Bestand

200,38/Nachlass Ludwig Volrath Jüngst (Bestand)

Form und Inhalt: Vorwort zum Bestand 200,38/Nachlass Ludwig Volrath Jüngst


Biographie

Geboren wurde Ludwig Volrath Jüngst am 27. Dezember 1804 in Niederdresselndorf bei Burbach im Siegerland als zweitjüngstes von sieben Kindern des reformierten Pfarrers Georg Philipp Wilhelm Jüngst (1764-1809) und seiner Ehefrau Marie Gatharine Elisabeth Jüngst geb. Burchardi/Burgardi (1767-1843).
Er erhielt seine Schulbildung in Herborn und Dillenburg, später auf den Gymnasien in Wetzlar und Soest.
Während seines Philologiestudiums (anfangs Theologie) in Halle/Saale nahm er als Burschenschafter am 16. Dezember 1823 an einem studentischen Sturm auf das Rathaus teil, wurde inhaftiert und, nach Aufhebung des zunächst verhängten Todesurteils, 1826 für eine 15-monatige Festungshaft nach Wesel überführt.

Nach seiner Entlassung nach 1827 absolvierte er seine Examina und wurde Rektor der Tecklenburger Bürgerschule. Der bestandenen Lehrerprüfung in Münster folgten Unterrichtstätigkeiten in Hamburg und Wesel, danach war er Rektor einer Privatschule in Tecklenburg. 1830 wechselte er an das Ratsgymnasium in Bielefeld und unterrichtete Naturgeschichte, Geographie und Deutsch, avancierte zum Oberlehrer und 1860 zum Professor.

Jüngst forcierte die Gründung des Realgymnasiums in Bielefeld und setzte sich für die Rationalisierung der Schulen ein, d. h., die Schulen sollten konfessionsunabhängig werden. Auch trat er für eine Kommunalisierung der Bielefelder Töchterschule ein. Auf ihn zurückzuführen ist der erste gegeregelte Turnunterricht an einer Bielefelder Schule zwischen 1835 bis 1840 und die Gründung eines ersten Turnvereins in der Stadt.

Im Umfeld der Revolution von 1848 war er Hauptmann der Bürgerwehr und Gründungsvorsitzender des Konstitutionellen Vereins und Herausgeber des "Ravensbergischen Volksblatts", das von April 1848 bis Oktober 1849 als Beilage zu den Öffentlichen Anzeigen für die Grafschaft Ravensberg" erschien. Die "Konstitutionellen" unter Jüngsts Vorsitz waren zahlenmäßig stärker als Rudolf Rempels (1815-1868) "Demokraten". Sie definierten sich ex negativo, indem sie anfangs für sich in Anspruch nahmen weder republikanisch (also "demokratisch") noch reaktionär (also "konservativ") zu sein. Zu klaren Forderungen und konkreten Aussagen, zu einer eigenen Programmatik gelangten sie nicht. Allenfalls die Bejahung der Monarchie mit einer Verfassung und bürgerlichen Freiheitsgarantie war als Grundforderung zu erkennen und wurde im "Ravensbergischen Volksblatt" propagiert.

Am 15. Oktober 1877 verlieh die Stadt Bielefeld Jüngst anlässlich seines 50. Dienstjubiläums als Lehrer die Ehrenbürgerschaft. Gegen anfängliche Widerstände der Regierung - sein burschenschaftliches Engagement wurde ihm ebenso nachgetragen wie das von 1848 - wurde ihm der Rote Adlerorden IV. Klass verliehen.

Unter seinem Namen und unter dem Pseudonym Ludwig Rosen/L. Rosen veröffentlichte Jüngst zahlreiche Schriften verschiedenster Genres von Unterrichts- und wissenschaftlichen Werken bis hin zu Novellen und Romanen.

Mit seiner aus Höxter stammenden Ehefrau Auguste Karoline Maria Anna Elisabeth geb. von Döring (1819-1888), die aus einer Offiziersfamilie stammte, hatte er sich am 18. Oktober 1839 verlobt und am 23. April 1840 in Höxter verehelicht. Aus der Ehe gingen sechs Töchter und ein Sohn hervor.

Jüngst verstarb nach zwei Schlaganfällen am 20. September 1880 in Bielefeld.


