Arbeitspapier | Working paper

Zwangsrepatriierung als neues Instrument der Krisenintervention: zur Rückkehr der ruandischen Flüchtlinge aus den tansanischen Lagern

"Die Bilder der Massenflucht von etwa 1,5 Millionen Ruandern im April 1994 aus ihrer Heimat in die Nachbarländer Zaire und Tansania sind immer noch präsent: Endlose, erschöpfte Menschenschlangen, die den mit Leichen angefüllten Grenzfluß zu Tansania überqueren und schließlich in einer hügeligen, spärlich besiedelten Landschaft angehalten werden, wo sie kampieren und mit Nothilfe versorgt werden sollen. Daraus entstanden die eng beieinander liegenden Flüchtlingslager für ca. 500.000 Personen in Ngara und Karagwe, die bis zu ihrer gewaltsamen Räumung im Dezember 1996 mehr Fragen an die Konzeption der Flüchtlingshilfe stellen würden, als daß sie Antworten bereithielten. Schon 1995 wurden die Lager von den Regierungen der Geberländer als nicht mehr tragbar angesehen, denn für die ruandischen Flüchtlinge in Zaire und Tansania mußten zusammen mehr als 2 Mio. Dollar pro Tag ausgegeben werden. Man hatte von Beginn an einen 'camp approach'jverfolgt: Eine große Zahl von Menschen wird auf einer kleinen, abgegrenzten Fläche zusammengehalten und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dies dient zwar der effizienten Logistik, der Registrierung und schnellen Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, die in der ersten Phase der Nothilfe eine hohe Priorität haben. Je länger die Situation andauert und je mehr sich der gesundheitliche Zustand der Flüchtlinge verbessert, um so stärker machen sich jedoch negative Entwicklungen bemerkbar. Umweltschäden, Verslumung, Beschäftigungslosigkeit und vieles mehr. Es gibt über die Nothilfe hinaus keine Entwicklungsperspektiven. Die Erfindung des abgegrenzten Lagers, in dem Flüchtlinge als passive Empfänger von Hilfsleistungen gelten, erweist sich als Illusion, weil sie die Handlungsfähigkeit und die vielfältige soziale und wirtschaftliche Interaktion der Flüchtlinge mit ihrer Umgebung außer acht läßt. Derartige Lager müssen deshalb in ihrem Entwurf von vornherein auf eine möglichst kurze Zeitspanne und damit auf eine baldige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat angelegt sein. Dabei bleibt anzumerken, daß Lager die Politisierung der Flüchtlinge, die von vielen als das entscheidende Hindernis für eine freiwillige Rückkehr angesehen wurde, geradezu in idealer Weise fördern. In Zaire, aber auch in Tansania, wurden die Flüchtlinge in der Regel nach ihren Herkunftsgemeinden gruppiert, so daß oftmals auch die alten lokalen Autoritäten in der neuen Umgebung ihre Macht behielten. Die Diskussion über die Bedingungen der Rückkehr und die Fluchtursachen erhalten bei diesem Konzept dann ein zweitrangiges Gewicht." (Textauszug)

Zwangsrepatriierung als neues Instrument der Krisenintervention: zur Rückkehr der ruandischen Flüchtlinge aus den tansanischen Lagern

Urheber*in: Schöpf, Michael

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Alternative title
Forced repatriation as a new crisis intervention instrument: the return of the Rwandan refugees from Tanzanian camps
Language
Deutsch
Notes
Status: Veröffentlichungsversion

Subject
Sozialwissenschaften, Soziologie
Politikwissenschaft
politische Willensbildung, politische Soziologie, politische Kultur
Migration
Ostafrika
Ruanda
Afrika südlich der Sahara
internationale Hilfe
UNHCR
Tansania
anglophones Afrika
Afrika
Flüchtling
Zentralafrika
Rückwanderung
Entwicklungsland
Notunterkunft
frankophones Afrika
Flüchtlingspolitik
deskriptive Studie

Event
Geistige Schöpfung
(who)
Schöpf, Michael
Event
Veröffentlichung
(who)
Institut für Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Philosophie München
(where)
Deutschland
(when)
2012

URN
urn:nbn:de:0168-ssoar-293933
Rights
GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften. Bibliothek Köln
Last update
21.06.2024, 4:26 PM CEST

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  • Arbeitspapier

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  • Schöpf, Michael
  • Institut für Gesellschaftspolitik an der Hochschule für Philosophie München

Time of origin

  • 2012

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