Bestand

GS 4 - Evangelisches Landesjugendpfarramt Stuttgart (Bestand)

Einleitung: ===== Geschichte des Landesjugendpfarramts =====
Am 1. November 1863 wurde in Stuttgart zum ersten Mal in Deutschland eine evangelische Jugendpfarrstelle erschaffen. Die Einrichtung des Pfarramts war Konsequenz der jahrzehntelangen, lose organisierten Jugendarbeit auf dem Gebiet des evangelischen Württembergs. Aus der Erweckungsbewegung heraus entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gesprächs- und Gebetskreise für Jugendliche, die sich teilweise in Vereinen institutionalisierten. Mit der zunehmenden Industrialisierung Stuttgarts und seiner Umgebung wuchs die Anzahl der evangelischen Jugendlichen in der Region kontinuierlich. Mit der Einrichtung der Jugendpfarrstelle war dessen Stellenaufgabe klar umrissen in die 1. kirchliche Unterweisung von Kindern und Jugendlichen vor und nach der Konfirmation sowie 2. das Umsorgen ortsfremder junger Leute. Die Hinführung zur Kirche und die Seelsorge an Jugendlichen standen im Fokus der christlichen "Jugendbewegung" dieser Zeit. Als Eingrenzung des Aufgabenumfangs der Gründungsphase konnte das Ausbleiben eines festen Predigtauftrages bewertet werden; das Jugendpfarramt wurde einer Parochialkirche, nämlich der Hospitalkirche, zugeordnet. Die enge Verbindung des Pfarramts zum Christlichen Jünglingsverein/Jugendvereins, dem späteren CVJM, bestand seit der Pfarramtsgründung, z.B. in der Bereitstellung von Räumlichkeiten. Der Andrang zu den Angeboten für Jugendliche war von Beginn an enorm, so dass auch früh die Schaffung einer eigenen Pfarrstelle gefordert wurde. Dieser Forderung kam das Konsistorium nicht nach, allerdings wurden die Stadtvikare früh in die Arbeit des Jünglingsvereins einbezogen. 1916 wurde die Pfarrstelle von der Hospitalkirche als 4. Pfarrstelle an die Leonhardskirche verlegt, 1917/18 wurde eine zweite Jugendpfarrstelle in Stuttgart gegründet.
Mit dem Ersten Weltkrieg veränderten sich die Arbeiten im Pfarramt kurzzeitig. Viele junge Männer zogen in den Krieg, so dass die Fürsorge für Soldaten sowie Arbeit in Lazaretten diese Jahre dominierten. 1929, nach über 50 Jahren des fortwährenden Aufbaus, wurde die Landesjugendstelle als separates Jugendpfarramt geschaffen. Die Bindung an den Jünglingsverein blieb dabei über räumliche und personelle Bezugspunkte erhalten. Die Aufgabenfülle dehnte sich darüber hinaus weiter in die Gebiete der Krankenhausseelsorge, Gerichts- und Beratungshilfe in Problemfällen, Lehrlingsbetreuung, Jugend- und Erholungsfürsorge sowie Kinder- und Jugendgottesdienste aus.
In die Zeit des Dritten Reiches fiel die Aufsplitterung des Aufgabengebiets der Jugendarbeit als Anliegen der Kirche und kommunalen Gemeinde; außerdem wurde die Sozialarbeit an Jugendlichen der Inneren Mission zugeteilt. Die Organisation von Jugendlichen in der Hitler-Jugend und ähnlichen Verbänden ab 1933 entzog den christlichen Jugendgruppen zahlreiche Mitglieder sowie Veranstaltungsräumlichkeiten, die Zugehörigkeitstendenzen im Kirchenkampf führten auch in den Jugendpfarrämtern zu Irritationen.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine starke Zäsur, nicht zuletzt da die Arbeit des Jugendpfarrers faktisch zum Erliegen kam. Unter einfachsten Bedingungen wurde mit dem Kriegsende die Jugendarbeit, v.a. in Bibel- und Gesprächskreisen zügig wieder aufgenommen. Mit dem Erlass des Oberkirchenrats vom 12. Dezember 1946 wurde ein neues Zeitalter der Jugendarbeit der evangelischen Landeskirche in Württemberg eingeläutet (Vgl. Bestell-Nr. 1 Ausführungen von OKR Manfred Müller, der maßgeblich an der Neuordnung der Jugendarbeit beteiligt war sowie weiteren nachfolgenden Amtsberichten von Landesjugendpfarrern). Mit der Aufsicht über das Jungen- und