Archivale

Vidimus des Privilegs betr. Asylrecht für Totschläger

Regest: Wir Graf Erhart von Nellenburg zu Tengen an Statt und im Namen des wohlgebornen Grafen Rudolf von Sulz, Hofrichters von des allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herrn Maximilians, römischen Königs, zu allen Zeiten Mehrers des Reichs, zu Ungarn, Dalmatiens, Kroatiens etc. Königs, Erzherzogs zu Österreich und Herzogs zu Burgund etc., unseres allgnädigsten Herrn Gewalt, an seiner Statt auf seinem Hofe zu Rottweil, bekennen öffentlich und tun kund allermenniglichem (= jedermann), daß wir zu Gericht gesessen sind auf dem Hofe zu Rottweil an der offenen freien königlichen Straß auf diesen Tag, als (= wie) dieser Brief gegeben ist, und stund vor uns auf demselben Hofe des ehrsamen, weisen Bürgermeisters und Rats der Stadt Rutlingen ehrsame Botschaft (= Gesandtschaft), zogt (= zeigte) und ließ vor uns im Gericht öffentlich lesen und hören einen ganz gerechten (= richtigen), unbresthaften, unversehrten permentin (= pergamentenen) königlichen, besiegelten Freiheitsbrief, der von Wort zu Wort also lautet:
Wir Maximilian von Gottes Gnaden römischer König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, zu Ungarn, Dalmatien, Kroatien etc. König, Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund, zu Lotterick (wohl = Lothringen), zu Brabant, zu Steyr, zu Kärnten, zu Krain, zu Limburg, zu Lutzemburg (Luxemburg) und zu Geldern, Graf zu Flandern, zu Habsburg, zu Tirol, zu Phirdt (= Pfirt), zu Kyburg, zu Artois und zu Burgund, Pfalzgraf zu Hennegau, zu Holland, zu Seeland, zu Namur und zu Zutphen, Markgraf des heil. röm. Reichs und zu Burgau, Landgraf im Elsaß, zu Friesland, auf der windischen (= wendisch, slawisch) Mark, zu Borttenau, zu Salins und zu Mecheln etc., bekennen öffentlich mit diesem Brief und tun kund allermenniglich (= jedermann), daß uns unser und des Reichs liebe getreue Bürgermeister und Räte der Stadt Rewtlingen durch ihre ehrbare Botschaft (= Gesandtschaft) haben vorgebracht, wie dieselbe Stadt Rewtlingen bisher gefreiet (= mit Freiheit, mit Privileg versehen) und ihre Vorvordern und sie gebraucht und hergebracht, daß eine jegliche Person, so außerhalb der genannten Stadt und dem dortigen Zehenten und Ettern (= Gebiet) Totschlag getan, in derselben Stadt und dazugehörigem Zehenten Freiung und Sicherung gehabt, also daß der oder dieselben um solchen Totschlag zu Recht (= Gericht, Prozeß) in die erwähnte Stadt nicht fürgeheischen (= vorgeladen) noch daselbst gerechtfertigt (= vor Gericht gebracht) wurden, sie wären denn als Mörder angeklagt worden. Wie nun in der Art (= Gegend, Landschaft) und Gegenden daselbst kundig und offenbar sei, haben sich zu Zeiten die Personen, so gefährlich (= in böser Absicht) Totschlag getan, solcher Freiheit auch zu behelfen und zu genießen unterstanden, woraus zu vielen Malen merklich Irrung und Widerwillen erwachsen, die ihnen und gemeiner Stadt Rewtlingen zu schwerem Nachteil und Schaden gekommen wären. Darauf haben sie uns demütiglich angerufen und gebeten, sie hierin gnädiglich zu fürsehen (= für sie Vorkehrung zu treffen). Demnach haben wir dem genannten Bürgermeister und Rat zu Rewtlingen um solche ihrer demütigen Bitte, auch der getreuen und nützlichen Dienste willen, so sie uns und dem Heiligen Reiche oft williglich getan haben und hinfüro wohl tun mögen und sollen, mit wohlbedachtem Mute, gutem Rate und rechter Einsicht die obgenannte Freiheit und Gebrauch gnädiglich konfirmiert und bestätigt, auch gesetzt und geordnet, daß nun hinfüro all und jegliche Personen, die aus Hitze des Zorns oder zu Aufenthalt (= Erhaltung, Schutz) und Rettung ihres Lebens außerhalb der Stadt Rewtlingen und dem dortigen Zehenten und Ettern Totschlag tun oder vollbringen, in der genannten Stadt Reutlingen und dazu gehörigem Zehenten und Ettern Freiung haben und daselbst wegen solchen Totschlags zu Recht (= Gericht, Prozeß, Aburteilung) nicht angefallen, gestellt noch angeklagt werden noch auch, dieweil (= solange) sie in dieser Stadt, ihrem Zehenten und Ettern wohnhaft sind und diese Freiheit genießen, an unserem und des Reichs Hofgericht zu Rottweil noch irgend einem Landgericht oder andern Gerichten derhalben wider sie, ihr Leben oder Güter mit Gericht, Acht, Urteil vorgegangen