Manuskripte | Typoskript
Historica Dada. [Hamburg]. Anlage zum Brief von Berliner Tageblatt und Handelszeitung an Johannes Baader vom 18.2.1926.
Motiv Inhalt: Das Berliner Tageblatt teilte Baader mit, dass es seinen Artikel nicht habe drucken können. »J. A. Baader, Hamburg 5, Danzigerstr. 35. Histórica Dada. Zum 16. Februar 1926. Von J. A. Baader. Es geht das Gerücht, der Dadaismus sei in einer Oktobernacht des Jahres 1917 gegründet worden. Das stimmt nicht, es war eine Februarnacht, und zwar behauptet der dadaistische Mythos, es sei die Nacht vom 16. zum 17. Februar 1916 gewesen. Die Literaturforschung hat auch schon längst die Oktoberversion zerstört und ich möchte diese Jubiläumsgelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne die letzten wahrheitswidrigen Gerüchte über Dada aus der Welt zu schaffen. Kerr hat schon im Dezember 19 hier den Stab gebrochen.Der Stab war richtig, nur die Grundforderung basierte auf einer falschen Prämisse. Das Ethos im Künstlerischen war den Dadaisten nichts als das Schiesspulver, mit dem sie den Feuerteufel in die Welt pufften, den wir Jungens so oft in der grünsten Penälerzeit zisch, zasch, zusch, über dem Pflaster versteckter Höfe in Brand setzten. Ein halb Jahr nach Kerr hat dann Victor Auburtin die Tatsache bekanntgegeben, dass als Erzvater der Dadaisten, lange vor Huelsenbeck, Arp und Tzara, der französische Dichter Stephan de Mailarme zu gelten hat, der zum ersten Mal auf den Einfall kam, Worte ohne Sinn aneinander zu fügen, und sich allein auf den Klang zu verlassen. Der beigefügte Entrüstungschrei Auburtins gegen die dadaistischen Naschtöner sticht auf Windmühlen, weil die Windmüller den Wind für die dadaistischen Flugzeuge in Wirklichkeit aus einer bedeutend unkomplizierteren Quellecke bezogen. Mich selbst und meine, nach Kerr, unerreichte Meisterschaft im Wiederholen der gleichen Sätze, kann man ganz ausschalten. Tellurisch-kosmisch wird die Existenz des Oberdada stets von den Dadaisten erbittert abgeleugnet. Ich muss mich mit Einsteins Danksagungsbrief an die Königlich Astronomische Gesellschaft in London begnügen und meine Befriedigung darin finden, dass ich wie er, auf dem anderen Relativitätsweg, des grossen Vorzugs teilhaftig geworden bin, etwas tiefer in das ewige Mysterium der Natur einzudringen. Da solche Eindringlichkeit einem gewöhnlichen Sterblichen durchaus untersagt ist, war es völlig berechtigt, dass man mir deswegen den (von mir selbst, unabgeleugnet, provozierten) Scheiterhaufen des Oberdada errichtete. Von den Mysterien unserer Weltschaft soll aber hier nicht die Rede sein, am zehnjährigen Jubiläum der verflossenen Dadaisten. Wenn es noch notwendig ist, sie gegen den Vorwurf des Plagiats an Stephan de Mallarmé zu verteidigen, mag als Abwehr die Feststellung genügen, dass die Lawine der blossen Wortklänge, Silbenbuchstaben und Simultangedichte erst ins Rollen kam, als sich am 16. Februar 1916 in den Zürcher Hochalpen der kleine und unscheinbare Schneeball d a d a von dem Firnengrat loslöste. Zerstörungen hat die Lawine keine angerichtet, die Erdbewohner auf die sie fiel, schrien nicht jammernd über verlorenes Hab und Gut. Im Gegenteil, sie sahen die Lawine als einen grossen Jux an, und beteiligten sich selber mit inbrünstiger Lust an ihrer Verbreiterung und Vermehrung durch weitere Schneelawinen auf allen möglichen und unmöglichen Dadabergen. Das Material war die Fama und der unbändige Rausch, der plötzlich jedwedermänniglich überfiel, endlich einmal sich wieder nach heimlichster Herzensbegehr austoben zu können. Sehr bald nahm der Furor Dada so ausschweifende Formen an, dass die Dadaisten überrannt wurden, und schlechterdings nicht mehr mitkonnten. Als sie das einsahen (denn sie waren immer sehr vernünftige junge Herren, die strengstens ihr Einglas auf die tadellos aufgeplättete Bügelfalte einstellten), machten sie stop und überliessen dada und die ganze Gefolgschaft, die es nach sich gezogen hatte, ihrem Schicksal. Was an Fama sich angesammelt hat in der Dadazeit und nach der Dadazeit, ist ein Prachtstück von Rattenkönig, wie ihn verwickelter kein naturhistorisches Museum der Welt aufweist. Seinen gordischen Knoten wollen wir weder entwickeln noch zerhauen, denn der Zahn der Zeit ist uns heilig und seinem Werk soll die Menschenhand nimmer durch einen verbotenen Griff in die Tür fallen. Im übrigen schliesse ich mit Huelsenbecks schönem Eröffnungsruf der Berliner Dada-Kampagne: „Ehe George Grosz an zu zeichnen fing, gab es schon die Dada-Indianer!" Ich bin auch Indianer, und wenn das Kriegsbeil begraben ist, bin ich dennoch und bleibe ich immerdar wohlbehalten dada. Für das BERLINER TAGEBLATT«
Anzahl Teile/Umfang: 3 Blatt, 1 Blatt
- Location
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Berlinische Galerie
- Inventory number
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BG-RHA 1778
- Material/Technique
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Papier, maschinengeschrieben, Durchschlag, handschriftliche Korrekturen, Bleistift
- Acknowledgment
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Erworben aus Mitteln der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin, und Spendenmitteln
- Subject (what)
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Brief
Dada
Deutschland / Berlin
Typoskript
todo Objektverknüpfung
Nachlass-Raoul-Hausmann
Deutschland / Hamburg
- Event
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Herstellung
- (who)
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Baader, Johannes, Autor/in, Urheber/in (1875-1955)
Berliner Tageblatt, Absender/in, Korrespondenzpartner
- (when)
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[vermutlich Anfang 1926]
- Last update
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26.09.2024, 12:30 PM CEST
Data provider
Berlinische Galerie - Museum für Moderne Kunst. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Manuskripte; Typoskript
Associated
- Baader, Johannes, Autor/in, Urheber/in (1875-1955)
- Berliner Tageblatt, Absender/in, Korrespondenzpartner
Time of origin
- [vermutlich Anfang 1926]