Mädchenwerk erhielt das Landesjugendpfarramt ab 1946 eine neue Aufgabe. Die Landeskirche beteiligte sich demnach auch personell an Aufgabengebieten der Inneren Mission, hierbei galt das viel zitierte Verfahren, dass die Jungmänner- und Mädchenwerk ihren Dienst selbständig und im Auftrag der Landeskirche erledigten. Der Landesjugendpfarrer übte demnach eine Kontrollfunktion aus. Eine stetige, machtpolitisch bezogene Auseinandersetzung zwischen den Werken einerseits und dem Pfarramt andererseits blieb über Jahre bestehen. Hingegen bestimmten die alten Arbeitschwerpunkte Jugendfürsorge und Verkündigung, die seit der Gründung das Pfarramt auszeichneten, weiterhin dessen Wirken in den Nachkriegsjahren.
Schon ab 1949 tauschten sich in der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend Deutschlands (AGEJD) Jugendpfarrer über Projekte und Ziele ihrer Arbeit aus. Das württembergische Pendant der AG, die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Württemberg (AGEJW) berät seit 1975 (die Protokolle der AG sind fortlaufend im Bestand vorhanden) über die Arbeitsschwerpunkte auf Landeskirchenebene. Mit der Konferenz der Jugendarbeit wurden ab 1967 inhaltliche Präferenzen abgeglichen. Aufgrund der Fusion des Jungmännerwerks und des Mädchenwerks zum Jugendwerk 1971 entkrampfte sich peu à peu der Konflikt zwischen dem Landesjugendpfarrer und den Jugendwerken, so dass organisatorische Aufgaben zugunsten inhaltlicher Aufträge wechselten, wobei die Aufsichtsfunktion des Landesjugendpfarrers erhalten blieb.
Zusammenstellungen von Gottesdienstmaterial für Jugendgottesdienste und die Tätigkeit als Beauftragter für Wehrdienstverweigerer vergrößerten das Aufgabenfeld erneut. Zudem wurden mit der Ansiedlung der landeskirchlichen Schülerarbeit (LaKiSa) und der Musisch-Kulturen Bildung (Mukubi) beim Landesjugendpfarramt weitere landeskirchenweit agierende Jugendarbeitsinhalte kompensiert an einer Stelle gebündelt.
Im Zuge der Neustrukturierung des Oberkirchenrats zu Beginn des neuen Jahrtausends ergaben sich auch für das Landesjugendpfarramt Aufgabenverschiebungen. Das Landesjugendpfarramt wurde als Sonderpfarramt dem Referat Werke und Dienste im Oberkirchenrat zugeteilt, die landeskirchliche Aufsicht gegenüber dem Jugendwerk blieb erhalten. Die Bereiche der Schülerarbeit (LaKiSa) und der musisch-kulturellen Bildung (MuKuBi) wurden als neue Arbeitsgebiete dem Jugendwerk übertragen. Der Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft evangelische Jugendarbeit in Württemberg und die Betreuung der Bezirksjugendpfarrer sind neben der grundsätzlichen, theologischen Jugendarbeit weiterhin im Landesjugendpfarramt angesiedelt.
===== Bestandsgeschichte =====
Der Archivbestand des Landesjugendpfarramts befindet sich seit März 2007 im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart. Obgleich das Landesjugendpfarramt eine lange Tradition vorweisen kann, wurde festgestellt, dass sich keine Archivalien vor 1945 bei dem Bestand befanden. Die Büroräume des Pfarramts wurden 1944 durch Bombenangriffe auf Stuttgart zerstört, schon 1945 bezog man neue Räumlichkeiten in der Stuttgarter Danneckerstraße 36. Über die Verwaltungsführung im Landesjugendpfarramt lässt sich nur wenig sagen. Am Archivbestand abzulesen war, dass die Vergabe von Aktenzeichen nicht vollzogen wurde, die Ablage erfolgte nach groben Serien (Protokollserien) bzw. bei Korrespondenzen alphabetisch ohne Vorgangsbildung. Außerdem brachte jeder Landesjugendpfarrer seine eigene Ablagehandschrift ein, was zu einer wenig stringenten Form des Bestands führte. Das in früheren Jahren eigenständige Kassationen vorgenommen wurden, lässt sich anhand fehlender Korrespondenzakten oder Fallakten nachweisen. So ist nicht nur die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg für den geringen Umfang des Archivbestandes verantwortlich, sondern auch unsachgemäßer Umgang mit der eigenen Altregistratur.