werden soll. Wenn es aber darüber (= trotzdem) geschähe, dann soll solches Urteil und Prozeß keine Kraft noch Macht haben. Doch wo vorbedächtlich, gefährlich (= mit Absicht) Totschläge geschähen, sollen sie auf der Kläger gegen die Täter Ansuchen Recht ergehen lassen, wie sich gebührt. Die Handlungen, die also um diese gefährlichen (= absichtlichen) Totschläge vorgenommen werden, sollen ihnen an ihren obberührten Freiheiten keinen Abbruch noch Verletzung bringen. Wir gebieten darauf allen Kurfürsten, geistlichen und weltlichen Fürsten, Prälaten, Grafen, freien Herrn, Rittern, Knechten, Hauptleuten, Vitztumen (= Statthaltern, von lat. vicedominus), Vögten, Pflegern, Verwesern, Amtleuten, Schultheißen, Bürgermeistern, Räten, auch unsern und des Reiches Richtern und Urteilsprechern unseres Hofgerichts zu Rottweil, die jetzo daselbst sind und künftiglich sein werden, und sonst andern Landrichtern, Richtern, Urteilsprechern aller und jeder Gerichte und allen andern unsern und des Reichs Untertanen und Getreuen, in was Würden Staates (= Standes) oder Wesens sie auch seien, ernstlich und festiglich und wollen, daß sie Bürgermeister und Räte zu Rewtlingen und ihre Nachkommen (= Nachfolger) an ihren erwähnten Freiheiten, Gebrauch und Herkommen nicht irren (= stören) noch hindern, sondern sie auch die Personen, die sich derselben behelfen (= bedienen), ruhig genießen und gänzlich dabei bleiben lassen und dawider nicht dringen, sie nicht bekümmern (= bedrücken) noch beschweren noch das jemand anderem gestatten, so lieb einem jeglichen ist, unsere und des Reichs schwere Ungnade und Strafe und dazu eine Pene (= Geldbuße, von lat. poena), nämlich 40 Mark lötiges (= vollwichtiges) Goldes, zu vermeiden, die ein jeder, so oft er freventlich hiewider täte, zur Hälfte uns in unsre und des Reichs Kammer und zur andern Hälfte denen von Rewtlingen und ihren Nachkommen (= Nachfolgern) unabläßlich zu bezahlen verfallen sein soll. Mit Urkund dieses Briefs, besiegelt mit unserem königlichen anhangenden Insigel.
Und stund unten auf dem Spatium (= Raum) dieses Briefs geschrieben: Ad mandatum (= auf Befehl) dm (= domini) regis (= des Königs) Bertoldus archiep(iscopu)s Mog(u)nt(iacu)m (= Mainz), Archicancellarius.
Als dieser Freiheitsbrief also vor uns im Gericht gelesen und angehört ward, forderte und begehrte die oben genannte Botschaft (= Gesandtschaft), dem Bürgermeister und Rat zu Reutlingen und ihren Nachkommen (= Nachfolgern) davon ein glaublich Transsumpt und Vidimus (= eine glaubwürdige, beglaubigte Abschrift) unter des Hofgerichts zu Rottweil Insigel zu geben, und bat uns, des eine Frag im Rechten zu haben (= eine Umfrage im Gericht zu halten). Darum fragten wir die Ritter und Urteilsprecher des Hofgerichts nach dem Urteil, und ist nach unserer Frag mit gemeinem (= gemeinsamem) gesammeltem Urteil, wie recht ist, erteilt (= bestimmt), daß man denen von Reutlingen von dem königlichen Freiheitsbrief billigerweise eine beglaubigte Abschrift geben soll mit des Hofgerichts anhangendem Insigel. Hierum zu öffentlicher Urkunde ist diese Abschrift mit Urteil gegeben und mit des Hofgerichts anhangendem Insigel besiegelt. 1495, auf Donnerstag nach St. Martins Tag.

Archivaliensignatur
A 2 b (Verfassung u.a.) Nr. A 2 b (Verfassung u.a.) Nr. B 72/21
Formalbeschreibung
Beschreibstoff: Pg.
Sonstige Erschließungsangaben
Ausstellungsort: Mechelen, Rottweil

Zeugen / Siegler / Unterschriften: Hofgericht Rottweil

Bemerkungen: Original: HStA Stuttgart B 201 U 11
Literatur:
C. F. Gayler: Historische Denkwürdigkeiten (...), Reutlingen 1840, Bd. 1, S. 129-130
Markus Bauer: Kompendium (1994), S. 51

Genetisches Stadium: Or.

Verweis: jetzt: A 3 U 155. Abschrift: Privilegienbuch I (vorl. Nr. 6), fol. 25

Kontext
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 7 u. 20) >> Bd. 7 Kaiserliche Privilegien
Bestand
A 2 b (Verfassung u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 7 u. 20)

Laufzeit
1495 (Januar 27) November 12, Donnerstag nach Martin

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Letzte Aktualisierung
20.03.2025, 11:14 MEZ

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  • Archivale

Entstanden

  • 1495 (Januar 27) November 12, Donnerstag nach Martin

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