Archivale
Vidimus Privileg betr. Geldleihe von Juden
Regest: Wir Wilhelm Freiherr zu Gravennegk und Burkberg, Herr zu Marschalken-Zimber, Statthalter des Wohlgebornen Herrn Wilhelm Grafen zu Sulz, Landgrafen im Cleggew, des Heiligen Reichs Hofrichters von des allerdurchlauchtigsten, grossmächtigsten Fürsten und Herren, Herrn Ferdinandi, erwählten römischen Kaisers, zu allen Zeiten Mehrers des Reichs, in Germanien, zu Ungarn, Boheim, Dalmatien, Kroatien und Schlawonien Königs, Infanten in Hispanien, Erzherzogs zu Österreich, Herzogs zu Burgund, zu Steur, Kärnten, Krain und Würtemberg, Grafen zu Tirol, unseres allergnädigsten Herrn, Gewalt an Ihrer Majestät Statt und Hofe zu Rottweil, bekennen und tun kund menniglichem (= jedermann) mit dem Brief, dass vor uns auf dem Hofe zu Rottweil der freien Gerichtsstrass an heut dato erschienen ist des ehrenhaften und weisen Bürgermeisters und Rats des Heiligen Reichs Stadt Reutlingen ehrbare Botschaft (= Gesandtschaft), zeigte und liess vor uns öffentlich im Gericht lesen und verhören (= anhören) einen ganz gerechten (= richtigen), unversehrten, unargwöhnigen (= unverdächtigen) und unbresthaften birmantin (= pergamentenen) kaiserlichen Freiheitsbrief mit anhangendem kaiserlichem Insigel, wie nachfolgt, besiegelt, von Wort zu Worten also lautend:
Wir Ferdinand von Gottes Gnaden erwählter römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien, zu Ungarn, Bohaim, (= Böhmen), Dalmatien, Kroatien und Schlawonien König, Infant in Hispanien, Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund, zu Steur, Kärnten, Krain und Württemberg, Graf zu Tirol, bekennen für uns und unsere Nachkommen (= Nachfolger) am Reich öffentlich mit diesem Brief und tun kund allermenniglich (= jedermann), dass uns unsere und des Reichs liebe Getreue, Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen, untertäniglich haben fürbringen und zu erkennen geben lassen: Wiewohl in göttlichen und beiden geschriebnen Rechten, auch unsern und des Reichs aufgerichteten Ordnungen und Satzungen und sonderlich in der Reformation (= Erneuerung) auf gehaltenem Reichstag zu Regensburg des 32. Jahrs der geringeren Zahl (= 1532) die wucherischen Kontrakte und Handlungen gemeiniglich, insonderheit aber den Juden, höchlich verboten, so unterstunden sich doch etliche Juden und Jüdinnen ihren Bürgern, Einwohnern und Untertanen nicht allein auf ihre fahrende und bewegliche Güter, sondern auch auf liegende Güter zu leihen und sie mit beschwerlichen Prozessen zu verfolgen. Darauf haben sie uns demütiglich angerufen und gebeten, dass wir sie, ihre Bürger, Einwohner und Untertanen hierin mit Gnaden zu bedenken und ihnen zu Verhütung solcher verderblichen Beschwerlichkeiten auf unserer kaiserlichen Hilf gnädiglich zu erscheinen geruhten. Wir haben angesehen solch ihrer Mitbürger, Einwohner und Untertanen hochbeschwerliches Obliegen (= Anliegen) und demütige Bitte, auch die untertänigen, willigen Dienste, die sie uns und dem Heiligen Reich bisher oftermals bewiesen haben und hin füro zu tun sich untertäniglich entbieten (= erbieten) und wohl tun mögen und sollen, und darum mit wohlbedachtem Mut, gutem Rat und rechter Wissen (= Einsicht) gemeldetem Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen, derselben Mitbürgern, Einwohnern und Untertanen diese besondere Gnad getan und Freiheit gegeben, nämlich dass nun hinfüran (= künftig) kein Jud oder Jüdin gedachten ihren Mitbürgern, Einwohnern und Untertanen in oder ausserhalb der Stadt Reutlingen auf einige (= irgend welche) liegende oder unbewegliche Hab und Güter, es sei Lehen oder eigen, wie die Namen haben (= wie die auch heissen mögen), weder auf Wucher noch auf wucherische Handlung, Kontrakt, Verschreibungen kaufen oder tauschen, ohne ihr und ihrer Nachkommen (= Nachfolger) Vorwissen, Erlaubnis und Bewilligen nicht leihen, auch dieselben ihre Mitbürger, Einwohner und Untertanen