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[Die Vorliebe der heutigen Proletarier ...]

Motiv Inhalt: „Die Vorliebe der heutigen Proletarier für platten Naturalismus, für das »als ob es so wäre« also das Unidentische, Abgeleitete - läßt vielleicht einen Schluß auf das noch im Proletarier steckende Schauspielertum zu - zuletzt ist der Proletarier garnicht so »natürlich« wie er glaubt, er ist eben doch kleinbürgerlich ungeistig, unprimitiv, unursprünglich, er möchte noch nach dem »wirklichen« Lehnstuhl des Bürgers - der Drang nach Illusionismus beim Proletarier enthüllt ihn als: Schauspieler eines kleinbürgerlichen Zustandes. Der sogenannte Illusionismus der späteren Griechen z. B. ist kein Illusionismus gewesen, die Jünglingsfiguren stellen einen Canon vor, enthält Zahl, also Identität. Albrecht Dürer z. B. sah die Welt und die Dinge voller Maaß, er construierte seine Figuren geometrisch. Der Naturalismus ist der eigentliche Illusionismus, als solcher Unfug. Im Cubismus ist zu viel Zahl. Man kann Gegenstände in der Kunst nur durch Identität, also durch die (geometrischen) Körper, die der »Natur« zugrunde liegen »wahr« machen, nicht durch Abmalerei des optischen Eindrucks. Als ich mittelalt war, liefen mir viele ernsthafte Schauspieler über den Weg, und das war mein Glück: denn nun setzte ich alles daran, nicht auch Schauspieler zu werden. Der Mangel an ernsthaftem, selbst sich ernstnehmenden Schauspieler- tum ist der einzige Vorzug, das einzige Plus des heutigen Menschen; er wird damit Nihilist. Der Schauspieler betrügt sich selbst, er macht immer alles so, als ob es so wäre - er ist der eigentliche Illusionist, Verist und das ist Unsinn. 23.12.20 praktisches Beispiel: Dada kennt weder Laster noch Tugend, weder Monogamie noch Polygamie; grundsätzlich protestiert es nur gegen die bürgerliche Auffassung in sexualis; Der complettere Mensch wird wieder klar monogam werden müssen - oder ganz polygam, d. h. ein Mensch tritt in jede mögliche sexuelle Beziehung (jede der Zahl nach)“. [Auf der Rückseite: Entwurf oder Mitschrift eines Berlin-Couplets, vielleicht von Walter Mehring:] „Det Frühjahr is so scheen, Hohenzollernwetta jiebt et in Berlin Denn wenn De denkst, et fliegt wat in der Luft: Irrtum Mensch, se ham Dir bloß vor’n Bauch gepufft! [...] Sei nich zu sicher, daß de mit der Bahne dein Ziel arreichst Et könnte sin Mensch, daß der Schaffner streickt Weil er man jrade demonstrieren muß: Gegen de Orgesch, bums, schon fällt der Schuß Du siehst de Siegessäule wackeln wie da Jrete ihrn Zopp Halt dir man feste faß dir an’n Kopp: Aba sonsten is allens in Butta ja bei der juten ollen Mutter Germania Und wenn de Engtente och alles besetzt“.
Anzahl Teile/Umfang: 4 Blatt

Fotograf*in: Anja Elisabeth Witte

Free access - no reuse

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Location
Berlinische Galerie
Inventory number
BG-HHC H 61/79
Other number(s)
BG-HHE I 13.77
Material/Technique
Papier, handgeschrieben
Acknowledgment
Erworben aus Mitteln des Senators für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin

Subject (what)
Manuskript
Nachlass-Hannah-Höch

Event
Herstellung
(who)
(when)
1920

Last update
26.09.2024, 12:30 PM CEST

Data provider

This object is provided by:
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Object type

  • Manuskripte; Manuskript

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Time of origin

  • 1920

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