Veröffentlichungen

- Wanderbuch eines Schwermüthigen, Hamburg 1834
- Kurzer Abriß der Pflanzenkunde zum Unterricht an höheren Lehranstalten, Bielefeld 1835
- Freimüthige Gedanken über eine zweckmäßige Umgestaltung der Gymnasien, Bielefeld 1836
- Die Regeln der deutschen Rechtschreibung. Ein Leitfaden für Schüler bestimmt, Münster 1842
- Handbuch der deutschen Rechtschreibung, Münster 1843
- Die volksthümlichen Benennungen im Königreich Preußen, Berlin 1848
- Flora Westfalens, Bielefeld 1852 (Nachdruck 1869)
- Der Buchenhof [Roman], Leipzig 1858
- Gleich und gleich! Oder die Weltnymphe, Bielefeld 1858
- Werner Thormann [Roman], 3 Bde., Breslau 1859
- Vier Freunde [Roman], 3 Bde., Breslau 1861
- Damals. Novellen aus den Befreiungskriegen, Breslau 1863
- Novellen, Detmold 1866 [Inhalt: Der Eisenbahnräuber; Der alte Schmuggler; Für und gegen das Vaterland; Der milde Wirt]

- posthum: Der alte Schmuggler [Nov.]. 1889
- weitere Schulbücher und botanische Schriften.

- Aufsätze in: Westphalen und Rheinland 1836f.;
- Aufsätze in: Morgenbl. 1857-1865 [Pseud. L. Rosen].

Ergänzend zu berücksichtigen sind u. a.:
- Bestand 100,2/Oberbürgermeister: Verleihung von Ehrenbürgerrechten, 1877-1989; enthält u.a.: Ludwig Volrath Jüngst, 1877
- Bestand 300,6/Autographen, Nr. 415-425: Briefe Jüngsts an verschiedene Korrespondenzpartner, 1843, 1848, 1858-1864
- Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 18; enthält u.a. Dokumente aus der Festungszeit in Wesel, 1826/27; Reisepass des Ludwig Volrath Jüngst, 1833/34; Verlobungsanzeigen 1838, Reden und Gedichte; Zeitungsartikel


Zur Lehrertätigkeit

- Bestand 150,14/Ratsgymnasium


Zum Konstitutionellen Verein 1848-1849

- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 1696: Konstitutioneller Verein, 1848-1849; enthält u.a.: Schreiben; Clubzeitungen v. 27. Oktober, 8. November und 10. November 1848; Kommissionsberichte, Aufrufe; Reden
- Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 10: Statuten und Protokollbuch des Konstitutionellen Vereins zu Bielefeld, 1848-1849
- Bestand 300,7Kleine Erwerbungen, Nr. 229: Konstitutioneller Verein Bielefeld: Statuten, Korrespondenz, 1848; enthält auch: Material Konstitutioneller Vereine anderer Städte
- 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 5308: Flugblätter, Aufrufe und Bekanntmachungen zur Revolution 1848, 1848-1849

Zur Bürgerwehr
- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 688: Protokollbuch des Vorstandes der Bürgerwehr, 1848
- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 689: Reklamationen gegen den Bürgerwehrdienst, 1848-1849
- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 690: Sicherheitsverein, 1848-1849; enthält u.a.: Mitgliederliste
- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 691: Bürgerwehr (auch Sicherheitsverein), 1848-1849


Bestandsgeschichte

Der Zugang des Nachlasses ist nicht dokumentiert. Er ist angereichert um die Verzeichnungseinheit (VE) Nr. 36 (Manuskript Luise Jüngst, Ein Lehrer von Gottes Gnaden). Die Nr. 32 und 33 sind als Dauerleihgabe von Magdalena Becker, Frankfurt am Main 2002 hinterlegt worden. Weitere Dokumente (VE 37-40 und Ergänzungen zu 34) wurden am 13. Februar 2023 von Dieter und Christa Brinkmann, Oerlinghausen als Schenkung übergeben.

Der Nachlass umfasst 0,3 lfm. Schriftgut bestehend aus 40 Verzeichnungseinheiten.


Hinweise zur Benutzung

- Archivalienbestellungen: 200,38/Nachlass Jüngst, Nr.
- Zitation: Stadtarchiv Bielefeld (StArchBI), Bestand 200,38/Nachlass Ludwig Volrath Jüngst, Nr.


Literatur

- Jüngst, Luise, Ein Ehrenbürger Bielefelds, in: 34. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1920), S. 1-44
- Rath, Jochen, Rudolf Rempel veröffentlicht mit anderen den Aufruf "An das Volk" - Die 1848er-Revolution in Bielefeld (online-Ressource: https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2013/04/01/01042013/)
- Vogelsang, Reinhard, Ludwig Volrath Jüngst, das Ravensbergische Volksblatt und der Konstitutionelle Verein in Bielefeld 1848/49, in: Reinhard Vogelsang/Rolf Westheider (Hg.), Eine Region im Aufbruch. Die Revolution von 1848/49 in Ostwestfalen-Lippe (9. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg), Bielefeld 1998, S. 247-272


Dr. Jochen Rath
Archivleiter
Bielefeld, Juli 2017/Februar 2023

Bestandssignatur
200,038/NL Jüngst, Ludwig

Kontext
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld (Archivtektonik) >> Nichtamtliches Schriftgut >> Familienarchive und Nachlässe

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Letzte Aktualisierung
23.06.2025, 08:11 MESZ

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