am einige (= irgendwelche) Schulden, so nach Verkündung und Publizierung dieser unserer Freiheit ohne ihr, derer von Reutlingen, Vorwissen und Bewilligen gemacht worden, weder in unserm und des Reichs Hofgericht zu Rottweil noch einigen andern Gerichten fürfordern und beklagen [soll], noch [soll] etwas auf solches der Juden Fürfordern und Klagen gerichtet, geurteilt noch gehandelt (= behandelt) werden. Und dazu: wo derselben Mitbürger, Einwohner und Untertanen einem oder mehr nach Verkündung dieser unserer Freiheit, als absteht (= oben genannten Freiheit) obangeregtermassen (= in der oben erwähnten Weise) auf Wucher durch die Juden oder Jüdinnen etwas geliehen oder vorgestreckt würde, sollen dieselben Juden oder Jüdinnen das Hauptgut (= Kapital) ihres dargeliehen Geldes samt dem Wucher (= Zins) verwirkt haben und verfallen sein und dasselbe (= dieses Geld) genanntem Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen und ihren Nachkommen (= Nachfolgern) zustehen und erfolgen (= zufallen) und ohne alle Verhinderung bleiben. Wir tun und geben den obgenannten Bürgermeistern und Rat der Stadt Reutlingen und ihren Nachkommen obbestimmte (= oben angegebene) Gnad und Freiheit von römischer kaiserlicher Macht wissentlich in Kraft dieses Briefs und meinen, setzen (= bestimmen) und wollen, dass sie, ihre Mitbürger, Einwohner und Untertanen sich derselben Freiheit freuen, gebrauchen und geniessen sollen und mögen, von allermenniglich unverhindert. Und wa (= wenn) darüber (= trotzdem) auf der Juden Anrufen und Anlangen (= gerichtliches Vorgehen) sie, ihre Nachkommen, derselben Mitbürger, Einwohner und Untertanen an unserem und des Reichs Hofgericht zu Rottweil, Landgericht im oberen und niederen Schwaben oder einigen (= irgendwelchen) ausländischen Gerichten berührter Sachen halber fürgeheischen (= vorgeladen) und geladen und daselbst etwas wider sie, ihren Leib (= ihr Leben), Hab und Güter gehandelt, gerichtet und prozediert [würde] oder wa (= wenn) sich auch (= ferner) gedachte Bürger, Einwohner und Untertanen auf ihr, der Juden und Jüdinnen, geschwind (= gewandt, schlau) Einführen in einige Kontrakte begeben und auf diese unsere Freiheit ausserhalb gedachter Bürgermeister und Rats der Stadt Reutlingen und ihrer Nachkommen Vorwissen und Verwilligung verzichten würden, in was Schein oder Weg das geschehen möge, sollen doch solche Kontrakte, Verschreibung oder geschehener Verzicht dieser unserer Freiheit (= dem von uns verliehenen Privileg) ohne allen Nachteil, sondern alles von Unwürden (= wertlos), kraftlos und unbindig (= unverbindlich) sein, auch die darauf erfolgten Prozesse und Handlungen samt und sonders an ihrer Hab und Gütern keinen Nachteil und Schaden bringen und gebären und dem genannten Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen und ihren Nachkommen an dieser unserer kaiserlichen Freiheit in allweg (= jedenfalls) ohne Schaden sein. Denn alles und jedes und was die Juden oder Jüdinnen dagegen zu Behelf haben und vorbringen möchten, fürnehmlich aber ihre, der Juden, allgemeine und besondere Freiheiten, so sie dem zuwider jetzo haben oder noch in künftiger Zeit von uns und unsern Nachkommen (= Nachfolgern) am Reich erlangen und ausbringen (= erreichen) möchten, soviel die hiewider sind oder verstanden werden, wollen wir von römischer kaiserlicher Macht hiemit in Kraft dieses Briefs jetzo als dann und dann als jetzo (= allezeit) aufgehoben und kassiert, abgetan und vernichtet haben, ohne Gefährde. Wir gebieten darauf allen und jeglichen Kurfürsten und geistlichen und weltlichen Fürsten, Prälaten, Grafen, freien Herren, Rittern, Knechten, Landhauptleuten, Landmarschalken, Vitzdumben, (= Statthaltern), Vögten, Pflegern, Verwesern, Amtleuten, Schultheissen, Bürgermeistern, Richtern, Räten, Bürgern, Gemeinden und sonderlich jetzigen und künftigen unsern Hofrichtern und Urteilssprechern unseres kaiserlichen Hofgerichts