Mit der Übersiedlung in neue Räumlichkeiten des Oberkirchenrats 2007 übergab das Landesjugendpfarramt dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart etwa 4 laufende Meter Material, das vorerst über eine Abgabeliste benutzbar gemacht wurde. Der Bestand wurde 2008 von Maxi Sophie Eichhorn erschlossen. Im Zuge der Aktenerschließung wurde der Bestand entmetalisiert und in säuerfreies Verpackungsmaterial ins Magazin verbracht. Die 99 Verzeichnungseinheiten umfassen somit 3,5 laufende Meter. Das Bibliotheksgut wurde der Zentralbibliothek des Oberkirchenrats übergeben, sämtliches Sammlungsgut wie Fotos und Plakate in die einschlägigen archivischen Sammlungen integriert.
Ungeachtet der früheren Verluste weist der Archivbestand dennoch Unterlagen auf, die für die Erforschung der evangelischen Jugendarbeit in Württemberg unerlässlich sind. Die Erlasse des Oberkirchenrats geben den Rahmen der Zuständigkeiten des Sonderpfarramts vor (vgl. Bestell-Nr. 3-9), die Arbeitsberichte der jeweiligen Pfarrer bringen die tatsächliche Umsetzung der Erlasse zu Tage. Im Bereich der Bezirksjugendpfarrer kann die Zusammenarbeit mit den Bezirksjugendpfarrern nachvollziehbar gehalten werden. Als Besonderheiten sind die Protokollserien verschiedener Arbeitsgremien im Bereich der Jugendarbeit sowie die persönlichen Erinnerungen früherer Landesjugendpfarrer (vgl. Bestell-Nr. 1, darunter auch der spätere Landesbischof Helmut Claß) zu nennen. Daneben liegt mit der Neuordnung der Jugendarbeit von 1946 eine herausragende Quelle für den kirchlichen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Bestell-Nr. 16) vor.
===== Liste der Landesjugendpfarrer =====
1866-1869 Neeff, Karl
1869-1872 Weitbrecht, Gottlieb
1872-1876 Neeff, Karl (wieder)
1876-1882 Kopp, Johannes
1883-1890 Epple, August Immanuel
1890-1901 Mögling, Ernst
1902-1903 Höckh, Hermann
1904-1929 Wüterich, Gottlob
1930-1934 Dölker, Hans
1934-1935 Eichler, Julius
1936/37-1948 Manfred Müller (OKR 1946)
1948-1950 Helmut Pfeiffer
1950-1958 Helmut Claß
1958-1965 Hermann Dieter
1965-1972 Johannes Pfleiderer
1972-1980 Frieder Mörike
1980-1990 Hartmut Ellinger
1991-1992 Hans Peter Ehrlich
1994-1999 Gerhard Büchsel
1990-2007 Rolf Ulmer
===== Weitere Quellen =====
- Landeskirchliches Archiv Stuttgart (LKAS) Gen. Akten (A 126) Gruppe 122 Jugendpflege und Jugendfürsorge
- LKAS A 226 Bestell-Nr. 3537, 3883-3885
- LKAS A 29 Bestell-Nr. 4373, 4409-4412
- LKAS A 129 Besetzung Stuttgart - Landesjugendpfarramt
- LKAS Personalakten der Landesjugendpfarrer
- LKAS Evangelisches Jugendwerk in Württemberg
- Evangelisches Zentralarchiv Berlin Bestand 118, 186
- Archiv des Diakonischen Werkes der EKD, Berlin

Bestandssignatur
GS 4
Umfang
3,5 lfd. m

Kontext
Landeskirchliches Archiv Stuttgart (Archivtektonik) >> G - Pfarrarchive >> Sonderpfarrämter (GS)
Verwandte Bestände und Literatur
Das evangelische Jugendpfarramt in Stuttgart. Zum 100jährigen Bestehen herausgegeben von Jugendpfarrer Joachim Otter.

Yorick Spiegel (Hrsg.) Pfarrer ohne Ortsgemeinde - Berichte, Analysen und Beratung. Klaus Lubkoll, Jugendpfarrer. München 1970.

Peter Meis: Predigt zum Festgottesdienst des 125jährigen Bestehens des evangelischen Jugendpfarramts Stuttgart.

Indexbegriff Ort
Stuttgart

Provenienz
Evangelisches Landesjugendpfarramt Stuttgart
Bestandslaufzeit
1944-2004

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Letzte Aktualisierung
27.03.2025, 11:46 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Beteiligte

  • Evangelisches Landesjugendpfarramt Stuttgart

Entstanden

  • 1944-2004

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