Bild

Schlesische Landwehr bei Waterloo

Noch während seines Studiums an der Düsseldorfer Akademie erhielt Hans Kohlschein den ersten Auftrag für die Ausmalung eines repräsentativen Sitzungssaals. Monumentale Figurenbilder, meist zu Szenen der deutschen Geschichte, stellten seitdem einen Schwerpunkt in seinem Schaffen dar. Der napoleonische Befreiungskrieg beschäftigte ihn mehrfach. Es war ein Thema, das im Zuge des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 an neuer Bedeutung gewonnen hatte. Der Düsseldorfer Maler Arthur Kampf, dem Kohlschein in seiner lockeren Malweise und den eher kantigen Gesichtern künstlerisch nahesteht, hatte in den 1880er Jahren bereits verschiedene Gemälde zu diesem Thema geliefert. Im Jahre 1900, etwa gleichzeitig zur Grundsteinlegung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, schrieb die Verbindung für historische Kunst einen Wettbewerb zur Förderung des vaterländischen Geschichtsbildes aus. Kohlschein beteiligte sich mit einem Entwurf zur Schlacht bei Katzbach. Er gewann den ersten Preis. Das schließlich 1902 vollendete Bild wurde sodann unter dem Titel »Schlesische Landwehr bei Waterloo« auf der Deutsch-Nationalen Kunstausstellung in Düsseldorf gezeigt und für die Nationalgalerie angekauft (Inv.-Nr. A III 572). Es sei, so Paul Clemen, »von grosser Kraft und einem hohen künstlerischem Ernst Zeugnis ablegend. Wie eine Sturmwelle flutet die Landwehr, unaufhaltsam vorwärts getrieben, über die niedere Bodenerhebung, aus dem Nebel löst sich die zweite Welle los« (Die Kunst für Alle, 17. Jg., 1902, H. 24, S. 561). In der Tat ist es gerade diese Vorwärtsbewegung der Soldaten, die den Gesamteindruck des Gemäldes nachhaltig bestimmt und hinter der jegliches erzählerische Moment zurücktritt. Selbst das dargestellte Schlachtfeld ist nur angedeutet, bleibt ein ödes, austauschbares Niemandsland, über das sich der mit breitem Pinsel getupfte, trist verhangene Himmel spannt. Kohlscheins Interesse galt denn auch nicht der heldenhaften Schlacht per se, sondern der Psychologie dahinter: In den Gesichtern der Soldaten spiegeln sich Verwegenheit, Entschlossenheit, Resignation, vor allem aber Terror und Entsetzen. Bildthema ist die Dynamik dieser panisch vorwärtsstürmenden Menschenmenge, die, einmal in Bewegung geraten, nicht mehr zu bändigen ist. Als Variation desselben Themas malte Kohlschein zwei Jahre später das Bild »Lützows Freischar vor dem Kampf« (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 886), in dem die nun berittene Menschenmenge – auf den Befehl des Angriffs wartend – gerade noch unter Kontrolle ist. In den wilden Augen der tänzelnden Pferde zeigt sich die Anspannung der Infanteristen deutlicher als in den Gesichtern der Männer selbst. Noch ist der Angriffsbefehl nicht erteilt und die Männer verharren in größter Anspannung; in fiebriger, idealistischer Begeisterung blickt der Knabe auf dem Palomino in die Ferne. »Kohlschein verfällt mit seiner Lützowschen Freischar leise ins Uebertriebene«, bemängelte ein Kritiker. »Die vorspringenden Unterkiefer und eckigen Schädel geben den jugendlichen Streitern etwas Verwandtschaftliches, die Silhouette ist lebendig und die naßkalte Winterluft gut getroffen« (Die Kunst für Alle, 19. Jg., 1904, H. 23, S. 548). Kohlscheins Auseinandersetzung mit der Dynamik von Menschenmengen – in der Zeit um 1900 ein virulentes Thema nicht nur in der Sozialkunde und beginnenden Psychologie – verkannte der Kritiker. Eben hierin, in dem genauen Studium der menschlichen Psyche, der Schilderung der Schlacht als einer auch militärisch instrumentalisierten Massenpanik und der damit einhergehenden Entheroisierung der Soldaten, liegt Kohlscheins unerwartet moderner Ansatz. | Regina Freyberger

Vorderseite | Fotograf*in: Andres Kilger

Public Domain Mark 1.0 Universal

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Location
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventory number
A III 572
Measurements
Höhe x Breite: 185 x 305 cm
Material/Technique
Öl auf Leinwand

Event
Erwerb
(description)
1902 Ankauf aus der Deutsch-Nationalen Kunstausstellung in Düsseldorf
Event
Herstellung
(who)
(when)
1902

Last update
08.08.2023, 11:02 AM CEST

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  • Bild

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Time of origin

  • 1902

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