zu Rottweil, auch andern Landrichtern und Gerichten und sonst allen andern unsern und des Reichs Untertanen und Getreuen, was Würden Stands und Wesens die sind, ernstlich mit diesem Brief und wollen, dass sie gedachte Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen, ihre Mitbürger, Einwohner, Untertanen und ihre Nachkommen an diesen obbeschriebnen unsern kaiserlichen Gnaden, Privilegien und Freiheiten nicht hindern noch irren (= beeinträchtigen), sondern sie deren geruhiglich gebrauchen lassen, dawider nicht dringen noch beschweren noch jemand anderm zu tun gestatten in irgend einer Weise, so lieb einem jeden ist, unsere und des Reichs schwere Ungnad und Straf und dazu eine Pen (= Geldbusse) nämlich 40 Mark lötigs (= vollwichtiges) Golds zu vermeiden, die ein jeder, so oft er freventlich hiewider täte, uns halb in unsere und des Reichs Kammer und den andern halben Teil vorgemeldeten (= oben genannten) Bürgermeistern und Rat der Stadt Reutlingen und ihren Nachkommen unablässlich zu bezahlen verfallen sein soll. Mit Urkund dieses Briefs, besiegelt mit unserem kaiserlichen anhangenden Insigel, gegeben in unserer Stadt Wien.
Und stund unten in Spatio desselben kaiserlichen Freiheitsbriefs: Ferdinandus. Ad mandatum sacrae Caesareae Maiestatis proprium. Daniel, Archiepiscopus, Mogunt, per Germaniam Archican. elect. Vitus sold. Haller, und auswendig zurück (= aussen auf der Rückseite): Registrata. Mathias Paulus Strassburg.
Und als die vorgedachte kaiserliche Freiheit also im Gericht verlesen und gehört worden, fordert und begehrt die obbemeldete Botschaft, dem obgedachten Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen dero (= davon) ein glaublich Vidimus (= eine beglaubigte Abschrift), mit des Hofgerichts zu Rottweil Insigel besiegelt, zu geben, und bat uns, des eine Frag im Rechten zu haben (= eine Umfrage im Gericht zu halten). Darum fragten wir die Urteilsprecher obgedachten Hofes nach dem Urteil. Die haben nach unserer Umfrag mit gemeinem (= gemeinsamem) gesammeltem Urteil, wie Recht ist, erteilt (= bestimmt), dass dem nachgenannten Bürgermeister und Rat der Stadt Reutlingen ein glaublich Vidimus des obgeschriebenen Briefs, mit mehrgedachten Hofgerichts Insigel besiegelt, billigerweise gegeben werden soll, doch diesem kaiserlichen Hofgericht an seinen Privlegien, Possession, Übungen und Gebräuchen in allweg (= unter allen Umständen) unnachteilig. Hierum zu wahrer Urkunde gegeben mit Urteil und des kaiserlichen Hofgerichts zu Rottweil anhangendem Insigel versiegelt Zinstags (= Dienstag) nach Dorothee Virginis (= 9. Februar) 1563.
Dorsal-/Marginalvermerke: Auf der vorderen Außenseite: 10 Gulden.
- Archivaliensignatur
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A 2 b (Verfassung u.a.) Nr. A 2 b (Verfassung u.a.) Nr. B 72/28
- Formalbeschreibung
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Beschreibstoff: Pg.
- Sonstige Erschließungsangaben
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Ausstellungsort: (Wien) Rottweil
Zeugen / Siegler / Unterschriften: Hofgericht Rottweil
Bemerkungen: Literatur:
C. F. Gayler: Historische Denkwürdigkeiten (...), Reutlingen 1840, Bd. 1, S. 547
Serger/Böttcher: Es gab Juden in Reutlingen (1995), S. 21-22
Genetisches Stadium: Or.
Verweis: jetzt: A 3 U 253
- Kontext
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Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 7 u. 20) >> Bd. 7 Kaiserliche Privilegien
- Bestand
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A 2 b (Verfassung u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 7 u. 20)
- Laufzeit
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(1561 April 25) 1563 Februar 9, Dienstag nach Dorothea
- Weitere Objektseiten
- Letzte Aktualisierung
-
20.03.2025, 11:14 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Archivale
Entstanden
- (1561 April 25) 1563 Februar 9, Dienstag nach Dorothea