannten NS-Archiv des Ministeriums für
Staatssicherheit zugeordnet (Signaturen RW 60/4166-4170)
.
Über noch von der ZNS
angelegte Datenbanken sowie über Karteifindmittel sind die
Listen im Bestand RW 60 nach den Namen der Angeklagten
recherchierbar. Die Akten aus dem so genannten NS-Archiv des
Ministeriums für Staatssicherheit (Signaturen RW 60/4166-4170)
sowie einzelne Akten ab der Signatur RW 60/4171 sind jedoch
nicht nach den Namen der Angeklagten recherchierbar.
Inhaltliche
Charakterisierung: Die Sachakten der Wehrmachtgerichte umfassen
im wesentlichen Listen verschiedener Art zu Verfahren,
Beschuldigten, Gefangenen u.ä., zu deren Führung nach genauen
Vorgaben die Gerichte angehalten waren (s. z.B. Dienst- und
Geschäftsordnung für die Heeresgerichte (HDGO) Teil II
(Formblätter) in RHD 4/4/2). Der Bestand umfaßt zusammen mit den
Verfahrensakten in Pers 15 Unterlagen von insgesamt 1043
Gerichten, ist jedoch keineswegs als vollständige Überlieferung
anzusehen. Erhebliche kriegsbedingte Schriftgutverluste sind
einzurechnen.
Vorarchivische Ordnung:
Die Akten befanden sich bis 2005 bei der Zentralnachweisstelle
(ZNS) in Aachen-Kornelimünster. Archivische Bestandsbildungen
waren in dieser Zeit nicht erfolgt bzw. nicht vollendet
worden.
Zitierweise: BArch RW
60/...
- Bestandssignatur
-
Bundesarchiv, BArch RW 60
- Umfang
-
4235 Aufbewahrungseinheiten
- Sprache der Unterlagen
-
deutsch
- Kontext
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1867/1871-1945) >> Militär >> Reichswehr und Wehrmacht 1919 bis 1945/1946 >> Zentrale Einrichtungen der Reichswehr und der Wehrmacht >> Wehrmachtgerichtsbarkeit
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- Letzte Aktualisierung
-
16.01.2024, 08:43 MEZ
Objekttyp
- Bestand
Beteiligte
- Gerichte der Reichswehr und Wehrmacht, 1919-1945
Entstanden
- 1919-1945