Archivalie

Mein lieber Otto! Besten Dank für Deinen lieben Brief...

Transkription: Stuttgart, 14. Jan. 07. Mein lieber Otto! Besten Dank für deinen lieben Brief! Wie sehr es mich gefreut: Die Antwort folgt auf dem Fuße. Deine Einleitung war ganz originell, da du doch zugiebst, was auch ich dachte! Nun, ich werde mich nicht lange mit Einleitungen aufhalten, sondern eben so eins ums andere abhandeln. Auch dein Einfall mit den "Gedanken, Meinungen, Ansichten" finde ich ganz gut, und werde versuchen, diesbezügliches aufs Papier zu bringen! (Mündlich ginge so was natürlich noch einmal so gut)! Also "mein Wigwam": Ich sitze hier, Senefelderstr. 73 IV Treppen, erst ganz gerade aus, dann rechts die erste Türe an meinem Tisch im Wohnzimer! Dasselbe ist blau, die Möbel in einem angenehmen Braun, die Decke ist weiss, erhält aber demnächst ein Bemalung in Gold! Nebenmir steht, (da kann alles mögliche stehen, einer meiner Schulfreunde, meine Wirtin, der Geldbriefträger) also nebenmir steht mein Petroleumofen, der durch sein rotes Glas durchs ganze Zimmer einen magischen Schein wirft. Zum Heizen und Kochen leistet er mir ganz gute Dienste. An der Wand vor mir hängen verschiedene Reproduktionen nach Gemälden, eigene Zeichnungen, Entwürfe, u. die Beethoven-Totenmaske. Von der Deke herab hängt eine echt chinesische Ampel. Ein Bücherbrett, ein Schränkchen, dessen oberer Teil mir als Sekretär dient, dessen untrer meine Kücheneinrichtung birgt. Ein großer rotseidner Vorhang trennt das Wohn- vom Schlafzimmer; die Wände desselben sind mit meinen Acten tapeziert sonst enthält dieser Raum nur das Nötigste. So ungefähr sieht mein Gehäuse aus! - "Komm, sieh und...!" In meiner Schule geht mirs gut! Den Tag über von 8-12 u. 2-4 ist Actzeichnen nach lebendem männlichen Modell, in 1/2- Lebensgrösse. Ausführung in Kohle; von 2-5 sind Vorträge über Anatomie, Kunst und Kulturgeschichte, deren Besuch zwar obligatorisch mir aber zu langweilig ist. In dieser Zeit gehe ich Spazieren! Von 5-7 Uhr ist Abendact, wie am Tage nur in kleinerem Formate! Du siehst also: den ganzen Tag: Actzeichnen. Man könnte meinen es sei langweilig, aber im Gegenteil: grossartig. Samstags ist Komponierstunde, wo Komposition von den Professoren besprochen werden. Die Komposition ist mein Hauptfeld und meine gute Seite. In dieser Hinsicht hoffe ich auch viel zu erreichen. Daß ich aber meinen Beruf gefunden habe, glaube ich sicher! Auch in meinem Beruf "tun sich Ideale auf"! "Heiter ist das Leben, ernst ist die Kunst"!! -- Wenn auch du in deinem Beruf Befriedigung findest und Freude daran hast, dann ist ja alles gut. Was macht meine Geige? Die werde ich demnächst gegen eine Guitarre oder Zieharmonika vertauschen. Das Wetter? grau - trübselig; für den Maler hochinterressant! "Bertha v. Suttner" kenne ich bis dato nicht, wünsche sie, resp. ihren Roman kennen zu lernen. Eine Anna "Sutter" als "Salome" kenne ich besser. - Meine Schwester ist jetzt bei Bekannten in Tuttlingen in Stellung. Dies für heute! Das nächstemal kommen dann "Künstlerische Fragen, Ideen etc." Bis dahin sei herzlich gegrüsst von Deinem stets treuen Freund Oskar! Beste Grüsse Deiner l. Familie!

Sammlung
Archiv Oskar Schlemmer
Inventarnummer
AOS 2014/1048
Material/Technik
Papier; Tinte

Ereignis
Herstellung
(wer)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Otto Hoffmann
Provenienz
Abschrift vorhanden; Kasten 1 Mappe 2 und Ordner 1906-1919

Rechteinformation
Staatsgalerie Stuttgart
Letzte Aktualisierung
28.03.2025, 12:10 MEZ

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Objekttyp

  • Archivalie

Beteiligte

  • Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
  • Otto Hoffmann

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