Text | Theaterzettel

Concert für Kammermusik

Concert für Kammermusik

Digitalisierung: DE-2208 - Thüringisches Hauptstaatsarchiv

Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International

Standort
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar#Kunst und Wissenschaft - Hofwesen
Umfang
157
Anmerkungen
Musikalisches Wochenblatt (17.6.1870), S. 391-394: "Das zweite Concert am 27. Mai Vormittags im grossen Saale der Erholung war der Vorführung von Kammermusikwerken von Mitgliedern des Allg. deutsch. Musikvereins gewidmet. Die erste Nummer bildete ein Pianoforte-Quintett (A-moll, Op. 107) von Raff, ausgeführt von den Herren Hofpianist Theodor Ratzenberger, Concertmeister Kömpel, den Kammermusikern Freiberg und Wallbrühl und Servais, erstem Violoncellist der Weimar'schen Hofcapelle. Das Werk, welches wir bereits vor Kurzem in einer Aufführung des Leipziger Zweigvereins des Allg. deutsch. Musikvereins kennen lernten, besitzt Vorzüge, die bei Erzeugnissen dieser Richtung — ganz naturgemäss — anfangen selten zu werden. Die Formfertigkeit erscheint hier in der That noch als Mittel zum Zweck; besonders die ersten drei Sätze besitzen wirklich poetischen Gehalt und spiegeln ein intensives Empfindungsleben; der vierte, obschon von lebendiger, erregter Aussenwirkung, steht an eigenthümlichem, prägnantem Gedankengehalt nach. Der Componist sowie der Vertreter des Clavierpartes, Hr. Ratzenberger, erzielten Hervorruf. Es folgten hierauf zwei Lieder für eine Bassstimme von A. Deprosse (nicht wie irrthümlich im Programm zu lesen war, Anton Ascher), »Kind, was thust du so erschrocken« von Bodenstedt, und Georg Henschel, »Mein mildes Auge flieht der Schlaf«, von G. v. d. Oder, gesungen von dem Componisten des letzteren. Das erstgenannte Lied trifft in recht gelungener Weise den halb epikurüisch wohlbehaglichen, halb docirenden Ton Mirza Schaffy's, das zweite empfiehlt sich durch ansprechende und edle Haltung; Herr Henschel, ein talentvoller, vortrefflich stimmbegabter junger Künstler, brachte beide mit bestem Erfolg zur Geltung. Einen bedeutenden Eindruck hinterliess Goldmark's Streichquartett in B-dur (Op. 5) als nächste Nummer durch tief innere Leidenschaft, lebendige, mannichfaltig sich gliedernde Stimmungsdramatik und gesättigte Empfindung. Man könnte dem Goldmark'schen Werke gegenüber dem Raff sehen einen mehr weiblichen Charakter zuschreiben. Bei ausgezeichneter, der betheiligten Künstler — Hellmesberger, David, Kömpel, Grützmacher — nur würdiger Wiedergabe wurde die Composition enthusiastisch aufgenommen. Eine weitere werthvolle künstlerische Gabe waren vier Nummern des Liedercyklus »Dolorosa« von Ad. Jensen (Dichtung von Chamisso), gesungen von Frau Krebs-Michalesi, die Clavierbegleitung ausgeführt von Frl. Mary Krebs. Jensen hat es verstanden, nicht nur die Stimmung jeder einzelnen Dichtung mit sicherem poetischen Takt zu treffen und ihr einen durch eindringlicheMelodik und poetische Wahrheit der Declamation ergreifenden Ausdruck zu geben, sondern auch durch das Ganze einen einheitlichen Grundton hindurchklingen zu lassen. Die musikalische Färbung ist Schumannisch, ohne jedoch in äusserlicher Nachtreterei zu wurzeln. Der Vortrag von Frau Krebs-Michalesi war vollendet schön durch die aus dem Vollen und Tiefen schöpfende Auffassung, die Clavierbegleitung von Frl. Mary Krebs leider nur etwas virtuosenhaft obenhin behandelt. Eine ziemlich undankbare Aufgabe, die der Künstler jedoch vollständig beherrschte und entsprechend löste, boten Herrn Ratzenberg er die achtzehn Variationen und Fuge (F-moll, Op. 17) von Friedrich Kiel. Eignet schon dem Thema eine gewisse greisenhafte, ascetischc Physiognomie, so erschienen uns auch die Variationen ohne Schwung und Inspiration. Wir respectiren die »Vielgewandtheit« des Componisten, der aus dem Thema heraus einen solchen Figuren- und Motivreichthum zu entwickeln wusste, können aber nicht verhehlen, dass wir eigentlich nicht erwärmt worden sind; die experimentirende Verstandesseite tritt doch zu sehr in den Vordergrund. Die Verschiedenheit der einzelnen Variationen scheint uns mehr eine durch das verschiedene figurative Aussenwerk aufgeklebte, als aus einem charakteristischen springenden Punct herausgeborene, innerliche. Möglieh indess, dass eine nähere Bekanntschaft uns mehr mit dem Werke befreunden würde. Ein ungleich frischerer Zug geht durch das Octett für vier Violinen, zwei Violen und zwei Violoncello (A-dur, Op. 3) von J. S. Svendsen, ausgeführt von den Herren David, Hellmesberger, Freiberg, Heckmann, Kömpel, Kammermusiker Meyer, Grützmacher und Fitzenhagen, — welches die Schlussnummer des Concertes bildete. Sehr lebhafte, mannichfaltige Rhythmik und ein eigenthflmliches harmonisches Colorit verleihen demselben ein anziehend fremdartiges Gepräge. Die Erfindung hat Guss und Fluss und über das Ganze breitet sich ein poetischer, uns unwillkürlich Scenen aus dem nordischen Naturleben vor die Phantasie führender Hauch. Trotz des nicht ganz abgerundeten Ensembles in der Ausführung fand die Composition die animirteste Aufnahme. Wir wünschen nur, dass der talentvolle junge Autor, der bisher mit Vorliebe die poetischen Eindrücke seiner heimathlichen Natur schilderte, um nicht in Einseitigkeit zu verfallen, sich nun auch mehr psychologischen Problemen zuwende, überhaupt auch andere Stoffgebiete cultivire." Weimarische Zeitung Nr. 126, 1. Juni 1870, S. 2

Beteiligte Personen und Organisationen
Erschienen
1870-05-28

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Letzte Aktualisierung
21.04.2023, 10:51 MESZ

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Objekttyp

  • Theaterzettel ; Text

Beteiligte

Entstanden

  • 1870-05-28

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